Spirituelle Klimaarbeit
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Pilgern für die Rettung des Klimas? Für Thomas Zeitler gehören solche Aktionen zur Gemeindearbeit: Der Nürnberger Pfarrer will Hoffnung geben, statt Klimapanik zu verbreiten. Privat engagiert er sich bei der Bewegung "Extinction Rebellion".
Thorsten Jabs: Unter dem Stichwort "Green Deal" hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon zum Amtsantritt den Klimaschutz zu einem ihrer wichtigsten Themen gemacht. In dieser Woche hat sie noch einmal nachgelegt und in ihrer Rede zur Lage der EU im Europaparlament vorgeschlagen, das Tempo anzuziehen. Der Ausstoß von Treibhausgasen in der EU soll bis 2030 um mindestens 55 und nicht wie zuvor angedacht um 40 Prozent unter den Wert von 1990 fallen – ein ambitioniertes Ziel, das vielleicht auch dem Druck von Umweltschutzbewegungen wie "Fridays for Future" geschuldet ist.
Eine weitere Bewegung ist "Extinction Rebellion". Sie hat sich zum Ziel gesetzt, durch Mittel des zivilen Ungehorsams Umweltschutzmaßnahmen zu erzwingen. Dafür engagiert sich auch der evangelische Pfarrer Thomas Zeitler von der Egidienkirche Nürnberg. Guten Tag, Herr Zeitler!
Thomas Zeitler: Ja, schönen guten Tag, Herr Jabs!
Kritik an neuen EU-Klimazielen
Jabs: Herr Zeitler, wie haben Sie auf die Ankündigung der EU-Kommissionspräsidentin reagiert?
Zeitler: Ich muss gestehen, dass ich an dem Tag pilgernd unterwegs war, in der Natur draußen mit Kollegen, und dann erst am Abend von den Zielen gehört habe. Wir sind natürlich als Bewegung "Extinction Rebellion" erst mal erfreut, wenn sich in der Politik was bewegt. Sie haben es erwähnt, wir hoffen, dass soziale Bewegungen da was voranbringen.
Wir sind natürlich mit den Zielsetzungen, trotz dieser Verschärfung, wie Sie sagten, lange nicht zufrieden, denn die wissenschaftlichen Ergebnisse, die wir vorliegen haben, auf die wir uns beziehen, sagen eigentlich, dass wir ein Netto-Null-Ergebnis brauchen für das Jahr 2025. Davon sind natürlich selbst diese Verschärfungen weit entfernt von dem, was wünschenswert wäre für uns.
Engagement für die Schöpfung
Jabs: Wie sind Sie dazu gekommen, sich für den Klimaschutz zu engagieren, wie hat das bei Ihnen angefangen?
Zeitler: Das liegt bei mir tatsächlich auch an meiner Stelle, mit der ich nach Nürnberg gekommen bin. Ich war hier über sieben Jahre in einer Basisgemeinde, die innerhalb der Landeskirche angesiedelt ist, die also schon seit den 80er-Jahren ganz stark engagiert ist in den Themen zum konziliaren Prozess, eben Gerechtigkeit und auch Bewahrung der Schöpfung.
Für uns war damals eigentlich die Vollversammlung von Busan 2015 und der Klimagipfel in Paris so ein Aufwacher, zu sagen: Wir müssen uns in dem Feld stärker engagieren. Seitdem haben wir kontinuierlich spirituelle Klimaarbeit bei uns angesiedelt.
"Extinction Rebellion" durch Freunde entdeckt
Das heißt, wir sind jedes Jahr klimapilgern gegangen hier im Umland, haben Nachhaltigkeitsprojekte besucht und uns mit ihnen vernetzt. Wir haben Exerzitien angeboten, die bewusst auch den eigenen Lebensstil auf Nachhaltigkeit hin betrachten. Von daher war das jetzt sehr lange für mich einfach auch Berufsalltag zu schauen, wie wir als Christinnen und Christen auf einer geistlichen Grundlage aktiv werden können.
Extinction Rebellion habe ich dann erst ein bisschen später für mich entdeckt, gibt es ja auch erst seit zwei Jahren, weil ich eine starke Beziehung rüber nach England habe, wo es ja entstanden ist, wo Freunde, Freundinnen von mir da in dieser ersten großen Brückenbesetzung in London dabei waren und ich selber in einem alternativen College einen Kurs gemacht habe, der mir noch mal so einen Push gegeben hat.
