Viel Wasser und wenige Schäfchen
Die Hallig Langeneß hat rund 120 Einwohner – und seit 22 Jahren den gleichen Pfarrer. Im Sommer kümmert er sich um die vielen Touristen, im Winter lebt er wie alle Inselbewohner zurückgezogen auf der Kirchwarft, einem künstlich aufgeschütteten Hügel.
Das Gotteshaus liegt einigermaßen sturmflutsicher auf der Kirchwarft. Den Sturm, der draußen tobt, hört man auch noch in der Kirche, die innen sehr hell ist: durch die großen Fenster, die nach Süden ausgerichtet sind, fällt viel Licht. Die wertvollsten Gegenstände stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, der großen Zeit der Walfänger. Matthias Krämer ist hier Halligpfarrer.
"Die Einrichtung der Kirche, Altar, Kanzel, Deckenmalereien, das ist alles gestiftet von Menschen, die im Walfang waren und Geld verdient haben. Als sich die Wale zurückgezogen hatten, waren die Menschen teilweise sogar mehrere Jahre unterwegs. Es war eine gefährliche Arbeit, der Walfang, ein Drittel der Menschen ist gar nicht zurückgekommen. Wer zurückgekommen ist und Geld verdient hat, der konnte natürlich auch Dinge stiften."
In der Mitte der Kirche hängt – wie in allen Halligkirchen – ein Votivschiff, als Verbindung zu allen einheimischen Seeleuten, die gerade auf dem Meer unterwegs waren.
"Man hatte damals ja noch nicht Handy und so was, und über jeden jederzeit genaue Erkundigungen, wo er sich aufhält und wie es ihm geht, sondern diese Zeit der Ungewissheit, dafür steht dieses Schiff auch, dass der Mensch mit da ist, dass man füreinander betet und an ihn denkt und ihn mit dabei hat in den Gottesdiensten."
Der Pfarrer packt sich ein wie ein Polarforscher
Die Kirche in Langeneß wurde 1894 umgebaut. Das östliche Drittel des Vorgängerbaus wurde damals abgetrennt - und als Schule genutzt. Von dem Umbau waren auch die Deckenmalereien betroffen:
"Sie zeigen Szenen aus dem alten und neuen Testament: es geht mit Adam und Eva los und geht dann bis zum Verhör Jesu. Das ist natürlich ein etwas abrupter Schluss für so einen Zyklus, der durch das Alte und Neue Testament kommt. Aber das kommt daher, dass der Vorgängerbau länger war. Wir sind also eine Kirche ohne Auferstehungsdarstellung."
Eine Kirche, in der die Verkündigungsbilder quasi am Gründonnerstag enden. Die sechs fehlenden Deckenbilder hat die Gemeinde offenbar Ende des 19. Jahrhunderts verkauft.
Matthias Krämer ist nicht nur Seelsorger auf Langeneß, sondern auch zuständig für die Halligen Oland und Gröde. Nach Gröde muss er mit dem Schiff, seine Gemeinde in Oland kann er mit der Kirchenlore besuchen, die mit einem Benzinmotor angetrieben wird.
Mit selbstgebauten einfachen Schienenfahrzeugen können die Langeneßer über einen Damm zur Hallig Oland und bis zum Festland nach Dagebüll fahren.
Eingepackt wie ein Polarforscher macht sich der Pfarrer auf den Weg nach Oland. Seine Dienstlore erinnert ein wenig an die kleine Lokomotive von Jim Knopf aus der Augsburger Puppenkiste.
"Also 15 Stundenkilometer sollen wir fahren. Man kann wohl auch 25 fahren. Also man kann auch sagen, sie fährt zu schnell, wenn man es übertreibt - denn man sollte nicht schneller fahren als man im Ernstfall fliegen möchte, wenn man doch irgendwo hängen bleibt und die Lore aussetzt."
In einer Viertelstunde haben wir Oland erreicht. Vom kleinen Lorenbahnhof führt der Weg hinauf auf die Warft – vorbei an Deutschlands einzigem reetgedeckten Leuchtturm.
Die 1824 erbaute Kirche ist – vor allem im Sommer – ein Touristenmagnet. Das Gotteshaus ist ein Kleinod. Auch wenn es nur Platz für rund 60 Menschen bietet, sind die Bänke nie alle besetzt, sagt der Pastor:
"Das ist Heilig Abend, wenn man’s nicht kennt, ein ungewohntes Gefühl, weil die Kirche einfach nicht voll ist. Die ist auch nicht vollzukriegen, wo sollen die Leute herkommen? Selbst wenn alle Oländer kommen Heilig Abend, ist da immer noch Platz, und so viele Gäste haben sie am Heiligen Abend auch nicht. Auch wenn die alle noch kommen, ist immer noch Platz."
Auf Gröde ist schon am 23.12. Heiligabend
Früher ist Matthias Krämer am Heiligabend mit dem alten Postschiffer alle drei Halligen angefahren. Der neue Schiffer will aber an Weihnachten seine Ruhe haben. Deshalb haben die Gröder im vergangenen Jahr schon am 23. Dezember Heiligabend gefeiert.
"Da war ähnliches Wetter wie heute, das ‚Land unter‘ hat sich schon angekündigt. Wir sind dann mit dem Festland-Versorgungsschiff losgefahren. Wir wussten schon: wenn wir ankommen, gleich Gottesdienst, nicht erst auspacken. Und so war es auch – der Bürgermeister hat noch gesagt: gar nicht erst umziehen, gar nicht meinen schwarzen Anzug anziehen, nur den Talar über, dann gleich den Gottesdienst. Und dann haben wir auch bei den Liedern nicht alle Strophen gesungen von Paul Gerhardt, sondern ein paar weniger. Und dann fingen die Halligen auch schon überzulaufen, also das Wasser lief auf die Straßen… und dann haben mich der Bürgermeister und der Vorarbeiter mit einem Radlader nach unten zum Schiff gebracht. Und wir waren auf dem Anleger und dann kamen die Schauer und dann gingen die Brecher so zwei Meter über einen weg. Da musste man sich erst mal festhalten, und dann habe ich versucht, das Schiff zu erklimmen und habe mich mühsam unter der Reling durchgeschlängelt. So ist Weihnachten auf der Hallig."
Auf Oland besucht der Pastor heute einige Gemeindemitglieder. Er kennt seine Schäfchen auf den Halligen alle persönlich. Bei Beerdigungen sei das manchmal schwierig wegen der emotionale Nähe:
"Da muss ich fast sagen fehlt ein bisschen die professionelle Distanz, die vielleicht nötig wäre, um auch den Angehörigen ein wirkliches Gegenüber sein zu können."
Claudia Nommensen ist die Küsterin auf Oland. Hier leben gerade mal 15 Einwohner.
"Man muss tolerant sein. Das fällt nicht schwer, mit 15 Leuten kommt man ja leicht aus."
Die Gemeinde Oland hat einen eigenen Kirchenvorstand – mindestens sieben müssen es laut Kirchenordnung sein. Also sitzt die Hälfte der Gemeinde im Vorstand. Die Kirche sei für die Hallig sehr wichtig, meint Claudia Nommensen.
"Weil es für uns nicht nur ein Ort der Stille und der Einkehr ist, sondern es ist natürlich auch eine touristische Attraktion."
Nicht nur wegen der touristischen Attraktion leistet sich die Nordkirche einen Pfarrer für rund 100 Gemeindemitglieder. Die Kirche will auch Präsenz zeigen und die "Halliglüüt" nicht im Stich lassen – auch nicht im Winter.