Programmtipp: Weil viele Menschen aus Osteuropa im Westen arbeiten, bleiben ihre Kinder alleine zurück. Was das für die Kinder bedeutet, hat Stephan Oszváth am Beispiel Rumäniens untersucht. (Archivbeitrag)
Wa(h)re Engel
In Osteuropa gibt es nicht genügend Jobs, und in Deutschland fehlen Pflegekräfte. Deshalb kommen viele Frauen aus osteuropäischen Ländern nach Deutschland, um alte Leute zu versorgen. Entstanden ist dadurch ein System der Ausbeutung.
"Meine erste Arbeit in Deutschland, das war 2012 und dauert diese vier Jahre. Ich bin manchmal hier und manchmal in Polen, ja."
Dorota Fietschko ist Pianistin und kommt aus Warschau. Ihre Mutter und ihre Tochter, die mittlerweile studiert, leben noch dort. In Polen fehlen Arbeitsplätze, in Deutschland Pflegekräfte. Seit 2011 die Zugangsbeschränkungen für Arbeitnehmer aus Osteuropa innerhalb der EU weggefallen sind, tauchen in großem Ausmaß sogenannte "entsendete Arbeitskräfte" aus Polen, Rumänien, Litauen oder der Ukraine auf dem deutschen Pflege-Markt auf.
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Die Entsendung von Arbeitskräften funktioniert denkbar einfach: Eine Agentur zum Beispiel in Polen stellt Leute ein und entsendet sie dann an einen Auftraggeber, in diesem Fall eine deutsche Familie, die dafür eine Pauschale an die Agentur bezahlt. Die Agentur bleibt in dieser Konstruktion Arbeitgeber der Pflegekraft und zuständig für Gehalt und Lohnnebenkosten: Sozialabgaben, Steuern und Versicherungen, und natürlich auch für die Einhaltung von deutschem Arbeitsrecht. Die Telefonnummern solcher Vermittlungs-Agenturen gehen in Polen von Hand zu Hand.
"Ich habe finden diese polnische Agentur und sehr schnell diese Agentur gesucht Arbeit für mich… Ich habe ökonomische Probleme gehabt und ich habe Geld gebraucht und ich habe gesagt, okay, warum nicht."
Dorota Fietschko ist Mitte 40. Sie hat in Wahrschau Konzerte gegeben, an der Musikhochschule unterrichtet und eine eigene Kunst- und Musikschule für Kinder geleitet.
"Jetzt ist Krisis und erste, was Leute wegwerfen, ja, das ist Kunststunde für Kinder zum Beispiel, das ist nicht speziell wichtig für Leute, ja? Und war schwierig, ja. Ich habe Probleme mit meiner Firma, ja."
Die Musikschule muss Insolvenz anmelden. Dorota Fietschko entscheidet sich trotz geringer Sprachkenntnisse, eine Pflege-Arbeit in Deutschland anzunehmen. Was sie dort erwartet, ahnt sie nicht. Ihr erster Job führt sie zufällig in einen kleinen Ort bei Stuttgart. Die Agentur bestimmt, wo sie arbeitet. Frau Fietschko kennt niemand in diesem Ort und lebt, plötzlich von der eigenen Familie getrennt, in einer ungewohnten Umgebung, in einem Haus mit völlig fremden Menschen.
Wenn sie aus dem Fenster schaut, blickt sie auf eine kleine, stille Straße mit schmucken Einfamilienhäusern und akkurat gepflegten Vorgärten. Der kleinen Supermarkt, drei Straßen weiter, ist der einzige Ort, den sie draußen aufsucht. Dort trifft sie nur auf deutsche Rentner. Niemand spricht ihre Sprache oder interessiert sich für sie.
"Ich bin bei ganz kranke Leute, und ich muss sein in Arbeit am Morgen, am Mittag und am Abend, ja? ich habe Pause zwischen Essen, ja? Zwischen Frühstück und Mittag ich habe Pause, aber ich muss machen diese Einkaufen und diese Essenmachen, und … das sind Leute mit Demenz, ja? Und sehr oft ich muss sein stand by."
