"Ein ganz anderes Verständnis von Religionsfreiheit"
Indonesien ist in diesem Jahr Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse. Wie Muslime, Christen, Buddhisten und Hindus in dem weltgrößten Inselstaat miteinander auskommen, davon berichtet die dort geborene Pfarrerin Aguswati Hildebrandt Rambe.
Anne Françoise Weber: Am Mittwoch beginnt in Frankfurt am Main die Buchmesse und Ehrengast ist in diesem Jahr Indonesien. Mit rund 220 Millionen Muslimen ist es das größte muslimische Land weltweit, aber über zehn Prozent der Bevölkerung gehören anderen Religionen an, evangelische und katholische Christen, Hindus und Buddhisten leben ebenfalls in ziemlich unterschiedlicher Verteilung auf den über 17.000 Inseln des Landes. Ich habe vor der Sendung mit Pfarrerin Aguswati Hildebrandt Rambe gesprochen. Sie ist in Indonesien geboren und aufgewachsen, sie hat dort evangelische Theologie studiert und wurde zur Pfarrerin ordiniert.
Vor 23 Jahren kam sie nach Deutschland und hier hat sie noch Islamwissenschaften studiert und in interkultureller Theologie promoviert. Heute teilt sie sich mit ihrem Mann die Projektstelle Evangelische Gemeinden anderer Sprache und Herkunft der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern. Zuerst habe ich Aguswati Hildebrandt Rambe gefragt, wie sie denn in ihrer Kindheit in Indonesien das Miteinander der Religionsgemeinschaften erlebt hat. Immerhin stammt ihre eigene Mutter selbst aus einer muslimischen Familie.
Aguswati Hildebrandt Rambe: Ja, ich bin ja geboren und aufgewachsen zu der Zeit von der Militärdiktatur Suharto, wo das große Inselreich Indonesien mit seinen mehr als 30 Ethnien in eine Form der Uniformität gebracht werden musste. Für mich war das Zusammenleben zu der Zeit so harmonisch nach dem Motto, wir dürfen nicht die unterschiedlichen Formen, sei es von Religionen oder von ethnischen Unterschieden, infrage stellen. Das heißt, alle kritische Auseinandersetzung wurde tabuisiert.
In diesem scheinharmonischen Alltag haben wir irgendwie auch so gelebt mit verschiedenen Anhängern verschiedener Religionen, mit muslimischen Nachbarn, friedlich, in Anführungszeichen. Man versuchte einfach, die Konflikte zu vermeiden, weil es tabuisiert wurde. Von daher ist das ganz anders als heutzutage, wo man darüber sprechen kann.
Weber: ...man darüber sprechen kann, aber es auch weiterhin offene Konflikte zum Teil gibt.
Hildebrandt Rambe: Das ist der Preis dafür. Damals hatte man einfach in vieler Hinsicht die Meinung vom Machthaber irgendwie geteilt, das heißt, man hatte kein eigenes Denken, es wurde nicht erlaubt. Ich bin ja aufgewachsen in einer multireligiösen Familie. Mein Schwager ist Hindu und ein anderer Schwager ist Muslim. Aber man hat keine Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen, man lebt einfach so. Und man hat einfach die Situation als selbstverständlich und als einen Teil unseres Alltags.
"Das Judentum wird nicht geduldet"
Weber: Ich habe in einem Lexikonartikel über Indonesien den Eintrag gefunden: "Der Staat garantiert freie Religionsausübung. In der Praxis hat jedoch der sunnitische Islam klar Vorrang." Würden Sie das auch so sagen? Und worin besteht dann dieser Vorrang des sunnitischen Islams?
Hildebrandt Rambe: Das indonesische Verständnis von Religionsfreiheit ist ganz anders. Religionsfreiheit heißt, beschränkt auf bestimmte Religionen. Das Judentum wird nicht geduldet. Das heißt, nur auf diese fünf Religionsgemeinschaften: Islam, Christen werden als zwei Religionen betrachtet, nämlich Protestanten und Katholiken, und dann Hindus und Buddhismus. Und dann wurde neulich der Konfuzianismus von den chinesisch-stämmigen Indonesiern irgendwie anerkannt. Das heißt, das Verständnis von Religionsfreiheit nach indonesischer Art und Weise ist ganz anders, als was wir eigentlich hier in Deutschland oder in Europa verstehen. Das ist keine Religionsfreiheit als solche. Aber die religiöse Ausübung dieser fünf sogenannten Religionen ist gewährleistet.
