Pflege

"Wir brauchen nicht über 8,50 Euro sprechen"

Andreas Westerfellhaus im Gespräch mit Nana Brink |
Vor dem Beginn des Deutschen Pflegetages fordert Andreas Westerfellhaus Politik und Gewerkschaften zum Handeln auf. Die Situation für Pflegekräfte habe sich in den vergangenen Jahren "dramatisch zugespitzt".
Nana Brink: Das Thema Pflege geht uns alle an, denn in Zukunft werden immer mehr Menschen pflegebedürftig werden und immer weniger Menschen werden da sein, um sie zu pflegen und die Kosten vor allen Dingen dafür zu tragen. Die Zahlen sind in der Tat dramatisch. Gab es im Jahr 2005 knapp über zwei Millionen Pflegebedürftige, so sind es heute schon beinahe 2,5 Millionen, und im Jahr 2050 – das sind Schätzungen von Experten – werden es fast doppelt so viel, 4,5 Millionen Menschen, sein, und mehr als die Hälfte von ihnen wird die Pflegestufe eins bekommen, was heißt, sie benötigen am Tag viele, viele, viele Minuten Hilfeleistung.
Schon jetzt gibt es zu wenig Pflegekräfte, ein Thema mit Sicherheit auf dem Kongress des Deutschen Pflegerates, und der beginnt heute. Andreas Westerfellhaus ist der Präsident des Deutschen Pflegerates. Schönen guten Morgen, Herr Westerfellhaus!
Andreas Westerfellhaus: Schönen guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Jeder, der einen Angehörigen in Pflege hat, ihn vielleicht selbst pflegt oder in einem Heim hat, weiß: Viele Pflegekräfte haben viel zu wenig Zeit und sind schlecht bezahlt. Wie ist denn die Situation der Pflegekräfte hierzulande?
Westerfellhaus: Ja, die Situation der Pflegekräfte hat sich in den letzten Jahren, was die Anzahl der Fachkräfte angeht, dramatisch zugespitzt, im Übrigen nicht nur, wie von Ihnen in der Einleitung erwähnt, in den ambulanten Bereichen und in der Altenpflege, sondern genauso in den somatischen Einrichtungen, in den Krankenhäusern. Pflege wird im Dauerlauf erledigt, immer weniger Pflegekräfte müssen hierzulande immer mehr professionelle Pflege leisten.
Brink: Gibt es denn regionale Unterschiede?
Westerfellhaus: Na ja, es gibt sicherlich Regionen, in denen einfach die Fluktuation etwas geringer ist, weil man dort bodenständiger verankert ist. Man kann aber auf der anderen Seite sagen, dass selbst die großen Ballungszentren riesige Probleme haben aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten auf der einen Seite, und dass selbst solche Boni wie der Hauptstadtbonus, in Anführungsstrichen, nicht mehr zieht. Auch dort sucht man händeringend nach professionellen, ausgebildeten, gut qualifizierten Pflegekräften.
"Die Demografie ist nicht vom Himmel gefallen"
Brink: Nun erinnere ich mich daran, dass wir die Diskussion ja nicht erst seit heute führen, sondern schon seit Langem. Das ist eine Situation, die hat sich aufgestaut. Wie kommt es dazu? Hat man irgendwie nicht hingesehen oder ist das Image so schlecht, dass man sich einfach nicht darum kümmert?
Westerfellhaus: Ich kann Ihnen nur zustimmen, und das ist letztendlich auch das, was mich persönlich fassungslos macht, dass wir seit Jahren offenen Auges in eine Verschärfung der Situation, man kann fast sagen, in eine Katastrophe hineinlaufen, ohne dass gegengesteuert wird. Wenn ich es mal so sagen darf: Die Demografie ist nicht vom Himmel gefallen, und wir haben als Deutscher Pflegerat mit seinen Mitgliedsverbänden permanent darauf hingewiesen, welche Situation sich gerade bei der Anzahl und der Leistungen und der Leistungsverdichtung der professionellen Pflegeleistungen denn dann hier abspielt.
Man hat nicht hingeschaut oder man konnte keine Lösungen entwickeln. Man hat zugelassen, dass die Entwicklung so vorangeschritten ist, wie sie jetzt als Ergebnis vorliegt.
Brink: Haben denn die Pflegekräfte dann im Gegensatz zu den Ärzten keine Lobby?
Westerfellhaus: Es ist sicher sehr schwierig, auch in der Vergangenheit, Pflegekräfte darauf aufmerksam zu machen, sich zu solidarisieren. Wissen Sie, Pflegekräfte sagen dann auch als allererstes: Ich kann nicht meine Arbeit niederlegen für einen Tag, nicht mal für einen halben Tag, weil ich die Verantwortung für den Menschen, der mir anvertraut ist, trage.