Die Familie erwartet selbstverständlich, dass Dorota Fietschko die Versprechen der polnischen Agentur erfüllt: 24-Stunden-Betreuung. Sie lebt mit im Haus bei den kranken Eltern, damit "für den Notfall" jemand da ist. Tatsächlich steht sie morgens als erste auf, bereitet das Frühstück, füttert die alten Menschen, räumt auf, putzt, kauft ein, kocht.
Wieder Füttern, waschen für den Mittagsschlaf, jeden Gang auf die Toilette begleiten. Nachmittags etwas spielen oder vorsingen, dazwischen das Abendessen vorbereiten. Während der Nacht wieder Toilettengänge, zweimal, manchmal dreimal.
Dorota hat gelernt, wach zu werden, wenn sich im Nebenzimmer etwas rührt, zu horchen, Geräusche zu unterscheiden und erst einzuschlafen, wenn wieder alles still ist. Die Familie verlässt sich darauf, dass sie sich verantwortlich fühlt, weil sie rund um die Uhr im Haus ist.
Bald gibt es Schwierigkeiten mit dem Vertragstext. Die Agentur hat offenbar der Familie eine Ausfertigung geschickt, in der die Freizeitregelung anders gefasst ist als in dem Vertrag, den Frau Fietschko unterschrieben hat.
"Das war gute Arbeitsstelle, aber dieser Vertrag, manchmal war komisch… Ich habe andere gehabt, ja?… und Familie auch… viele Mal diese Familie … hat geschaut mir diese Kontrakt und zum Beispiel… mein Kontrakt war ganze Tag frei, aber für Familie das war sechs Stunde frei, ja? Und was jetzt?"
Dorota Fietschko versucht, mit der Familie über die beiden unterschiedlichen Fassungen des Vertrages zu verhandeln, aber ohne Erfolg. Die Angehörigen bestehen auf der Erfüllung ihres Vertrags-Textes: ein halber freier Tag steht der Pflegekraft demnach zu, sechs Stunden pro Woche, mehr nicht.
"Wir muss ganze Zeit in dieser standby sein… Das ist sehr schlimm, weil jeder Mensch braucht Freizeit, ja, braucht diese Reset, ja, diese ganze frei Tag."
Eine Geschichte wie viele
Dorota Fietschkos Geschichte kann man exemplarisch nennen. Viele Pflegekräfte aus Polen oder Litauen machen ähnliche Erfahrungen mit den Vermittlungsagenturen und den Angehörigen der zu pflegenden Person. Trotzdem wächst der Markt. 2011 waren 150.000 sogenannte "Alltagsbetreuerinnen" aus Osteuropa in Deutschland tätig, heute sind es schon mehr als 300.000. Tendenz weiter steigend. Der Gewerkschaftsverband Verdi sieht hier dringenden Handlungsbedarf.
"Glaube ich, das ist eine bequeme Position für die Arbeitgeber, für die Haushalte… Ich könnte mir vorstellen, dass sie auch überfordert sind mit der Situation, wenn sie jemanden als Arbeitnehme zu Hause haben und sie müssen alle diese Pflichten nachkommen, die einem Arbeitgeber obliegt. Deswegen, dieses Modell mit den Agenturen ist so erfolgreich. Man zahlt einen bestimmten Betrag monatlich und man hat eigentlich mit derjenigen Person, die zuhause arbeitet, nichts mehr zu tun."
Sylwia Timm ist Juristin. Auch sie stammt aus Polen. Sie hat in Berlin studiert und promoviert. Für den Gewerkschaftsverband Verdi leitet sie seit 2011 das Projekt Faire Mobilität, eine bundesweite Beratungsstelle für die vielen Tausend Leiharbeiterinnen aus osteuropäischen Ländern.
"Manchmal werde ich mit so Fällen konfrontiert, wo ich denke, ist das wie eine Zwangsarbeit einzustufen, dass die Menschen unter solchen Arbeitsbedingungen arbeiten und diese Selbstverständlichkeit, dass sie die Arbeit zu leisten haben und keine Rechte haben, und dass es so sein muss, das ist schon erschreckend."
