Zuwendung statt Tabletten
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Ein neuer Dokumentarfilm zeigt ein Pflegeheim in Dänemark, in dem Demenzkranke den Lebensabend in Würde verbringen und nicht nur verwahrt werden. Der Sozialmanager Stefan Arend ist überzeugt: Das Prinzip lässt sich auf deutsche Pflegeheime übertragen.
Am Anfang von Louise Detlefsens Dokumentarfilm "Mitgefühl" über ein dänisches Pflegeheim steht der Abschied von Rita. Alle erweisen ihr die letzte Ehre und stoßen auf sie an. In einem blumengeschmückten weißen Sarg ist sie noch einmal bei ihnen. Wer hier geht, geht für immer; freie Zimmer sind schnell wieder belegt.
"Umsorgung" steht im Mittelpunkt
Die Pflegerinnen kommen zusammen, um über die Neuzugänge zu sprechen: das Paar Torkild und Vibeke. Den beiden wird im Heim ein herzliches Willkommen bereitet. Torkild ist am ersten Tag beim Frühstück genervt von seiner neuen Umgebung, doch dann lacht er: Seine freundliche Tischnachbarin verwickelt ihn in ein Gespräch.
Es gibt in diesem Pflegeheim viele Möglichkeiten, den Tag zu gestalten, aber niemand wird zu etwas gezwungen. Gemeinsame Spaziergänge führen in die Umgebung, man trifft sich zum Spielen oder zum Fernsehen. Die Mahlzeiten werden alle gemeinsam an einer großen Tafel eingenommen. Es gibt häufig Anlässe zum Feiern, dann wird nach Kräften getrunken, geredet und gelacht.
Die Gründerin des Heims "Dagmarsminde", May Belle Eiby, nahm die schlechten Pflegeerfahrungen mit ihrem dementen Vater zum Anlass, um selbst eine Einrichtung zu schaffen, in der die "Umsorgung" der Demenzkranken im Mittelpunkt steht und außerdem jede Menge Kuchen und Wein.
Wenig sedierende Medikamente
Auf sedierende Medikamente wird weitgehend verzichtet. Die Pflegekräfte nehmen sich viel Zeit, sie hören zu, sprechen leise und gänzlich ohne die bevormundende Autorität.
Zu schön, um wahr zu sein? Wer schon einmal in einem durchschnittlichen, deutschen Pflegeheim war, weiß, dass dort zumeist ein engagiertes, aber wegen der hohen Arbeitsbelastung ausgelaugtes Personal versucht, zu vielen alten Menschen in zu wenig Zeit gerecht zu werden.
Doch das ließe sich ändern, meint der Sozialmanager Stefan Arend. Er ist fasziniert von dem Dokumentarfilm und empfiehlt den Gang ins Kino. In dem Film entstehe der Eindruck, dass das Pflegeheim keine fremde Welt sei, sondern einfach Normalität, sagt Arend.
"Pflegebedürftigkeit ist keine Krankheit, die behandelt werden muss", betont er: "Sie braucht Begleitung, und sie braucht menschliche Nähe." Der Film zeige wunderbar die Geborgenheit und Ruhe im Heim "Dagmarsminde".
"Wir haben es selber in der Hand"
Das Konzept lässt sich Arend zufolge auch auf das deutsche System übertragen. Ähnliche Einrichtungen gibt es schon es ist dann zumeist von "alternativen Wohnformen" die Rede. "Wir haben es selber in der Hand", sagt Arend optimistisch.
Zwei Dinge sind laut dem Publizisten dafür notwendig: Zum einen stehe die "Ökonomisierung des Sozialen", die seit den 1990er-Jahren die Zustände in den Pflegeeinrichtungen bestimme, im Wege. Zum anderen müsse die Gesellschaft eine gemeinsame Vorstellung davon entwickeln, wie Pflege sein soll.
"Mitgefühl" kommt in der Woche der Demenz in die Kinos. In dem Leben, das er beschreibt, zählt der Moment: die kleinen Freuden, das gute Gefühl, nicht allein zu sein, miteinander zu lachen und zu feiern, der spontane Genuss.
Große Fragen werden aufgeworfen: Wie wollen wir alt werden? Wie selbstverständlich sind Mitgefühl und Menschlichkeit, wenn der liebevolle Umgang der Pflegekräfte mit den Bewohnern schon als etwas Besonderes erscheint? Die deutsche Gesellschaft und mit ihr das Pflegesystem ist noch weit von zufriedenstellenden Antworten entfernt.
(ahe/kna)