Pflegestützpunkte
Tausenden Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen sollen künftig in Deutschland etliche Telefonate und Gänge zu Ämtern erspart bleiben. Für alle Belange rund um die Pflege und die Organisation, um die Leistungen und die Anträge soll es einheitliche Pflegestützpunkte geben. Die Pflegekassen müssen diese Büros zum 1. Juli einrichten. Rheinland-Pfalz kündigte umgehend Vollzug an, in Nordrhein-Westfalen dagegen werden keine Pflegestützpunkte eingerichtet.
Rheinland-Pfalz
Mitten in Ingelheim am Rhein steht eine dieser unzähligen Einkaufspassagen, wie man sie irgendwann vor 25 oder etwas mehr Jahren toll fand: Außen Beton, innen zu niedrige Decken mit zu billigen Neonröhren und dieser Bodenbelag aus Fliesen, denen man die harte Kosten-Nutzen-Rechnung des Bauherren ansieht. Links ein Fahrradgeschäft, gegenüber eine Spielhalle, dazwischen ein Ladenlokal von vielleicht 60 Quadratmetern mit zwei Schreibtischen, einer Besprechungsecke und mannshohen Zimmerpflanzen, die sich nach Tageslicht sehnen. Was hier verkauft wird? Nichts. Die Dienstleistungen der Frau, die in diesem Ladenlokal in der Einkaufspassage in Ingelheim sitzt, gibt es umsonst.
"Jacobi-Becker, Be-Ko Ingelheim... Guten Morgen!"
Christine Jacobi-Becker telefoniert viel in ihrem Ladenlokal in der Ingelheimer Innenstadt, denn sie leitet die örtliche Beratungs- und Koordinierungsstelle für Pflegebedürftige und deren Angehörige. 135 solcher BeKo-Stellen, wie sie die abkürzungsfreudige Sozialbürokratie nennt, gibt es in Rheinland-Pfalz, und das schon seit Mitte der 90er Jahre.
Damals begann das Land, eine flächendeckende Infrastruktur für die Pflege von Alten, Kranken oder sonstwie Hilfsbedürftigen aufzubauen. Und zu einer guten Pflege, so das Credo der sozialdemokratisch geführten Landesregierung, gehört auch eine sinnvolle, neutrale Beratung der Pflegebedürftigen und vor allem ihrer Angehörigen. Herausgekommen ist dabei ein bundesweit einmaliges Netz staatlicher Pflegeberatung - die BeKo-Stellen eben.
Und weil das rheinland-pfälzische Beratungsnetzwerk seit mehr als einem Jahrzehnt ziemlich gut funktioniert, hat sich die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die BeKo-Stellen als Blaupause genommen für ihren Plan, in ganz Deutschland ein System von Pflegestützpunkten nach einem einheitlichen Modell aufzubauen. Im Bundestag sagte die Ministerin seinerzeit:
"Wir sind überzeugt, dass die Pflegestützpunkte eine wichtige Hilfe sind, im Wohnviertel, nahe für die Menschen auch Hilfe zu organisieren."
Und sie dachte dabei zweifellos an Rheinland-Pfalz, wo die staatlich finanzierte Pflegeberatung getreu dem Motto des Ministerpräsidenten Kurt Beck "nah bei de Leut'" stattfindet:
"Wir haben ja im Laufe der letzten zehn Jahre ein großes soziales Netz aufgebaut - man sieht das auch hier an dem Schaubild - und da können wir natürlich drauf zurückgreifen. Wir kennen alle Ansprechpartner unseres Einzugsbereiches, das heißt: Sozialamtsleiter, Krankenkassenvertreter, Stationsleitungen in den Krankenhäusern, Kurzzeitpflegeeinrichtungen.