Bei der Pflege zuhause werden Privates und Berufliches sehr eng vermischt. Die Pflegekräfte entwickeln schnell eine emotionale Beziehung und Nähe zu den Menschen, die sie versorgen. Das hindert sie daran, sich gegen die Arbeitsbedingungen zu wehren. Nur etwa 100 Frauen haben bis heute ihren Weg in die Beratungsstelle von Frau Dr. Timm gefunden.
"Dieses Problem betrifft Tausende. Es ist schwierig, die Menschen zu erreichen, also die Frauen zu erreichen, die in Privat-Haushalten arbeiten. Sehr häufig trauen sie sich das auch nicht, sehr häufig habe ich Probleme, dass sie mir verraten, wer der Arbeitgeber ist, oder wo sie arbeiten, in welchem Ort sind sie. Sie sind sehr schwer traumatisiert, auf Grund der Tatsache, dass sie einfach ununterbrochen 24 Stunden Betreuung und Pflege leisten, und keine freie Zeiten haben, die geregelt sind und Samstag, Sonntag natürlich auch wird gearbeitet."
24 Stunden Arbeit
Ein anderer Stuttgarter Vorort. Auch hier reiht sich ein schmuckes Einfamilienhaus mit pingelig gepflegtem Vorgarten ans andere. Auch hier leben nur noch Rentner und pflegebedürftige Menschen. Dunata Slodek hat in einem dieser Häuser als Altenbetreuerin eine 90-jährige Dame versorgt. Auf der Straße begegnen ihr nur Menschen mit Rollator.
"Um halb acht ich musste schon bereit sein zum Arbeiten und zwar habe ich Recht zu zweistündiger Pause am Tag, aber… das hat überhaupt nicht geklappt, weil die Patientin hat solche Angst gehabt, die verlangte von mir, dass sogar in meine zweistündige Pause, ich komme zu ihr und schaue nach… und das war für mich echt schlimm, weil… ich musste zuständig zu dieser Frau sein, weil sie eigentlich fast jede Stunde ist in die Toilette gegangen, und ich musste sie begleiten. Das war auch in der Nacht, wirklich, das ist 24 Stunden Arbeit, das wirklich so ist."
Auch Dunata Slodek kommt aus Warschau. Sie arbeitete dort eine Zeit lang als Lehrerin, dann als Kauffrau in einer Bank. Dann wird sie arbeitslos. Heute ist sie Ende 40. Einen Job findet sie zuhause nicht mehr. Eine Freundin steckt ihr die Telefonnummer einer Agentur zu.
"Die kommen gerade also an Tür, die holen mich an Tür ab, von zuhause… also ich komme nach Deutschland mit einem Bus… beginnt Fahrt zum Beispiel um vier Uhr in der Frühe und sammelt acht, je nach Plätze im Bus, sammelt acht Frauen, dann muss natürlich von Ort zu Ort fahren und dann wir fahren an Grenze… und an Grenze wir steigen um an bestimmte, kann man Richtungen so zusagen, zum Beispiel Richtung Nord, Richtung Süd, und meistens ich bin gefahren mit solchem Unternehmer, wo er hatte dreizehn… Busse und ich weiß, dass auch eigentlich… auf jedem Ort an Grenze läuft das jeden Tag. Meistens sind das Frauen, die fahren… nach Deutschland um zu pflegen."
Die Frauen geraten schnell in eine Zwangslage, denn sie haben für ihre Probleme keinen Ansprechpartner. Die polnische Entsendefirma, ihr Arbeitgeber, kommuniziert fast ausschließlich über eine Hotline. Von außen kann niemand die Situation kontrollieren. Der deutsche Zoll weiß nicht, wo die Frauen überall beschäftigt sind. Vor Ort werden die Frauen sowohl von der Vermittlungsagentur als auch von der deutschen Familie unter Druck gesetzt, den Vertrag, den die Familie mit der Agentur unterhält, zu erfüllen.
