Peter Wawerzinek in Dresden

Stadtschreiber in Zeiten von Pegida

Der Autor Peter Wawerzinek im März 2014.
Der Autor Peter Wawerzinek im März 2014. © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Peter Wawerzinek im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Er habe die Dresdener bislang als "gemütlich, mit einem gewissen pfiffigen Hintersinn" erlebt, sagt der Schriftsteller Peter Wawerzinek. Wie die Bewohner von Elb-Florenz heute ticken, wird er ab dem Sommer auskundschaften: Er wird Stadtschreiber von Dresden.
Wie sehr der Ruf Dresdens durch Pegida gelitten hat, zeigt sich auch an der Anzahl der Bewerbungen auf den Posten des Dresdner Stadtschreibers 2016: Hatten sich im vergangenen Jahr noch knapp 100 Schriftsteller beworben, waren es in diesem Jahr nur 33. Den Zuschlag bekam Peter Warwezinek, bekannt unter anderem durch seine Romane "Der Schluckspecht" und "Rabenliebe", für den er 2010 mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde.
"Ich werde ja dauernd auch angeschrieben, Unterschriften zu leisten, da und dort und da dagegen zu sein. Da sind immer Autoren dabei, das sind immer die gleichen Namen, und ich habe dann gedacht: Ja, wo sind sie denn jetzt alle? Warum haben sie denn jetzt Angst, nach Dresden zu gehen?"

"Klaus + Peter" berichten aus Dresden

Wawerzinek vermutet, es liege am schlechter werdenden gesellschaftlichen Klima in Dresden und dass die Leute keine Lust haben, sich mit den Entwicklungen dort auseinanderzusetzen.
"Ich finde das immer besser, nicht von der Raumfahrt zu reden, sondern selber Kosmonaut zu sein. Und ich begebe mich da einfach rein in diesen Raum."
Er wolle von der Zeit in Dresden berichten, sagt Wawerzinek. Dazu werde die Kolumne "Klaus + Peter" wiederbelebt, die er bis vor einigen Jahren mit seinem Freund und Kumpel Klaus Fiedler für die "Berliner Zeitung" geschrieben hatte, - in Form von "Klaus + Peter unterwegs":
"Wir werden uns also auch gleich beim Elbhangfest mit unter die Leute mischen, wir werden auch gleich ganz verschiedene Routen in Dresden abgehen, die Ohren aufsperren, die Augen aufsperren, hinhören, auch mal genauer hinsehen, was steht da wirklich geschrieben, dann auch in Kneipen gehen, dann sehen und hören, was da so geredet und gemacht und gemacht wird."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Wer als Dresdner etwas werden will, muss rechtzeitig die Stadt verlassen – allein schon des Sandsteins wegen, der nach Worten eines, der die Stadt auch verließ, alles weich macht, was hier aufwächst. Dieser Satz stammt von dem wohl bekanntesten Dresdner Gegenwartslyriker, von Thomas Rosenlöcher.
Umgekehrt aber schien es nie ein Problem zu sein, Menschen von außerhalb, Schriftsteller zumal, in die barocke Stadt an der Elbe zu locken. Gerade wenn noch eine schöne Wohnung und ein kleines Stipendium als Stadtschreiber lockt. Doch das scheint nun anders, Pegida sei Dank. Denn während sich noch im vorigen Jahr 100 Autoren beworben haben, die Stadtschreiber von Dresden werden wollten, waren es in diesem Jahr gerade mal 33.
Einer, der sich beworben hat und nun auch Dresdner Stadtschreiber 2016 wird, also solcher berufen wurde, das ist der Schriftsteller Peter Wawerzinek, Jahrgang 1954, geboren in Rostock. Als Kind von seiner Mutter, die in den Westen ging, verlassen, ist er mit seinem Bruder in DDR-Heimen und Pflegefamilien aufgewachsen.

"Warum haben sie Angst, nach Dresden zu gehen?"

Und die Erlebnisse dort, die hat er in seinem Roman "Rabenliebe" – haben Sie ja vielleicht gelesen – verarbeitet. Peter Wawerzinek wurde auch mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Vor der Sendung habe ich mit ihm gesprochen. Herr Wawerzinek, haben Sie sich über die geringe Resonanz für das Stadtschreiberstipendium unter Ihren Kollegen gewundert?
Peter Wawerzinek: Ja, es hat mich einfach so weit erschreckt, dass ich gedacht habe … Ich werde ja dauernd auch angeschrieben, Unterschriften zu leisten, da und dort und da und da dagegen zu sein, da sind immer Autoren dabei, da sind immer die gleichen Namen. Und ich habe dann gedacht, wo sind sie denn jetzt alle, warum haben sie denn jetzt Angst, nach Dresden zu gehen?
von Billerbeck: Und wie lautet Ihre Antwort?
Wawerzinek: Ja, ich denke mir schon, dass das so mit dem zusammenhängt, was da eben läuft, dass das Klima in Dresden, wie die Dresdner selber sagen, schlechter geworden ist, dass sich die Leute quasi mit den Zuständen oder den Entwicklungen dort nicht auseinandersetzen wollen. Ein Stadtschreiber muss ja gar nichts machen, der muss ja nur die Wohnung beziehen, das Geld empfangen und dann kann er machen, was er will.
Aber ich bin ja mehr so ein Typ, der an den Ort geht und dann da auch irgendwie mich umhören will, mit dabei sein will, schon von der Zeit dann auch berichten will, was ich da so erlebt habe, wie mir die Stadt vorkommt. Und ich habe jetzt auch gerade das dritte Manuskript weggegeben dieser Trilogie nach "Rabenliebe", "Schluckspecht", jetzt kommt die Liebe dran und die Zuneigung und so weiter. Also, das ist ein guter Ort, ich muss nichts machen, ich kann mich dieser ganzen Sache voll widmen.
von Billerbeck: Aber nichts machen, das macht ja ein Schriftsteller meist nicht, er macht ja immer was, auch wenn er jetzt nicht sofort was abliefert. Was wollen Sie denn machen in dieser politisch gespaltenen Stadt Dresden?