Wir arbeiten sehr eng mit den Hausärzten zusammen, kennen die ganzen niedrigschwelligen Betreuungsangebote, die ganzen Hilfen wie Hausnotruf, Essen auf Rädern, alles, was dazugehört. Und wenn halt jemand anruft, können wir auf dem kurzen Weg Hilfen einleiten, vermitteln, Formulare anfordern und die dann ausfüllen mit den pflegenden Angehörigen und so weiter","
erklärt Christine Jacobi-Becker, die im Jahr zwischen 400 und 500 Menschen aus Ingelheim und den Nachbargemeinden in Sachen Pflege berät - Menschen mittleren Alters zumeist, die einen Pflegefall in der Familie haben und einsehen mussten, dass man über die Untiefen des komplizierten deutschen Sozialsystems am besten mit einem sachkundigen Lotsen hinwegkommt.
Das haben Helga Recknagel und ihr Lebensgefährte Norbert Lichter gerade erfahren: Helga Recknagels Bruder hat einen Schlaganfall erlitten und ist jetzt ein Pflegefall. Für die Angehörigen begann mit der Erkrankung des Bruders der übliche Behördenmarathon:
""Ja, Sozialamt. Dann waren wir im Amtsgericht: Dass ich die Betreuerin bin und überall dann das Sagen habe, weil er es ja nicht kann in der Zeit, in der er nicht mehr bei sich war."
"Ohne Beratungsstelle, da sind Sie am Suchen. Da blättern Sie in Telefonbüchern: Wo ist was? Wo sind Pflegeheime? Aber Sie bekommen dann praktisch immer nur für das Haus was, aber nicht konzentriert etwas Allgemeines mitgeteilt."
Viele Fragen tauchen auf, wenn ein Mensch der Pflege bedarf. Die zu bündeln und vor allem zu beantworten, das ist die Aufgabe von Christine Jacobi- Becker und ihren Kolleginnen und Kollegen. Denn es ist ein Full-Time-Job, den Überblick über die vielen verschiedenen Akteure im Gesundheits- und Pflegesystem zu behalten:
"Also das hat schon drei, vier Jahre gebraucht, bis man 'sesshaft' war, so in Anführungsstrichen, die Kontakte aufgebaut hatte. Also die Kontakte müssen ja auch gepflegt werden, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Teilnahme an regelmäßigen Arbeitsgemeinschaften, Arbeitskreisen, das regelmäßige Aufsuchen von Krankenhausstationen - das muss man alles neben der regelmäßigen Arbeit noch tun. Aber das zahlt sich aus."
Bevor Christine Jacobi-Becker mit dem Krankenhaus, dem Arzt, dem Pflegedienst oder der Krankenkasse telefoniert, versucht sie erst einmal herauszufinden, ob die Angehörigen bereit und in der Lage sind, einen Pflegebedürftigen in dessen eigenen vier Wänden zu versorgen. Das ist immer das erste Ziel:
"Ich kann ihnen Wege aufzeigen, wie die Versorgung zu Hause sichergestellt werden kann, wenn es denn möglich ist. Also, ich mache eine Bestandsaufnahme: Was ist noch da an Ressourcen? Was kann der pflege- oder hilfebedürftige Mensch noch? Welche Unterstützung können die Angehörigen bieten, wenn sie denn in der Nähe wohnen oder vielleicht sogar im eigenen Haus wohnen? Gibt es Nachbarn, die unterstützend eingreifen können?
Oder aber muss die Pflege komplett von einem ambulanten Pflegedienst übernommen werden, oder muss vielleicht auch erst mal eine Kurzzeitpflege überlegt werden, wenn der Hilfebedarf so groß ist, dass man das im Moment zu Hause nicht realisieren kann?"
So lange es geht, sollen pflegebedürftige Menschen zu Hause leben können. Deswegen berät Christine Jacobi-Becker in ihrem Büro am Ingelheimer Marktplatz auch solche Klienten, bei denen eine Pflegebedürftigkeit weit entfernt scheint:
"Ich habe auch öfter ältere Ehepaare hier sitzen, die sagen: Was gibt es für Möglichkeiten, was muss ich machen? Was müssen wir in der Wohnung eventuell an Umbaumaßnahmen vornehmen, damit wir im Alter einigermaßen gut hier leben können? Woran müssen wir denken? Also dieser prophylaktische Teil, der spielt auch eine recht große Rolle."