"Diesen Privat-Haushalt… der ist wegen der Unverletzlichkeit der Wohnung geschützt, also… da hat man keine Kontrolle. Die Frauen bleiben und sind unsichtbar, solange sie im Privathaushalt arbeiten. Mehr oder weniger werden sie zu 24 Stunden Betreuung und Pflege und Haushaltsführung angeworben. Das heißt, sie müssen zur Verfügung stehen dem Arbeitgeber solange. Die arbeitsrechtlichen Bestimmungen müssten eigentlich gelten, aber… der Arbeitgeber, sprich der Privathaushalt hält sich nicht daran."
Für die Frauen ist es beinahe unmöglich, die Legalität ihrer Arbeitsverträge selbst zu überprüfen.
"Und dann habe ich keine Versicherung natürlich gehabt, habe ich begonnen von eine Agentur, die hat Hauptsitz in Deutschland, die vermieten… Frauen aus Litauen, aus Ungarn, aus Osteuropa kann man so zu sagen, und damals… habe ich … eine 70-Euro-pro-Monat-Versicherung abgeschlossen, und das war so gegen Unfälle oder plötzliche Krankheit, also das ist keine richtige Rentenversicherung, keine Krankenkassenversicherung, das war nur so als Notfall. Die arbeiten auf Legalitätsgrenze."
Deutsche Familien sind oft nicht interessiert daran, die Verhältnisse zu überprüfen. Diese Erfahrung ist erschreckend für Dunata Slodek.
"Also habe ich lange gebangt, habe ich mit Familien versucht abzusprechen das, aber niemand hat dafür Verständnis gehabt, obwohl… die waren alle begeistert, am Anfang ich war immer gute Perle, gute Fee und verschiedene solcher Namen, die waren sehr zufrieden und als ich gefragt, ob machbar ist überhaupt, legalisieren… ich war niemand wichtig, das wichtigste war Person, die repräsentiert, also Firma! Obwohl ich habe gearbeitet, ich habe zu tun mit… Mutter gehabt! Bis jetzt, Familie, das habe ich niemanden getroffen, der hat dafür Verständnis gehabt."
Alleine in Warschau
Die Pianistin Dorota Fietschko kehrt nach Warschau zurück, als das demente Ehepaar verstirbt. Dort stellt sie fest: von der Agentur existiert nur noch der Briefkasten. Unter der Hotline meldet sich niemand mehr. Sie steht alleine da.
"Diese polnische Agentur zahlen nur polnische Versicherung und das ist nicht Kontrakt für Arbeit, das ist nur kurze Vertrag, zum Beispiel für zwei Monate. Und was dann, ja? Wenn ich bin in Polen, das ist Problem… ich musste in Arbeitsamt Besuch machen und ich war… arbeitslos, ja? Und ganze Zeit Problem, und Angst, ja, was kann passiert, ja?"
"Es sind sehr viele sogenannte Pflegeagenturen in Deutschland entstanden… oder Vermittlungspersonen, die arbeiten mit einem Entsende-Unternehmer in Polen zusammen. Der Entsende-Unternehmer in Polen, der eigentlich ein Pflege-Betrieb sein müsste, der wirbt in Polen nach den Arbeitskräften oder Frauen für die deutsche Haushalte, und eine bestimmte rechtliche Konstruktion wird ausgenutzt um die Frauen dorthin in den Privathaushalt zu bringen… Es gibt sehr viele Leute, die auch sehr gut daran verdienen, an dieser Arbeit von diesen Frauen… also diese Pflegeagenturen zum einen und der Entsendeunternehmer ist auch am Gewinn beteiligt."
Oft wundern sich die Familien über den Protest der Frauen über die Arbeitsbedingungen, erzählt Frau Timm. Sie zahlen zwischen 1700 und 2000 Euro an die Agenturen. Viel Geld für eine osteuropäische Pflegekraft, es übersteigt offenbar das Vorstellungsvermögen vieler Familien, dass nur ein Bruchteil dieser Summe tatsächlich in den Händen der Pflegekraft ankommt. Auch ist Frau Timm über die vermeintliche Unkenntnis des deutschen Arbeitsrechts, wie das Arbeitszeitgesetz, entsetzt. Für eine rechtlich korrekte Rund-um-die-Uhr-Betreuung müssten eigentlich drei Kräfte im Haushalt beschäftigt sein, nicht eine. Das kann sich natürlich niemand leisten. Stattdessen werden die Frauen in die Erfüllung des illegalen Vertrages gepresst.