Ich möchte wirklich mit der Energie, die ich privat und ehrenamtlich auch zur Verfügung habe, in diese Bewegung reingehen, weil sie mich eigentlich am meisten überzeugt von den Menschen in meiner Situation.
Ich bin kein Schüler mehr, von daher: Die "Fridays" scheiden aus. Ich bin jetzt auch keiner, der wie "Ende Gelände" in die Grube fährt sozusagen, mit etwas härteren Aktionen, sondern "Extinction Rebellion" überzeugt mich sehr von seinem Ansatz.
Ermutigung zu einem erneuerten Lebensstil
Jabs: Müssen sich aus Ihrer Sicht nicht alle Christen mehr für die Umwelt einsetzen, um Gottes Schöpfung zu bewahren?
Zeitler: Ja, mit diesem Müssen, Sollen geht es schon los. Wir sind es eigentlich sehr gewohnt, dass wir moralistisch an diese Frage rangehen und immer sagen, wir müssen doch eigentlich, wenn man so will, ökologisch sündenfrei leben und das den Menschen vorhalten und Erwartungen formulieren. Das ist natürlich auch in spirituellem Sinne kein guter Weg, weil er eigentlich – ich sag's jetzt mal als evangelischer Theologe – über das Gesetz arbeitet, also dass wir Forderungen stellen, hinter denen wir immer zurückbleiben, die uns frustrieren, die uns Angst machen.
Ich denke, ein sinnvoller spiritueller Weg, der Menschen mitnimmt und das natürlich möglichst in die Breite mitnimmt, wäre eine Ermutigung zu einem erneuerten Lebensstil, der als befreiend und beglückend erfahren wird. Dazu gehört natürlich eher wieder eine Neuentdeckung von Schöpfungsspiritualität, von Verbundenheit, auch von einer Form von Genügsamkeit, die aber eben nicht als Forderung auftritt, sondern eigentlich als ein guter, wohltuender, ausreichender, glücklich machender Lebensstil.
Der Mensch bringt Ökosysteme zum Kippen
Ich sehe schon, dass eigentlich ein zivilisatorischer Umbruch für uns nötig ist, der sehr, sehr weit reicht und vielleicht weiter reicht, als es politische Programme jetzt der EU und von Frau von der Leyen von uns fordern. Und da ist dann Kirche ein wichtiger Partner, mitzudenken oder auch eine neue Kultur zu entwickeln, würde ich sagen.
Jabs: Mal eine ketzerische Frage: Ist Plastik, ist Öl, sind Verbrennungsmotoren nicht eigentlich auch Gottes Schöpfung?
Zeitler: Ja, klar, weil es ja alles vorhanden ist und da ist. Die Frage ist für uns ja eher: Ist das im Gleichgewicht? Also ist das, was mal eingelagert war, so wie wir es wieder freigesetzt haben an CO2, wie wir es eben weiterverarbeitet haben und eben nicht veredelt, sondern eher problematisch verarbeitet haben, hat das nicht Prozesse aus dem Ruder laufen lassen?
Und das ist ja das, was wir erleben. Es kam gerade die Meldung: Der Golfstrom schwächt sich ab. Wir haben die ganze Frage vom Jetstream, wir haben diese Kipppunkte im Ökosystem, da sind wir tatsächlich Verursacher, die es schaffen, ein stabiles System innerhalb von 200 Jahren mit der Industrialisierung ans Kippen zu bringen. Und da wird es problematisch.
Christen machen Hoffnung gegen Klimaangst
Jabs: Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Menschen, mit den Gläubigen auch, mit denen Sie sprechen? Klappt das, diese spirituelle Verbindung zum Klimaschutz herzustellen?
Zeitler: Ja, ich habe auch viele Kontakte zu Studierenden hier, in die Studierendenarbeit hinein, und meine Erfahrung ist da genau diese, dass das Bewusstsein bei vielen da ist, sie wissen genau, was der Stand der Dinge ist und was eigentlich nötig wäre. Aber wir leben eben in Routinen, die uns auch gefangen halten, wir leben in Blockaden. Die Schritte zu gehen, die das dann doch ernst machen mit bestimmten Vorsätzen, ist schwierig.