Außer im Büro, wo alle Merkblätter, Broschüren, Antragsformulare und Ausführungsvorschriften zur Hand sind, sind die Pflegeberater von den BeKo-Stellen auch vor Ort, da wo sie eben gebraucht werden:
"Wir machen halt auch Hausbesuche, Besuche im Krankenhaus - ganz nach Wunsch der Betroffenen und der Angehörigen."
Mehr als 20.000 Hausbesuche von BeKo-Stellen-Mitarbeitern registrierte die Statistik des Mainzer Sozialministeriums für das Jahr 2007. Überhaupt wird über die Arbeit der BeKo-Stellen rege Buch geführt, denn sie sollen nicht nur beraten, sondern auch zur Qualitätssicherung in der Pflege beitragen.
Deswegen gibt es in Rheinland-Pfalz ein "Informations- und Beschwerdetelefon Pflege", das die BeKo-Stellen in Kooperation mit der Verbraucherzentrale betreiben und den Schutz der Patienten vor schlechter, manchmal menschenunwürdiger Versorgung durch die schwarzen Schafe der Branche verbessern soll. Die Aufgaben der BeKo-Stellen sind also vielfältig, und für die Erfüllung dieser vielfältigen Aufgaben gibt das Land verhältnismäßig viel Geld aus:
"Also das Land investiert sechs Millionen Euro, rund sechs Millionen Euro für diese 135 BeKo-Stellen. Den Bürgerinnen und Bürgern nutzt das sehr viel, das kriegen wir immer wieder rückgespiegelt, und diese umfassende Beratung wird sehr geschätzt. Das Geld ist sehr gut investiert","
findet die rheinland-pfälzische Gesundheits- und Sozialministerin Malu Dreyer. Die Sozialdemokratin ist schon ein bisschen stolz darauf, dass ihre BeKo-Stellen Vorbildcharakter für die Schmidt’sche Pflegereform waren. Und natürlich bedauert sie ein bisschen, dass die einstmals geplanten Pflegestützpunkte jetzt doch nicht flächendeckend eingerichtet werden, weil die Große Koalition in Berlin wieder einmal nur einen kleinen Kompromiss hinbekommen hat und jetzt jedes Bundesland selbst entscheiden kann, wie es seine Pflegeberatung organisiert.
Zwischen Koblenz und Kandel ist der Weg klar: Die BeKo-Stellen werden ausgebaut und in "Pflegestützpunkte" umbenannt. Das Modell dafür ist Christine Jacobi-Beckers Beratungsstelle in Ingelheim, wo vor einigen Wochen ein "Fall-Manager" vom VdAK, dem Verband der Angestellten-Krankenkassen, seine Arbeit aufgenommen hat.
Als Vertreter der Pflege- und Krankenversicherung kann er über deren Leistungen entscheiden - oder zumindest verlässlich Auskunft geben, welche Pflegekosten die Kasse übernimmt. Wenn die Pflegeberatung und die Kostenentscheidung unter einem Dach stattfinden - so die Idee dahinter - ersparen sich alle Beteiligten unnötige Wege und unnötige Abstimmungsprozeduren. Sozialministerin Malu Dreyer sagt:
""Ja, die Be-Ko-Stellen sind ein klarer Gegenbeweis gegen alle schlechten Argumente auf Bundesebene gegen die Pflegestützpunkte. In Ingelheim erproben wir jetzt sozusagen den Pflegestützpunkt, sodass der Bürger alle Leistungen aus einer Hand erhält und trotzdem die Verantwortlichkeiten dort sind, wo sie hinsollten."