"In den Fällen, die ich hatte… wurde das versprochene Lohn nicht bezahlt, und deswegen die Frauen, die um dieses Geld gekämpft haben, wurden vor der Tür gesetzt und sie wurden nicht mehr gebraucht."
Sylwia Timm versucht dann, zwischen Familie und Pflegekraft zu vermitteln. Ein zeitaufwendiges, häufig erfolgloses Unterfangen. Dunata Slodeck glaubt nicht mehr daran, dass ihr der ausstehende Lohn doch noch irgendwann ausbezahlt wird. Sie ist enttäuscht und würde gerne sobald wie möglich nach Polen zurückkehren. Aber sie braucht den Job in Deutschland.
"Habe ich begriffen, dass die viele Deutsche sind so überzeugt, dass die
Frauen aus Osteuropa, das sind echte Engel, die können mehr, als… deutsche Pfleger. Aber niemand nimmt die Frauen in Schutz! Niemand! Kein polnische Regierung und deutsche Regierung hat auch keine Interesse daran! Weil das ist echt tolle Geschäft für alle!"
FairCare - es geht auch anders
Die Pianistin Dorota Fietschko liest, in ihrem zweiten Pflegejob schon wieder in Deutschland, eine Notiz in einer polnischen Zeitung.
"Meine Bekannte hat Artikel aus Zeitung mir geschickt… Das war polnische Zeitung, ja. Ich war in Deutschland in Arbeit und… war Telefonnummer… FairCare, ja."
FairCare ist ein Angebot der württembergischen Diakonie und das einzige Projekt dieser Art in Deutschland. Verantwortlich ist der evangelische Verein für Internationale Jugendarbeit Stuttgart e.V. – auch er einzigartig – der in der Diakonie beheimatet ist. Es gibt ihn schon seit 130 Jahren. Seinen ursprünglichen Aufgabenbereich hat er seit 2015 etwas ausgebaut. Zunächst ist die Idee, junge Frauen und Mädchen, die unterwegs sind, zu unterstützen – im neunzehnten Jahrhundert vom Land in die Stadt, in den siebziger Jahren werden Au-pair-Mädchen betreut, heute sind es die Frauen aus Osteuropa, die als Armuts- und Pflegemigrantinnen nach Deutschland kommen und Opfer von Arbeitsausbeutung werden.
"Der Verein macht ganz verschiedene Dinge und Fair Care ist ein Angebot, wo es um das Thema der häuslichen Betreuung geht… und zum anderen bieten wir auch an Beratung von Betreuungskräften, die sich in Ausbeutung befinden oder Schwierigkeiten haben."
Doris Köhncke leitet das Fraueninformationszentrum im Verein für internationale Jugendarbeit. Hier ist auch die Beratungsstelle von FaireCare für Arbeits-Migrantinnen angesiedelt. FaireCare hat drei verschiedene Modelle für die Altenbetreuerinnen aus Osteuropa entwickelt. In allen Modellen ist die deutsche Familie der Arbeitgeber und auch verantwortlich für die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und alle sozialen Leistungen, die sich aus dem Vertrag ergeben. Die Frauen sind in Deutschland angemeldet, zahlen hier Steuern und sind auch hier Renten- und krankenversichert. Die Verträge, die Vermittlung und die Probezeit der Kraft werden von FairCare betreut.
"Letztlich wollen wir die Politik anstoßen, um zu zeigen, man kann jetzt nicht nur kapitulieren und so tun als, ´ne andere Lösung gibt’s halt nicht, wenn wir jetzt das System auflösen würden, dann wären alle alten Leute alleine und dann bricht alles zusammen`, sondern wir wollen zeigen, es ist möglich – natürlich mit gewissen Einschränkungen, weil eben 24 Stunden sieben Tage die Woche nicht geht – aber zumindest wollen wir den Anstoß geben, zu sagen, es muss auch legal und fair gehen."
