Steigende Kosten in Pflegeheimen
Im ersten Jahr liegt der Eigenanteil für die Betreuung in Pflegeheimen derzeit im Durchschnitt bei rund 2200 Euro. © picture alliance / PRO SHOTS / jjfoto / Vincent de Vries
Immer mehr Bewohner auf Sozialhilfe angewiesen
06:55 Minuten
Die Betreuung im Pflegeheim wird teurer. Und da die Pflegekassen nur einen Teil der Kosten übernehmen, wachsen die Belastungen für Pflegebedürftige und deren Angehörige. Viele sind damit überfordert. Die Sozialämter müssen einspringen.
„Also ich muss jetzt knapp 1600 Euro draufzahlen, insgesamt kostet es 4200 Euro, und da wird schon etwas bezuschusst, aber es ist eine brutale Summe.“ Tilo Porsch hat für seinen 77-jährigen Vater vor vier Jahren einen Platz in einer Pflegeeinrichtung gefunden. Dass die Betreuung dort etwas kosten muss, ist ihm klar. Doch die Summen, die inzwischen fällig werden, findet er völlig überzogen.
„Also mein Vater hat 45 Jahre gearbeitet, und die Rente reicht hinten und vorne nicht aus, und wir müssen sehr viel noch draufzahlen, und es ist fast nicht mehr machbar.“
Noch kann die Familie die 1600 Euro stemmen, auch wenn sie auf die Rente des Vaters rund 600 Euro drauflegen muss. Aber bald führt kein Weg mehr daran vorbei, dass das Eigenheim, das der 77-Jährige erarbeitet hat, verkauft werden muss.
Eigenanteile um 60 Prozent erhöht
Der Krankenkassenverband vdek erstellt regelmäßig Statistiken zu den Pflegeeigenanteilen. Die Verbandschefin Ulrike Elsner findet die Entwicklung alarmierend.
„Seit 2017 werden die einrichtungsbezogenen Eigenanteile ausgewiesen. Und alleine die einrichtungsbezogenen Eigenanteile haben sich um 60 Prozent erhöht.“
Die Pflegekassen übernehmen nur einen bestimmten Anteil der Kosten für die Versorgung und Betreuung in Pflegeheimen, den Rest müssen die Bewohner selbst zahlen. Oder ihre Kinder, wenn sie mehr als 100.000 Euro pro Jahr verdienen. Dabei gilt: Je länger jemand im Pflegeheim lebt, desto höher ist der Zuschuss der Pflegeversicherung. Im ersten Jahr liegt der Eigenanteil derzeit im Durchschnitt bei rund 2200 Euro. Ab dem dritten Jahr sind es etwa 1600 Euro.
Kostenschub durch Tariflöhne
In den Zahlen, die der Kassenverband vdek zusammenträgt, sind dabei noch nicht alle aktuellen Erhöhungen eingerechnet. Seit 1. September müssen Pflegeeinrichtungen ihr Personal nach Tarif bezahlen, wenn sie mit den Kassen abrechnen wollen. Das hat bei Heimen, die vorher weniger als den Tariflohn gezahlt haben, für einen Kostenschub gesorgt. Auch die gestiegenen Preise für Strom, Heizung und Lebensmittel treiben die Eigenanteile in die Höhe – diese Erfahrung hat die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen, kurz BIVA, gemacht.