Und Pflegeberaterin Christine Jacobi-Becker findet, dass an der Sinnhaftigkeit dieser Konstruktion nur Unwissende zweifeln können:
"Also dieses Angebot der Hilfe unter einem Dach, das wird halt sehr geschätzt von den Menschen. Und wer das nicht kennt, der kann sich das vielleicht nicht vorstellen."
Nordrhein-Westfalen
Wie jeden Tag um die Mittagszeit geht Johanna Weeke über den langen Flur des Pflegeheims "Riehler Heimstätten" in Köln, begrüßt die Schwestern, öffnet die Zimmertür ihres Mannes.
Die 65-Jährige mit dem flotten blonden Kurzhaarschnitt geht zu ihrem Mann, der im Rollstuhl am Fenster sitzt und auf die Rasenfläche vor dem Haus blickt. Als seine Frau ihm liebevoll über den Unterarm streichelt, lächelt Roland Weeke. Sprechen kann er kaum noch.
Sechs Jahre ist es her, dass Johanna Weeke merkte, dass er sich veränderte, den Weg nach Hause nicht mehr fand und einen Sammeltick entwickelte. Der Verdacht, er leide an Demenz,
kam ihr bald. Doch wahrhaben wollte sie die Diagnose zuerst nicht.
"Am Anfang habe ich das überhaupt nicht geglaubt. Ich habe gedacht, nein, das stimmt nicht. Ich bin hier irgendwo in einem falschen Film. Das kann nicht sein. Und dann nachher, dieses Begreifen, du musst das begreifen, und du musst das annehmen. Das ist ein Prozess. Da macht man wirklich viel durch."
Johanna Weeke geht in die Küche, holt das Mittagessen für ihren Mann ab: Hering mit Salzkartoffeln. Gabel für Gabel führt sie ihm das Essen zum Mund, redet leise mit ihm. Heute, da nicht mehr die ganze Verantwortung bei ihr allein liegt, kann sie wieder liebevoll mit ihm umgehen. Als sie ihn noch zu Hause gepflegt hat, war sie so überlastet, dass sie ihn manchmal anschrie, obwohl sie das gar nicht wollte.
"Das ist eine unheimliche Belastung. Eine einzelne Person kann das gar nicht schaffen. Es sei denn, die Demenz ist nicht so weit fortgeschritten und der Demenzkranke versteht noch, was man sagt und auch mitmacht. Aber bei meinem Mann, der wusste ja gar nicht, um was es geht. Der kann überhaupt nichts mehr. Und das konnte man zu Hause nicht machen."
Unterstützung fand sie bei der Kölner Alzheimer-Gesellschaft, einer Interessengemeinschaft von Angehörigen. Dort konnte sie sich über die verschiedenen Pflegestufen informieren und sich Rat holen im Umgang mit ihrem Mann. Sonst hätte sie damals gar nicht gewusst, wohin sie sich mit ihrem Problem wenden sollte. Und da ist sie nicht die Einzige - die Krankheit ist bis heute ein Thema, über das die Angehörigen nicht gern sprechen.
"Es sind ja auch viele, das sieht man ja bei uns in der Selbsthilfegruppe, die schleichen sich da nur so ein bisschen heran, die denken, das soll keiner wissen, die trauen sich dann irgendwie nicht."
"Alzheimer-Gespräch. Das Internetmagazin für Alzheimer-Patienten und ihre Angehörigen."
Als Leiterin der Alzheimer-Gesellschaft kennt Gabriela Zander-Schneider die Ängste der Angehörigen nur zu gut. Deshalb hat sie ein Radiomagazin gegründet, das zweimal im Monat im Internet auf Sendung geht. Jedes Mal ist ein Studiogast dabei: Der Leiter eines Seniorenzentrums, der darüber berichtet, wie sich die Pflegekräfte auf Alzheimer-Patienten eingestellt haben. Oder Angehörige, die erzählen, wie sie mit der Diagnose "Demenz" umgegangen sind.