Das ist sicherlich richtig. Aber ich glaube, wenn wir nicht gemeinsam in dieser Solidarität auch auf die Situation der Pflegenden, die diese Leistungen erbringen, aufmerksam machen, dann werden die Patientinnen und Patienten und Angehörige noch viel mehr darunter leiden.
Brink: Das Image dieser Berufsgruppe ist ja nicht besonders gut, also viel Arbeit, wenig Bezahlung. Es ist schwer, Nachwuchs zu finden. Wie kann man das verbessern, oder kann man es überhaupt verbessern in der jetzigen Situation?
Westerfellhaus: Na ja, vielleicht noch ein Wort zum Image: Ich denke, wir haben ein Imageproblem deswegen, weil viele Menschen in dieser Gesellschaft nicht wissen, was sich hinter professioneller Pflege verbirgt. Die, die einmal mit professioneller Pflege in Berührung gekommen sind, die haben eine ganz andere Einstellung zu diesem Beruf.
Was wir sicherlich machen müssen - und das ist das Erste, was Pflegende fordern und als Priorität nach vorne stellen: Wir brauchen für die Arbeit, die wir leisten, mehr Kolleginnen und Kollegen, sprich, wir brauchen mehr Personal. Pflege im Dauerlauf macht krank und kann letztendlich nicht die qualitative Leistung garantieren, für die wir ja antreten – das heißt, mehr Kollegen, sicherlich auch eine bessere Bezahlung.
Es kann nicht sein, dass man ein Leben lang eine Leistung erbringt, zum Beispiel eine Versorgung in der Altenpflege, und dann selber weiß, wenn ich diese Situation oder diese Hilfeleistung einmal brauche, dass diese möglicherweise ich selber mir nicht leisten kann, keine Rücklagen gebildet werden können et cetera. Aber dazu gehören viele andere Maßnahmen natürlich dazu.
Brink: Nun, wenn ich Sie richtig verstanden habe, fordern Sie mehr Personal, aber auch bessere Bezahlung. In welche Richtung geht denn das? An wen richten Sie denn diese Forderung?
"Wir sind nicht der Trittbrettfahrer"
Westerfellhaus: Na ja, das sind natürlich ganz Unterschiedliche, das heißt, natürlich einmal an den Gesetzgeber, dass er Personalmindeststandards schafft. Es muss klar sein, wenn man eine Leistung denn in diesem System erbringt: Mit wie viel Personal, mit welcher Qualifikation will ich das denn dann tun, und wie stelle ich sicher, dass dieses auch eingestellt wird und finanziert wird – in den ambulanten Bereichen, in den Altenpflegeeinrichtungen und natürlich auch in unseren Krankenhäusern?
Dafür muss ich sie in eine Finanzierungssituation schicken, damit sie das Personal bezahlen können. Das andere richtet sich an die Gewerkschaften, ganz deutlich. Wir sind nicht der Trittbrettfahrer als Ergebnis für irgendwelche anderen Berufsgruppen, sondern hier muss ganz klar pointiert werden: Welche Bedeutung hat unsere Leistung? Sie ist wertvoll. Dann, bitte, sorgt auch dafür, dass sie dem Wert entsprechend finanziert.
Brink: Also solche Diskussionen wie Mindestlohn bringen Sie da nicht weiter?
Westerfellhaus: Nein, die irritieren eher, weil wir brauchen nicht über 8,50 Euro sprechen, denn das ist keine Entlohnung für eine professionelle Pflegekraft.
Brink: Machen wir es mal ganz konkret: Das Kabinett sitzt ja gerade in Klausur. Was muss sich beim Thema Pflege unbedingt in dieser Legislaturperiode ändern – wenn Sie den Gesundheitsminister ansprechen?
Westerfellhaus: Als allererstes brauchen wir jetzt das Berufsgesetz Pflege, was uns schon in der letzten Legislaturperiode versprochen wurde, eine einheitliche, klare, generalistische Ausbildung, die sich an der Zukunft ausrichtet, klare, transparente Karrierewege und klar beschrieben: Wer darf was mit dieser Qualifikation in diesem System denn dann letztendlich tun? Und ich fordere einen nationalen Aktionsplan für die Pflegenden. Es geht zwar um die Menschen, die in der Versorgung stehen, wenn wir aber nicht erst die Antwort liefern, wer soll die Leistungen erbringen, wird jede Reform im Ansatz verpuffen.
Brink: Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates, über die Situation der Pflege hier, auch Thema auf dem Kongress des Deutschen Pflegerates. Schönen Dank, Herr Westerfellhaus, dass Sie mit uns gesprochen haben im Deutschlandradio Kultur, mit der "Ortszeit".
Westerfellhaus: Sehr gerne, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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