Weber: Das heißt, niemand darf daran gehindert werden, in die Kirche zu gehen oder einen Religionsunterricht in seiner Religion zu besuchen. Aber es ist zum Beispiel nicht vorgesehen, dass jemand Atheist ist?
Hildebrandt Rambe: Ja, Atheismus ist ein Tabu in Indonesien. Man kann sich nicht vorstellen, dass jemand keine Religion hat. In unserem Personalausweis wird die Religionsangabe eingetragen, das heißt, man muss dort eine Religionszugehörigkeit haben. Ohne das geht es einfach nicht.
Weber: Und in der ersten Verfassung des unabhängigen Indonesiens 1949 wurden ja auch die fünf Prinzipien der Pancasila verankert als weltanschauliche Grundlagen. Und da heißt das erste Prinzip "Der Glaube an die Herrschaft des einen Gottes". Ist das bis heute also wirklich ein grundlegender Zug dieses Staates?
Hildebrandt Rambe: Ja, man wird diesen Satz verstehen, dass die Hindus oder diese Buddhisten selber auch an irgendeine göttliche Macht glauben. Das heißt auch, die gehören noch dazu. Aber wenn man ehrlich ist, werden die Buddhisten oder Hindus auch ausgeschlossen von diesem Satz.
"Sie sehnen sich nach einem friedlichen Zusammenleben"
Weber: Wenn wir jetzt noch mal auf das muslimisch-christliche Verhältnis schauen, das ist ja nicht einfach, weil für viele Muslime das Christentum einfach noch die Religion der früheren niederländischen Kolonialherren ist. Und auf der anderen Seite haben die Christen eine westliche Theologie mitbekommen, die ja auch nicht in Auseinandersetzung mit dem Islam stand jahrhundertelang. Also, da ist so ein grundsätzliches Nicht-Anerkennen oder Nicht-Verstehen ja schon vorprogrammiert, was aber eher von außen kommt. Gibt es Bestrebungen, sich auf das innerindonesische Zusammenleben zu besinnen und zu sagen, wir sind doch hier schon seit Jahrhunderten zusammen, dann muss das doch auch gehen und dann sind wir nicht Kolonialherren oder sind wir nicht Verkörperungen von Saudi-Arabien, sondern wir sind einfach indonesische Muslime und Christen?
Hildebrandt Rambe: Ja, im Grunde genommen ist die Lehre vom Christentum, die nach Indonesien gebracht wurde ... war auch schon geprägt durch diese Konflikte beziehungsweise Beziehungen oder einfach Vorstellungen, die eigentlich schon vor den Missionaren nach Indonesien gekommen sind. Das heißt, geprägt durch diese pietistische Theologie zum Beispiel, die eigentlich nicht für den Dialog zwischen den Religionen ist. Oder es gibt natürlich viele Einflüsse vom Ausland, nicht nur im christlichen Bereich, sondern auch im muslimischen Bereich. Aber wenn ich das ganze Bild von Zusammenleben in Indonesien sehe, die Mehrheit von der Bevölkerung, seien es christliche wie auch muslimische Einwohner, sehnen sich nach einem friedlichen Zusammenleben.
Es gibt neue Bewegungen, sei es im Islam, sei es im Christentum, die eigentlich durch die transnationalen Bewegungen außerhalb von Indonesien getragen werden, sei es von sogenannten Pfingstgemeinden, missioniert von südkoreanischen Missionaren oder von amerikanischen Missionaren, die gezielt Muslime auch missionieren, oder (durch) großen Einfluss von den arabischen Ländern in Indonesien.
Weber: In der Provinz Aceh gilt ja seit 1999 auch schon die Scharia. Das ist natürlich eine besondere Provinz da ganz im Norden von Sumatra, die auch immer eine stärkere Autonomie hatte. Befürchten Sie trotzdem, dass sich das verbreiten könnte? Es ist ja so, dass der Verkauf von Alkohol jetzt in diesem Jahr schon stark eingeschränkt wurde und eine neue Halal-Gesetzgebung, also eben auch eine muslimische Reinheitsgesetzgebung 2017 in Kraft treten soll. Sind das so Schritte auf dem Weg zu einer Verbreitung der Scharia?