"Eigentlich waren wir ziemlich hilflos, weil uns einfach die Informationen fehlten. Es hat sich eigentlich erst zum Besseren gewandelt, als ich die Alzheimer-Selbsthilfegruppe gefunden habe. Ich wusste nicht, was ist denn in dieser Krankheit normal und was ist anders. Der Austausch mit anderen hat mir sehr geholfen, die Adressen, welche Ärzte sind besser. Da habe ich sehr viel gelernt."
Das Magazin will aufklären: über eine Krankheit, über die viele Betroffene und ihre Angehörige nicht gerne sprechen. Gabriela Zander-Schneider weiß, wie es ist, rund um die Uhr für einen Menschen da zu sein, der alles vergisst und den man nicht mehr wieder erkennt. Sie hat selbst jahrelang ihre Mutter zu Hause gepflegt.
Nun hilft sie anderen Familien, engagiert sie sich in der Kölner Alzheimer-Gesellschaft und hat ein Sorgentelefon für Angehörige eingerichtet. Denn die fühlten sich oft allein gelassen, wüssten nicht, an wen sie sich wenden können und welche finanziellen Hilfen ihnen zustehen.
"In der Aufklärung müsste wesentlich mehr passieren. Und dann halt in der Unterstützung, dass man sich tatsächlich vor Augen führt, welche Herausforderung das ist, was da tatsächlich geleistet wird in den Familien und was letztendlich uns alle als Gesellschaft entlastet."
Deswegen freut sich Gabriela Zander-Schneider sehr über das wachsende Interesse der Landes- und Kommunalpolitiker am Thema Demenz. Viele Städte haben Internetportale gegründet, auf denen die Hilfsangebote der Krankenhäuser, Pflegedienste und kirchlichen Einrichtungen aufgelistet sind.
Außerdem gibt es seit vier Jahren in einigen Regionen "Demenz-Service-Zentren". Diese wurden als Modellprojekt des Landes, der Kommunen und der Pflegekassen gegründet. Deren Mitarbeiter verstehen sich als Mittler zwischen den Betroffen und ihren Familien, Ärzten und Betreuungseinrichtungen.
Das Angebot findet regen Zuspruch. Allein in der Düsseldorfer Niederlassung führen die drei Mitarbeiter rund 1.000 Beratungsgespräche pro Jahr, berichtet die Birgit Meyer, die das Zentrum mit aufgebaut hat:
"In der Beratung wird natürlich erst einmal über den Erkrankten gesprochen. Dann wird geklärt, ob der Erkrankte schon eine Diagnosestellung bekommen hat durch einen Arzt. Wenn nicht, versuchen wir dort auch zu vermitteln zu Neurologen, um überhaupt eine Demenzdiagnose zu bekommen. Da verweisen wir dann an die Hausärzte, an die Neurologen oder auch an die Gedächtnissprechstunden und Institutsambulanzen der Kliniken."
Die Mitarbeiter des Demenz-Service-Zentrums helfen den Betroffenen außerdem dabei, Selbsthilfe-Organisationen oder ehrenamtliche Unterstützung in ihrer Nähe zu finden. Und auch bei der Suche nach einem geeigneten Pflegedienst oder einem Heim geben sie Tipps.
Sozialminister Karl-Josef Laumann von der CDU möchte diese Service-Zentren jetzt ausweiten, anstatt, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, zusätzliche Pflegestützpunkte einzurichten. Schließlich gebe es in Nordrhein-Westfalen genügend Informationsangebote, die man lieber ausbauen wolle, als neue bürokratische Strukturen entstehen zu lassen.
"Wir haben relativ wenig Geld in der Pflegeversicherung zur Verfügung. Wir erhöhen den Beitrag um ein viertel Prozent. Das bringt uns in etwa 2,7 Milliarden Euro mehr in die Kassen der Pflegeversicherung. Wir haben ein Riesenproblem mit Pflegebetten, vor allen Dingen bei den Demenzerkrankten, wo wir mehr Zeit brauchen. Und Zeit kostet in der Pflege Geld, und ich finde, das hat absoluten Vorrang."