Wiederauferstehung von "Klaus + Peter"

Wawerzinek: Ja, ich habe auf jeden Fall jetzt, sagen wir mal … Nach acht neun Jahren bin ich ja früher durch Berlin gegangen mit meinem Freund und Kumpel Klaus Fiedler und ich habe erst mal schon gedacht, das beleben wir wieder neu, "Klaus + Peter unterwegs".
Wir werden uns also auch gleich beim Elbhangfest mit unter die Leute mischen, wir werden auch gleich ganz verschiedene Routen in Dresden abgehen, die Ohren aufsperren, die Augen aufsperren, hinhören, auch mal genauer hinsehen, was steht da wirklich geschrieben, dann auch in Kneipen gehen, dann sehen und hören, was da so geredet und gemacht und gemacht wird.
Also, freut mich auch, dass das wiederbelebt wird, dass Klaus und Peter wiederauferstehen quasi in dieser wichtigen Zeit und auch dieser wirklich gesellschaftlich prägnanten Metropole Dresden.
von Billerbeck: Man wird Sie also auch bei Pegida-Demonstrationen als Beobachter sehen?
Wawerzinek: Gestern hatte ich irgendwie in der Nacht so einen Wahneinfall, eine Rede zu halten, wo sie erst alle zujubeln, und dann wechsele ich die Tonart und dann pfeifen sie mich aus! Nein, wir werden uns das auch angucken und ich habe ja auch schon einiges über fern gesehen, aber ich finde das immer besser, nicht von der Raumfahrt zu reden, sondern selber Kosmonaut zu sein.
Und ich begebe mich da einfach rein, in diesen Raum, der jetzt für mich erst mal noch nur Nachrichten-, Informationsraum ist. Und wie ich auch jetzt in dem Text geschrieben habe für den "Tagesspiegel", war, dass ich ja nur große Erinnerungen an Dresden habe, die ganz, ganz, ganz lange, Jahrzehnte zurückliegen und … Na ja.

Wunderbares Dresden der Kindheit

von Billerbeck: Erzählen Sie uns doch mal was davon, was sind denn die Erinnerungen an Dresden, die Sie ja vielleicht auch dahin gezogen haben?
Wawerzinek: Ja, da können wir auch gleich anknüpfen, das ist unmittelbar … Nach der Heimkindzeit bin ich ja dann das Lehrerkind geworden, Stadtkind, und dann gab es die ersten Urlaube, die richtigen Ferien. Das war ja im Kinderheim nicht so. Und die gingen eben nach Dresden. Also, ich war als erste große Stadt von Bad Doberan aus, an der Ostsee gelegen, in so einer großen Stadt und da waren also wunderbare Fontänen, große, weite Plätze, barocke Bauten, Museen…
Und ich bin da überall mitgenommen worden von meinem Vater, also Adoptivvater, und weiß noch die Brühlsche Terrasse, wo ich dann Höhenangst hatte, da hat er mich dann wegziehen müssen, weiß noch den Kirschkern mit den vielen, vielen, vielen Gesichtern, August der Starke… Das hat mich alles…
von Billerbeck: ...im Grünen Gewölbe den Kirschkern …

Gemütlich mit pfiffigem Hintersinn

Wawerzinek: Ja, das hat mich alles sehr, sehr begeistert. Ich habe da Fotos gemacht, habe auch extra eine Kamera geschenkt bekommen, um Fotos zu machen, und dann von da aus ging es ins Elbsandsteingebirge und dann von da aus bis über die Grenze nach Prag, Budapest. Also, da war Dresden die erste Zwischenstation, als ich dann Jugendlicher war, 17, 18, 19, 20, als wir getrampt sind… Die ersten großen Konzerte … Bei mir war es ja Czeslaw Niemen aus Polen, der hat ein Riesenkonzert gegeben, in Dresden …
von Billerbeck: "jednego serca"…
Wawerzinek: Ja, "jednego serca tak malo" und so weiter, und auch diese revolutionsgefallene Rhapsodie oder… für Bem… Also, das ist ja ein ganz langes Rockpopmusikstück gewesen. Also, ich hatte auch dann gute Kumpels in Dresden-Neustadt, gute, engagierte Leute. Und ich fand die Dresdner bisher von der Art und Weise auch immer gemütlich, mit einem ganz gewissen pfiffigen Hintersinn… Und mal gucken! Soll ja jetzt alles ein bisschen anders geworden sein.

Stadtschreiber von Juni bis November

von Billerbeck: Dann lassen wir uns von Ihnen berichten, wir werden sicher von Ihnen hören. Sie sind ja Stadtschreiber von Juni bis November, da haben wir vermutlich mehrfach Gelegenheit. Peter Wawerzinek war das, der Schriftsteller.
Wawerzinek: Auf jeden Fall!
von Billerbeck: Danke Ihnen für das Gespräch, das war also der 2016er Dresdner Stadtschreiber Peter Wawerzinek. Danke Ihnen! Und das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Wawerzinek: Ja, bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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