"Ohne Textverständnis kommt man nicht aus"
In Deutschland kann knapp ein Fünftel der Viertklässler einfache Texte nicht verstehen. Die Autorin Kirsten Boie hat deswegen nun eine neue Initiative gestartet - und fordert die Politik auf, bundesweite Standards in der Leseförderung zu etablieren.
"Jedes Kind muss lesen lernen!": Diese Selbstverständlichkeit hat es dank eines verbesserungsbedürftigen Bildungssystems in Deutschland zur politischen Forderung geschafft.
Ab heute kann man sich der Initiative auf der Plattform change.org anschließen. Initiatorin ist die Kinderbuch-Autorin Kirsten Boie, die sich angesichts der letzten Iglu-Studie "erschrocken" hat: Demnach wissen knapp ein Fünftel (18,9 Prozent) der Viertklässler nicht, was sie gelesen haben, wenn sie etwas gelesen haben. Sie verstehen also schlicht einfache Texte nicht.
Der Aufschrei kam nicht
Sie habe mit einem Aufschrei gerechnet, sagte Boie im Deutschlandfunk Kultur. Der kam aber nicht. Deswegen habe sie dann die Petition gestartet. Boie hofft nun, dass sie einen gesellschaftlichen Diskussionsprozess anschieben kann, damit sich die Politik mehr bei der Leseförderung engagiert. "Ohne Textverständnis kommt man nicht aus", betonte sie.
Die Autorin empfiehlt einen Blick nach Hamburg. Die Stadt habe schon sehr viel in Sachen Sprachförderung unternommen, so müssten alle Kinder eine vorschulische Einrichtung besuchen, die Schulbehörde kooperiere mit den öffentlichen Büchereien.
Obwohl Hamburg einen hohen Anteil von Schülern habe, die sonst bei der Iglu-Studie eher schlecht abschnitten, stehe der Stadtstaat bei der Lesekompetenz besser als andere Bundesländer da, sagte Boie. In der Hansestadt seien es nur 14 Prozent der Viertklässler, die nicht "sinnentnehmend" lesen könnten.
Mehr Förderung in Kleingruppen, mehr Grundschullehrer
"Das ist immer noch viel zu viel", betonte die Autorin. Allerdings liege Bremen bei 20 Prozent und Berlin bei 25 Prozent. "Da sieht man, dass Maßnahmen greifen können", sagte Boie. Alle Länder müssten jetzt analysieren, welche Fördermaßnahmen sich bisher als erfolgreich erwiesen hätten - dann müssten neue Standards geschaffen werden, die bundesweit gelten.
Zu den Erstunterzeichnern der "Hamburger Erklärung" gehören auch die Schriftstellerin Ulla Hahn, Moderator Ulrich Wickert, PEN-Zentrum-Präsidentin Regula Venske, Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter und der Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, Kent Nagano. Sie fordern frühzeitige Fördermaßnahmen in Kleingruppen an den Grundschulen und mehr Studienplätze für angehende Lehrer, um ausreichend Grundschullehrer einstellen zu können. (ahe)
"Der Schlüssel zu Bildung ist Leseverständnis" – Interview mit Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes