Pflege

Wer Nachbarn hilft, dem wird geholfen

Marion Heymann demonstriert in Hamburg in einer Musterwohnung einen frei programmierbaren Notrufschalter, über den Nachbarn oder ein Rettungsdienst informiert werden können, oder ein technischer Ablauf, wie das Öffnen eines Vorhanges, gestartet werden kann.
Notrufschalter in einer Wohnung in Hamburg, über den auch Nachbarn informiert werden können. © dpa / picture alliance / Markus Scholz
Von Andreas Zecher · 15.04.2015
Senioren können von solidarischem Denken profitieren - man muss sich bloß in der Nachbarschaft umhören, meint Andreas Zecher. Eine Geschichte aus dem hohen Norden über den Wert bürgerschaftlichen Engagements.
Die Enkel von Marlies und Eduard wachsen im fernen Schwaben auf. Immer wenn sie krank sind und nicht in den Kindergarten gehen können, macht sich Marlies auf den Weg von der Ostseeküste in den Süden.
Sohn und Schwiegertochter arbeiten in der benachbarten Schweiz als Fachärzte einer Privatklinik. Dort gäbe es wenig Verständnis, bliebe einer der beiden Mediziner der kleinen Patienten wegen zu Hause. Eigentlich verdienen sie genug, um sich in solchen Fällen ein Kindermädchen zu leisten. Es ist ihnen aber lieber, dass die Oma anreist.
Und auch Marlies freut es, immer mal wieder gebraucht zu werden und mit den Enkeln zusammen zu sein. Sie ist gut über 70. Aber was sein wird, wenn sie und ihr Mann selbst einmal Pflege brauchen, darüber sprach das Paar bislang nicht. Gewiss, jeder macht sich so seine Gedanken, denn solange es geht, wollen sie schon in den schönen eigenen vier Wänden bleiben.
Als Marlies und Eduard vor eineinhalb Jahrzehnten von Hamburg nach Mecklenburg zogen, wurden sie als "Best Ager im Florida des Nordens" willkommen geheißen. Sie brachten Kaufkraft und marktwirtschaftliche Erfahrung mit in den Osten. Der Zuzug der Ergrauten des Westens war wie ein kleines Pflaster auf die große Wunde, die die massenhafte Abwanderung der Jugend hinterließ.
Als die beiden noch ihren Geschäften nachgingen, kam wöchentlich zwei Mal eine Putzfrau in die Wohnung. Eduard hat anfangs davon erzählt, dass es schwieriger geworden sei, in der Großstadt jemanden zu finden, zuverlässig und zugleich bezahlbar. Und so waren sie froh, im Ruhestand endlich Zeit zu haben, sich um alles selbst zu kümmern.
Eine "Perle" im Haus wäre Gold wert
Doch das kann sich sehr schnell ändern. Das wissen sie schon. Eine "Perle" im Haus wäre bereits jetzt Gold wert, wenn Marlies für längere Zeit zur jungen Familie fährt. Doch Eduard müsste sich erst daran gewöhnen, tagsüber einer Haushaltshilfe über den Weg zu laufen, sich mit ihr zu verständigen, gar Gespräche zu führen. Die Putzfrau damals in Hamburg kannte er ja kaum.
Er kann sich vermutlich nicht vorstellen, eine fremde Person in seiner Nähe zu haben, die nicht nur putzt und kocht, sondern der auch Haushaltsgeld und gesundheitliche Pflege anvertraut sind.
Eduard und Marlies sind im Dorf nicht die einzigen, die in ihrem Haus am liebsten steinalt werden möchten. Unter den alteingesessenen Nachbarn gibt es aber einige, die sich diesen Wunsch mit einer Minirente bald nicht mehr leisten können. Denen wäre schon geholfen, wenn sie dauerhaft etwas dazu verdienen könnten, sagt der Bürgermeister.
Eine Stunde Schneeschieben für 8,50 Euro
Marlies ist wieder bei den Kindern. Eduard hatte sie zum Flieger nach Hamburg gebracht. Auf dem Rückweg begann es zu schneien. Da kamen ihm die Worte des Bürgermeisters in den Sinn. Ja, wen hätte er denn fragen sollen, ob er sich für ihn ans Steuer setzen würde?
Am nächsten Morgen musste er raus zum Schneeschieben. Bloß nicht zu hastig, ermahnte er sich und prüfte, ob das Handy wirklich in der Tasche steckte.
Beim Kaffee in der Küche dachte er über den Mindestlohn nach. Eine Stunde Schneeschieben für 8,50 Euro. Wer aus dem Dorf würde das machen? Für zehn Euro vielleicht. Die Putzfrau hatte mehr genommen. Aber das war in Hamburg!
Er sollte sich doch mal nach einem vertrauenswürdigen, etwas jüngeren Ehepaar umsehen. Das ergäbe eine Win-Win-Situation, wenn zwei Seiten sich zusammentun, um noch lange im eigenen Haus bleiben zu können. Nur, so gut kennen sich Marlies und er unter den Leuten im Dorf nicht aus. Bisher hatten sie sich ja um sich selbst gekümmert.

Andreas Zecher, Jahrgang 1953, ist Journalist und Autor. Er lebt in der Nähe von Rostock. Mehr als 20 Jahre berichtete er für den in Neubrandenburg erscheinenden "Nordkurier" aus der nordöstlichen Küstenregion. Zuletzt erschienen: "Heute ein Frosch-Morgen ein König, Verrückte Geschichten aus Mecklenburg-Vorpommern" (Magma Verlag).

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