Zustimmung bekommt er dabei von den Wohlfahrtsverbänden. Sie halten ebenfalls wenig von den geplanten Stützpunkten. Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche verweist darauf, dass viele Kommunen bereits eigene Beratungszentren aufgebaut hätten, die die Familien von Pflegebedürftigen umfassend über die Hilfsangebote aller Träger informierten. Die Landesregierung hat sich dabei bisher weitgehend raus gehalten, und das habe auch seinen Grund, sagt Minister Laumann:
"Unsere Kreise und kreisfreien Städte haben viele Angebote in den letzten Jahren geschaffen. Ich sehe meine Funktion im Land eher so, dass wir über fachlich hochqualifizierte Institutionen im Grunde Input in die örtlichen Strukturen rein geben."
Und so will Karl-Josef Laumann die zusätzlichen Mittel für die Erweiterung der bereits vorhandenen Netzwerke zum Thema Demenz nutzen. Denn von dieser Krankheit werden in Zukunft immer mehr Menschen in Deutschland betroffen sein, da die Lebenserwartung ständig steigt.
Allein in Nordrhein-Westfalen sind bereits jetzt 200.000 Menschen an Alzheimer erkrankt. Die Dunkelziffer ist hoch. Und noch immer zögern viele Angehörige zu lange, um sich Hilfe zu holen und wüssten nicht, an wen sie sich wenden sollen. Gabriela Zander-Schneider von der Alzheimer-Gesellschaft begrüßt daher die Pläne von Minister Laumann:
"Das ist eine ganz sinnvolle Sache, wenn da wirklich gebündelt wird und ein Miteinander stattfindet. Leider haben wir ja immer noch das Problem, dass jeder seine eigene Suppe kocht, anstatt dass wir in eine Richtung ziehen und sehen, dass das, was da ist, genutzt wird. Dass nicht alle drei, vier Jahre, wenn so ein Projekt dann wieder abgelaufen ist, wieder irgendwas Neues gegründet und für ein paar Jahre bezuschusst wird."
Johanna Weeke sitzt nach dem Mittagessen mit ihrem Mann am Fenster und hält seine Hand. Sie versucht, sich wenigstens wenn sie bei ihm ist, nicht allzu viele Sorgen über die Zukunft zu machen. Seit einem halben Jahr wartet sie auf einen Bescheid vom Sozialamt. Denn für die Betreuung ihres Mannes reicht dessen Rente nicht, das Ersparte ist längst aufgebraucht.
Das Sozialamt muss ihr mitteilen, wie viel der Staat für die Betreuung beisteuert und wie viel ihr von ihrer eigenen Rente abgezogen wird. Bis dahin muss sie damit klarkommen, nicht zu wissen, was ihr noch zum Leben bleibt. Wenn sie beim Sozialamt anruft, heißt es nur, die Abteilung sei überlastet.
Vielleicht, so meint Johanna Weeke, sollte die Politik lieber erstmal dafür sorgen, dass mehr Sachbearbeiter beim Sozialamt eingestellt werden, als über den Aufbau von Pflegestützpunkten nachzudenken.
Mitten in Ingelheim am Rhein steht eine dieser unzähligen Einkaufspassagen, wie man sie irgendwann vor 25 oder etwas mehr Jahren toll fand: Außen Beton, innen zu niedrige Decken mit zu billigen Neonröhren und dieser Bodenbelag aus Fliesen, denen man die harte Kosten-Nutzen-Rechnung des Bauherren ansieht. Links ein Fahrradgeschäft, gegenüber eine Spielhalle, dazwischen ein Ladenlokal von vielleicht 60 Quadratmetern mit zwei Schreibtischen, einer Besprechungsecke und mannshohen Zimmerpflanzen, die sich nach Tageslicht sehnen. Was hier verkauft wird? Nichts. Die Dienstleistungen der Frau, die in diesem Ladenlokal in der Einkaufspassage in Ingelheim sitzt, gibt es umsonst.
