Peter Strasser: "Des Teufels Party. Geht die Epoche des Menschen zu Ende?"
Sonderzahl Verlag, Wien 2020
136 Seiten, 16 Euro
Der Untergang der Menschheit
06:35 Minuten
Für den Rechtsphilosophen Peter Strasser steht fest: Wenn die Menschheit weiterhin ihre irre Kollapsstrategie fährt und maßlosen Raubbau an allem betreibt, ist es in absehbarer Zeit mit ihr zu Ende. Wird das Coronavirus dabei zum Brandbeschleuniger?
Am Größenwahn sieht der österreichische Philosoph Peter Strasser das Anthropozän scheitern: Der Mensch zerstört seine Lebensgrundlagen. Retten könnte uns nur der Humanismus – wäre er nicht wider die menschliche Natur.
Er hat ein apokalyptisches Bild vor Augen: "Die Hölle" aus dem Gemäldezyklus von Hieronymus Bosch "Der Garten der Lüste". Ein Ausschnitt daraus illustriert auf dem Buchdeckel seine Frage: Geht die Epoche des Menschen zu Ende? Er weiß es nicht, rechnet aber damit und fände es nicht einmal schade, sollte dessen teuflische Party ungebremst weitergehen.
Nicht verwunderlich vielleicht, weil Peter Strasser sich auf Ethik, Metaphysik, Religion und Recht spezialisiert hat. Er lehrt, mittlerweile emeritiert, am Institut für Rechtsphilosophie der Karl-Franzens-Universität Graz, schreibt Bücher und Zeitungskolumnen.
Die Idee eines friedlichen Kollektivs
Auch nennt er sich einen Liberalen, der sich auf konservative Werte besinnt. Kühl gelte es, im Sinne der Aufklärung gegen Demagogie und Aberglauben, Dummheit und Machtmissbrauch zu argumentieren. Doch kaltes Philosophieren – da setzt er den Unterschied – befremdet ihn. Ohne menschliche Wärme, ohne die Ängste der Menschen ernst zu nehmen, ließe sich nicht über eine überhitzte Moderne reden.
Für Strasser ging aus einem "dialektischen Zusammenspiel von Aufklärung, Humanismus und Christentum" die Idee eines friedlichen Kollektivs hervor, in dem sich der Einzelne frei bewegen und entfalten kann, weil ihm Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität sicher sind, bis hin zu unverbrüchlichen Menschenrechten und sozialem Schutz, zudem Bildung und Wahrheit.
Abwärtsspirale bis zum Kollaps
Diese Werte sind nicht nur ideologisch umstritten. Vielmehr sieht er sie ernsthaft gefährdet. Und weil sie für ein kulturelles Erbe stehen, das es zu bewahren gelte, bezeichnet er sie als konservativ. Kurzgefasst: Der Markt ist wahrlich nicht alles. Zugleich hält er dadurch jene Konservativen auf Distanz, die immer schon antiliberal, antidemokratisch und antiegalitär waren, mit der Zeit aber von der Neuen Rechten beerbt worden sind. Um die Abwärtsspirale nach zwei Weltkriegen, das hysterische Treiben im gegenwärtigen "Garten der Lüste" drastisch zu beschreiben, hat er eine Reihe von Zeitungsessays aufbereitet, die zwischen 2016 und 2019 erschienen sind.
Maßloser Ressourcenverbrauch und ein enormer Schadstoffausstoß treibe die Erde zum Kollaps. Quer über den Globus gehe die wirtschaftliche wie die soziale Schere weit auseinander. Gleichzeitig begrabe Big Data die Ideale vom autonomen Leben in einer freien Gesellschaft, bevor sich Mensch und Maschine in der Epoche der Cyborgs unauflösbar verschmelzen.
Pandemie als Denkzettel für Überheblichkeit
Unerwartet trete eine Naturgewalt als böser Feind dazwischen, diesmal eine Pandemie, die alles durcheinanderbringt und der Überheblichkeit einen Denkzettel verpasst. In einer kollektiv hochgestressten Umgebung, so befürchtet Peter Strasser, würden jedoch andere Menschen als Bedrohung empfunden, gegen die man sich zur Wehr setzt. Weswegen er sich fragt, wie belastbar zivilisatorische Vernunft ist? Wären privilegierte Bewohner der Konsumoasen im Ernstfall bereit, Einschränkungen hinzunehmen? Wie lange halten Gesunde es aus, solidarisch mit Gefährdeten zu sein? Wird das Virus am Ende zum Brandbeschleuniger?
Gerade in den freien, prosperierenden Staaten des Westens drücke sich Unzufriedenheit in militantem Ideengut aus. Es gelinge dann nicht mehr, Hass im Parteienstreit demokratisch zu bändigen. Vielmehr richte dieser sich umgekehrt gegen alles Demokratische, verstärkt durch anonyme Resonanz aus dem Internet. Dem populistischen Wettlauf um die Wutbürger attestiert der österreichische Philosoph systemsprengende Schubkraft.
"Vorwärts nach hinten" ist keine Lösung
Mit der erzreaktionären Parole "Vorwärts nach hinten" bekämpfe ein neuer Nationalismus den europäischen Gedanken, weil er Grenzen und Abgrenzung, innere und äußere Feinde braucht, um Gemeinschaftsgefühle zu erzeugen. Vielen dauere der Frieden wohl schon zu lange, argwöhnt Peter Strasser. Kultur dagegen setze nicht nur eigene Identität voraus, sondern benötige ungehinderten Austausch.
Für einen Angriff auf die Vernunft hält er den Wahrheitsrelativismus, der Gesinnungskampagnen aller Art zu eigen sei. Dieser kennt viele, zuweilen "alternative" Wahrheiten, auch jene aus dem Bauch – oder schlichte Lügen. Die eine Wahrheit anzustreben, erscheint dem Wahrheitsleugner wahlweise intolerant, typisch westlich oder autoritär.
So bleibt der Humanist nach Peter Strasser ein ewig Unzeitgemäßer. Er dient der Aufklärung, nicht der Vision des Übermenschen – und beherzigt, dass Zivilisation stets nur eine dünne Schicht auf der Haut des Menschen bildet.