Und ich erlebe es als eine große Dankbarkeit, wenn man zum Beispiel in der Gruppe unterwegs ist, über Ängste sprechen kann, wenn man gemeinsam neue Verhaltensweisen ausprobiert, sich da auch unterstützt und stärkt und Tipps weitergibt und merkt, die ganze Thematik von Hoffnung, die wir als Christinnen, Christen mitbringen können, gegen so etwas wie Klimapanik oder Klimaangst, die ja ganz berechtigt im Raume ist, die ist eine starke Kraft, die Menschen dankbar entgegennehmen. Das habe ich in dem Feld sehr erlebt.
Es gibt natürlich auch Reaktionsmuster, die ihren alten Lebensstil eher verteidigen und dann eher sagen, na ja, ich weiß, diese Kreuzfahrt sollte ich nicht machen, aber letztlich wird sie dann doch gemacht. Oder diese Flüge, die ich nicht machen sollte, werde ich doch tun. Da kann man wahrscheinlich über Druck nicht arbeiten.
Ich hoffe sehr auf Einsicht, und die Einsicht kann natürlich nur wachsen, wenn wir die Dramatik der Lage auch sehr ungeschminkt in die Öffentlichkeit bringen als eine Diagnose, die auch im Gestus der Prophetie eigentlich zur Umkehr ruft. Und das ist auch ein spirituelles Geschäft.
Ökologie und Kultur: ein Erdfest für die Künste
Jabs: Herr Zeitler, Sie sind an der Egidienkirche in Nürnberg für das Kunst- und Kulturprofil zuständig. Welche Rolle spielen denn dabei Klimaschutz oder auch andere politische Themen?
Zeitler: Also, ich verstehe Kultur und Natur nicht als Gegensatz, sondern es geht ja eigentlich darum, Natur zu kultivieren. Wir haben zwei Schienen, auf denen wir da momentan arbeiten. Wir sind zum Beispiel Gastgeber für ein Depot der solidarischen Landwirtschaft. Also aus unserer Kirche tragen jede Woche 30 Haushalte frisches Biogemüse hinaus, das sie auf dem regionalen Bauernhof hier bekommen. Da ist das Bewusstsein für diese ökologischen Themen auch einfach verankert.
Und in der Kulturarbeit wird Nachhaltigkeit auch ein wichtiges Thema immer mehr. Es gibt eine Künstlerin, Hildegard Kurt, die vor einigen Jahren eine Initiative gestartet hat, jedes Jahr ein Erdfest zu feiern, wo genau diese Themen eben mit künstlerischen Produktionen zusammenkommen, und die Spur wollen wir auch dann bei uns stärker verfolgen und da auch Akzente nach außen setzen.
Ziviler Ungehorsam als Privatperson
Jabs: "Extinction Rebellion" schreibt sich ja auch gerade zivilen Ungehorsam auf die Fahnen, um Missstände aufzuzeigen. Wie ist das einerseits mit Ihrem christlichen Glauben und andererseits mit Ihrer Arbeit als Pfarrer vereinbar?
Zeitler: Als Pfarrer würde ich jetzt erst mal sagen: Ich muss die Verantwortung für einen Akt des zivilen Ungehorsams erst mal auf mich als Person nehmen. Ich werde natürlich nicht in einem dienstlichen Auftrag jetzt nach Berlin fahren zum nächsten Rebellion-Rave und dort blockieren. Ich weiß, dass ich das für mich tue, mein Gesicht, meinen Namen, meinen Kopf da hinhalte und auch im Zweifel, wenn eine Regelverletzung doch zu einer Strafbarkeit oder zumindest zu einer Ordnungswidrigkeit wird, dass ich das dann auch verantworten muss.
Und das ist diese ethische Grundfrage, die jedes Widerstandshandeln in sich trägt: Wie weit will ich selber da gehen, bin ich bereit, auch – ich nenne jetzt mal auch diesen religiösen Begriff – ein Opfer zu bringen in gewisser Weise, um ein Thema politisch besser zu platzieren und da auch die nötige Aufmerksamkeit herzustellen.