Hildebrandt Rambe: Ich denke nicht. Das ist diese Sehnsucht nach der Scharia als Grundlage des indonesischen Staates, die wurde jetzt schon lange bestrebt von islamischen Gruppierungen. Aber bis jetzt ist ja Aceh die einzige Provinz in ganz Indonesien, die offiziell die Scharia als ihr Grundgesetz praktiziert. Aber die anderen 32 Provinzen in Indonesien haben keine solchen Bestrebungen.
"Eine große Herausforderung von beiden Seiten"
Weber: Insgesamt ist aber der Islam in Indonesien wie in vielen anderen Ländern auch konservativer geworden in den letzten Jahrzehnten, das Kopftuch ist verbreiteter und solche Sachen. Haben Sie das beobachtet? Sie sind ja noch mal als Dozentin dort gewesen.
Hildebrandt Rambe: Als ich da war, war es noch nicht so weit. Ich denke, in letzter Zeit, in den letzten fünf Jahren ist diese Radikalisierung der Religionen in Indonesien vielleicht stärker geworden durch diese transnationalen Bewegungen, die irgendwie zu uns gekommen sind. Ich muss eigentlich sagen, dass nicht nur eine islamische Seite ... Ich entdecke auch oder ich beobachte auch die Radikalisierung oder die Fundamentalisierung des Christentums in Indonesien durch diese Pfingstkirchen, die zu uns gekommen sind und eine Mega Church inmitten von Jakarta zum Beispiel bauen. Und das ist eine große Herausforderung von beiden Seiten.
Und da bin ich dankbar, dass die großen, die zwei größten islamischen Institutionen oder Organisationen in Indonesien, nämlich NU, Nahdatul Ulama, diese traditionelle Form von Islam, und dann die modernisierte Form von Islam, Muhammadiyah, die sind beide für den Dialog zwischen den Religionen. Und nicht nur zwischen den Christen, sondern auch zwischen den anderen religiösen Gemeinschaften wie Hindus und Buddhisten. Viele von diesen Unterorganisationen, zum Beispiel Nahdatul Ulama, von NU, sind Vorreiter für Dialogaktivitäten. Und von daher habe ich immer noch Hoffnung für das friedliche Zusammenleben in Indonesien.
Weber: Wenn sich nun auf der Frankfurter Buchmesse rund 70 indonesische Autoren und Autorinnen präsentieren, ist das dann Literatur, die von muslimischen, christlichen, hinduistischen, buddhistischen Leserinnen gleichermaßen gelesen wird, oder gibt es einen religiös segmentierten Literaturmarkt? Also natürlich gibt es religiöse Literatur wie in jedem anderen Land, aber wenn es eben nicht explizit religiös ist, wird das dann von allen gelesen oder gibt es da doch kulturelle Unterschiede?
Hildebrandt Rambe: Wenn es um Romane geht, zum Beispiel ein großer Roman von einem muslimischen Autor so wie Ayat-Ayat Cinta, "Liebesverse" zum Beispiel, ich denke, es kommt darauf an. Wenn man gerne liest, liest man das trotzdem, denn es geht nicht nur um eine Liebesbeziehung zwischen einer Christin und einem Muslim, sondern es spiegelt sich auch der soziale Hintergrund vom Alltag in Indonesien wider. Natürlich wird man auch wählerisch, wenn man sieht: okay, das ist ja reine, pur islamische Literatur. Als Christ vermeidet man das zum Beispiel oder umgekehrt. Solche Literaturwerke, die eigentlich momentan, vor allem nach 1999 erschienen sind, sind meistens interessante Literatur, die man eigentlich auch gerne jenseits der Glaubensrichtung lesen kann.
Weber: Auf jeden Fall wird es dieses Jahr bei der Frankfurter Buchmesse und ihrem Gast Indonesien einiges zu entdecken geben. Vielen Dank, Pfarrerin Aguswati Hildebrandt Rambe, in Indonesien ausgebildete Pfarrerin und jetzt zuständig bei der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern für evangelische Gemeinden anderer Sprache und Herkunft.
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