Die Kosten aller FairCare-Modelle für den deutschen Arbeitgeber liegen zwischen 2200 und 2400 Euro im Monat, inklusive einer einmaligen Gebühr, die FairCare für die Vermittlung und Betreuung erhebt. Das ist natürlich etwas teurer, als die "Rund-um-sorglos-Pakete" der Agenturen aus dem Internet, aber dafür sind die Verträge legal und zielen nicht auf die Ausbeutung der Frauen, die diese schwere Arbeit der Altenbetreuung auf sich nehmen.
"Die Politik muss anerkennen, dass es diese Arbeitsverhältnisse gibt, zuhauf. Es braucht definitiv erst mal mehr Kontrolle, um auf das, was illegal läuft, hinzuschauen, aber man könnte auch Anreize schaffen, über eine offizielle Legalisierung, in dem zum Beispiel ermöglicht wird, dass es Zuschüsse gibt von der Pflegekasse, wenn das Betreuungsverhältnis eben bestimmte Regeln erfüllt."
In seiner kurzen Existenz hat das FairCare-Team 187 Frauen in der häuslichen Betreuung beraten, dazu 35 deutsche Familien. Knapp 400 Anfragen von Familien mit Betreuungsbedarf haben die Geschäftsstelle in Stuttgart erreicht. In 75 Fällen ist die Vermittlung erfolgt.
Wie es den Frauen aus Osteuropa hier in Deutschland geht, was sie erleben und fühlen, ist für viele Menschen nicht wirklich vorstellbar.
"Wir sind ganze Zeit unterwegs. Das ist besonders auch, ja. Für mich gut, aber ich weiß für viele Leute, viele Frauen, welche arbeiten als Pflegerin, das ist furchtbar, manchmal das ist furchtbar, ja? Für mich zum Beispiel, das ist gut. Das ist ein bisschen, ich bin, exciting, ja? Nächste Arbeitsstelle neue Stadt, neue Ort, neue Leute, und diese Familie sind wie Bücher zum Lesen, ja?"
Zufrieden mit dem Job
Seit die Pianistin Dorota Fietschko von FairCare an deutsche Familien vermittelt wird, ist sie mit ihrer neuen Aufgabe zufrieden.
"Jetzt das ist Mann und Frau – das ist nur kurze Vertrag, weil Hauptpflegerin von diese Haus, hat Urlaub, ja, und ich bin nur für diese vier Wochen, jaja, und das ist Super-Arbeitsstelle, ja, das ist super, und hier diese Leute sind nicht speziell krank, und sie brauchen mir nur fünf Stunde pro Tag. Ab 8 bis 13 und jeden Nachmittag ich habe frei. Ich habe Glück, ich habe Glück, ja… Gott sei Dank, aber das ist erste Mal in mein Leben… in mein Karriere in diese Beruf."
Dorota Fietschko ist wieder bei einer Stuttgarter Familie gelandet. Lange hat sie in Deutschland ohne ihre Musik leben müssen. Dann erreicht sie ein Paket.
"Jetzt ich muss nicht vermissen, weil, ich habe meine Piano hier, und jeden Tag, ich kann spielen. Das war Geschenk von Familie, das war meine letzte Arbeitsstelle, und das war… große Geschenk für mich, diese E-Piano, und jetzt, ich habe Instrument hier und jeden Tag ich spiele."
Nach Schätzungen von Verdi werden bis 2030 in Deutschland ca. drei Millionen Menschen pflegebedürftig sein. Davon werden nur etwa ein Drittel in Altersheimen werden leben können. Etwa 660.000 Menschen werden in Vollzeitbeschäftigung in den Altenheimen arbeiten. Mehr ausgebildete deutsche Altenpfleger werden nicht zur Verfügung stehen. Wie viele Betreuungskräfte dann in den privaten Haushalten gebraucht werden, lässt sich nicht abschätzen.