Skeptische Stimmen aus der Landeskirche
Es ist tatsächlich so, dass diese Rolle auch kritisch beäugt wird, auch durchaus aus der Landeskirche. Ich habe im Moment den Rückhalt für das, was ich tue, ich bin aber auch nicht in so Extremsituationen geraten.
Ich erlebe es in England bei den Kolleginnen und Kollegen dort, die ja bei "Christian Climate Action" direkt angebunden sind bei "Extinction Rebellion". Dort sind es natürlich dann sehr viele Ruhestandspfarrer, die wirklich aus ihrer Überzeugung heraus sehr frei handeln können, weil sie keine Rücksicht mehr nehmen müssen auf die Institution und die Erwartungen an uns.
Ich will mich davon nicht fesseln lassen, ich glaube, es ist ein Zeitfenster da von, sagen wir, zehn Jahren, in dem wir umsteuern können, wo diese Hoffnung auch wirklich noch einen tragfähigen Grund hat. Danach wird es wirklich schwieriger werden, und da muss alles getan werden, was uns möglich ist, und ich sehe mich in dieser Organisation gerade am wirksamsten eigentlich.
Menschen überzeugen, auch wenn die Zeit knapp ist
Jabs: Und was könnte aus Ihrer Sicht oder sollte aus Ihrer Sicht die Kirche von Klimabewegungen lernen, oder müsste sie sich vielleicht noch viel mehr für die Umwelt einsetzen, auch politisch?
Zeitler: Ich bin da immer ein bisschen großzügig und gnädig mit dem, was Kirchenleitungen wirklich machen können. Sie können sicher keine ganz radikalen Positionen beziehen. Ich bin sehr zufrieden eigentlich mit dem, wie Klimathemen in unseren Kirchenleitungen verhandelt werden, und das Bewusstsein ist da.
Wir haben dann die Pflicht, die Umsetzungen zumindest für den eigenen Bereich wirklich auch sehr konsequent zu tun, also: Was heißt eine klimaneutrale Kirche als Organisation? Da gibt es sehr viele ausgearbeitete Modelle, die aber noch mit einem stärkeren kirchenpolitischen Druck eigentlich in die Umsetzung gehen müssten.
Ich erlebe aber sehr engagierte Umwelt- und Klimareferenten, sei es im hauptamtlichen Bereich oder im ehrenamtlichen Bereich. Das macht natürlich wieder die evangelische Freiheit, dass wir sozusagen nicht in einem Top-down-Prozess autoritär Maßnahmen durchsetzen können, auch nicht wollen, trotzdem den Weg gehen müssen, Menschen eigentlich eben zu überzeugen, mitzunehmen, zu motivieren, auch wenn die Zeit sehr knapp ist. Eine autoritäre Lösung ist auch nicht das, was "Extinction Rebellion" will.
Generationswechsel in der Ökologiebewegung
Ich bin jetzt bei der bayrischen Landeskirche. Es gibt seit zwei Jahren ein wirklich sehr gut ausgearbeitetes Klimaschutzkonzept im Bereich des Kirchenamtes, die Synode hat sich das angeeignet. Die Umsetzungsprozesse sind – und das ist jetzt wieder erschreckend – durch Corona zum Teil wieder ausgebremst, weil vieles an Versammlungen vor Ort, wo eben die Multiplikatorenarbeit gegangen wäre, erst mal ausgebremst ist. Aber ich denke, die Zielrichtung ist klar und wird eigentlich geteilt. Da bin ich relativ zufrieden.
Das Tempo kann man anziehen, und natürlich muss man die Gemeinden selber in die eigene Verantwortung rufen. Ich bin selber überrascht gewesen, nachdem ich mich ja eben eher auf dieser ein bisschen grenzwertigen oder auch bisschen mutigeren Richtung exponiert habe, dass mir jetzt auch angeboten wurde, in eine Verantwortung selber zu gehen als Umweltbeauftragter für den Kirchenkreis und quasi nach den Engagierten der ersten großen Ökowelle der 80er-Jahre, die da viel engagiert waren, jetzt auch einen Generationswechsel mit vorzunehmen. Und ich will mich dem auch stellen, von der einfachen Position, zu fordern hinüberzugehen, auch in das Gestalten. Das gehört ja irgendwie auch zusammen.
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