Die Rechtsexpertin des Pflegeschutzbundes, Ulrike Kempchen, bekommt viele verzweifelte Schreiben auf den Tisch. „Wir stellen jetzt fest, es gab Einrichtungen, die haben in der ersten Jahreshälfte Erhöhung durchgeführt wegen eben Tariftreue und allgemeiner Verteuerung. Und die legen jetzt teilweise noch mal nach, wegen zusätzlich gestiegener Energiekosten. Was für die Leute natürlich gar nicht nachvollziehbar ist, wenn die zweimal im Jahr eine Erhöhung bekommen.“
Weitere Erhöhungen durch Energiekosten
Und zum Jahreswechsel dürfte es für viele noch teurer werden. Denn viele Einrichtungen beziehen Gas noch zu vergleichsweise günstigen Preisen, doch Ende des Jahres laufen die Verträge aus. Die höheren Kosten werden dann erst im neuen Jahr für die Bewohner spürbar werden, fürchtet die Juristin. „Von daher rechnen wir tatsächlich zum Jahreswechsel, zum Beginn des neuen Jahres, noch einmal mit einer Welle ausschließlich allein schon aufgrund der Energiekosten. Und das wird noch mal ordentlich eine Erhöhung oben draufgeben.“
Die Bundesregierung hat zwar in vielen Bereichen Maßnahmen ergriffen, um für die Bürger die höhere Teuerung auszugleichen. Aber für Pflegeheim-Bewohner sei noch nichts Greifbares in Sicht, sagt Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund. „Na ja, sagen wir mal so: Es mögen viele Überlegungen im Raum sein, aber uns ist momentan nicht bekannt, dass konkret etwas auf den Weg gebracht wurde.“
Noch keine politischen Maßnahmen erkennbar
Auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, kann noch keine politischen Maßnahmen erkennen, um den schnellen Anstieg der Eigenanteile für Pflegeheimbewohner zu begrenzen. Den Heimbetreibern sei das ziemlich egal, sie vertrauten darauf, dass im Notfall der Staat einspringe. „Auf der anderen Seite wissen Einrichtungen aber auch: Wenn sich das jemand nicht leisten kann, dann springt die Hilfe zur Pflege ein.“
„Hilfe zur Pflege“ – so heißt eine Leistung, die der Sozialhilfe entspricht. Wer die Eigenanteile für einen Platz im Pflegeheim aus seinen laufenden Bezügen, wie etwa Rente und Pflegegeld, nicht mehr zahlen kann, der muss zunächst sein Vermögen weitgehend aufbrauchen, dann erst kann er einen Antrag bei den Sozialbehörden stellen.
Doch das sei für viele eine große Überwindung, sagt die VdK-Präsidentin Bentele: „Für viele Menschen ist es eine Riesenhürde, die Hilfe zur Pflege zu beantragen, weil sie eben wissen, es ist Sozialhilfe. Und sie wissen nicht, was bedeutet das für meine Partnerin, Partner, für meine Kinder, Enkel. Und das ist für viele Menschen natürlich eine Hürde.“
Immer mehr müssen Sozialhilfe beantragen
Die Pflegeversicherung, die die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung vor über 25 Jahren mit Unterstützung der SPD eingeführt hat, sollte eigentlich verhindern, dass viele hunderttausend Pflegebedürftige Sozialhilfe beantragen müssen. Und tatsächlich gingen die Zahlen zunächst zurück. Doch seit einiger Zeit steigen sie wieder.
Nach Angaben des Deutschen Städte- und Gemeindebundes haben sich die Ausgaben der Kommunen für die Hilfe zur Pflege innerhalb von vier Jahren um knapp 40 Prozent erhöht: von 3,4 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf 4,7 Milliarden im vergangenen Jahr. Und die Ausgaben werden weiter steigen, weil viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen die Kosten nicht mehr aus eigener Tasche stemmen könnten, fürchtet der Städte- und Gemeindebund.
Die Kosten hätten sich viel zu stark zu Lasten der Pflegebedürftigen verschoben, findet die Chefin des Kassenverbandes vdek, Ulrike Elsner. „Wir brauchen tatsächlich eine steuerliche Unterstützung und eine faire Lastenverteilung zwischen den Beteiligten.“
Ruf nach höheren Steuerzuschüssen
Höhere Steuerzuschüsse für die Pflegekassen, damit die einen größeren Teil der Pflegekosten übernehmen können, das wäre auch nach Ansicht von Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund eine wichtige Maßnahme. Auch höhere Beiträge zur Pflegeversicherung hält sie für überlegenswert.
Denn eines sei klar: Die Pflegebedürftigen brauchten mehr Unterstützung der Solidargemeinschaft, also der Steuerzahler und der Beitragszahler. „Ich denke mal, wir werden auf Dauer auch da noch weitere Verteuerung für die Allgemeinheit erfahren müssen.“
Tilo Porsch, dessen 77-jähriger Vater im ostbayerischen Roding in einem Pflegeheim lebt, verfolgt den Preisanstieg bei den Pflegekosten mit Kopfschütteln. Sein Vater habe 45 Jahre gearbeitet, für sich und die Familie etwas aufgebaut. Steuern und Sozialbeiträge bezahlt. Er wolle keine Geschenke, sondern einfach nur fair behandelt werden: „Ja, dass halt einfach die im Pflegeheim dann auch eine staatliche Hilfe bekommen, weil die haben es ja genauso verdient wie jeder andere Bürger auch.“