"Jacobi-Becker, Be-Ko Ingelheim... Guten Morgen!"
Christine Jacobi-Becker telefoniert viel in ihrem Ladenlokal in der Ingelheimer Innenstadt, denn sie leitet die örtliche Beratungs- und Koordinierungsstelle für Pflegebedürftige und deren Angehörige. 135 solcher BeKo-Stellen, wie sie die abkürzungsfreudige Sozialbürokratie nennt, gibt es in Rheinland-Pfalz, und das schon seit Mitte der 90er Jahre.
Damals begann das Land, eine flächendeckende Infrastruktur für die Pflege von Alten, Kranken oder sonstwie Hilfsbedürftigen aufzubauen. Und zu einer guten Pflege, so das Credo der sozialdemokratisch geführten Landesregierung, gehört auch eine sinnvolle, neutrale Beratung der Pflegebedürftigen und vor allem ihrer Angehörigen. Herausgekommen ist dabei ein bundesweit einmaliges Netz staatlicher Pflegeberatung - die BeKo-Stellen eben.
Und weil das rheinland-pfälzische Beratungsnetzwerk seit mehr als einem Jahrzehnt ziemlich gut funktioniert, hat sich die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die BeKo-Stellen als Blaupause genommen für ihren Plan, in ganz Deutschland ein System von Pflegestützpunkten nach einem einheitlichen Modell aufzubauen. Im Bundestag sagte die Ministerin seinerzeit:
"Wir sind überzeugt, dass die Pflegestützpunkte eine wichtige Hilfe sind, im Wohnviertel, nahe für die Menschen auch Hilfe zu organisieren."
Und sie dachte dabei zweifellos an Rheinland-Pfalz, wo die staatlich finanzierte Pflegeberatung getreu dem Motto des Ministerpräsidenten Kurt Beck "nah bei de Leut'" stattfindet:
"Wir haben ja im Laufe der letzten zehn Jahre ein großes soziales Netz aufgebaut - man sieht das auch hier an dem Schaubild - und da können wir natürlich drauf zurückgreifen. Wir kennen alle Ansprechpartner unseres Einzugsbereiches, das heißt: Sozialamtsleiter, Krankenkassenvertreter, Stationsleitungen in den Krankenhäusern, Kurzzeitpflegeeinrichtungen.
Wir arbeiten sehr eng mit den Hausärzten zusammen, kennen die ganzen niedrigschwelligen Betreuungsangebote, die ganzen Hilfen wie Hausnotruf, Essen auf Rädern, alles, was dazugehört. Und wenn halt jemand anruft, können wir auf dem kurzen Weg Hilfen einleiten, vermitteln, Formulare anfordern und die dann ausfüllen mit den pflegenden Angehörigen und so weiter","
erklärt Christine Jacobi-Becker, die im Jahr zwischen 400 und 500 Menschen aus Ingelheim und den Nachbargemeinden in Sachen Pflege berät - Menschen mittleren Alters zumeist, die einen Pflegefall in der Familie haben und einsehen mussten, dass man über die Untiefen des komplizierten deutschen Sozialsystems am besten mit einem sachkundigen Lotsen hinwegkommt.
Das haben Helga Recknagel und ihr Lebensgefährte Norbert Lichter gerade erfahren: Helga Recknagels Bruder hat einen Schlaganfall erlitten und ist jetzt ein Pflegefall. Für die Angehörigen begann mit der Erkrankung des Bruders der übliche Behördenmarathon:
""Ja, Sozialamt. Dann waren wir im Amtsgericht: Dass ich die Betreuerin bin und überall dann das Sagen habe, weil er es ja nicht kann in der Zeit, in der er nicht mehr bei sich war."
"Ohne Beratungsstelle, da sind Sie am Suchen. Da blättern Sie in Telefonbüchern: Wo ist was? Wo sind Pflegeheime? Aber Sie bekommen dann praktisch immer nur für das Haus was, aber nicht konzentriert etwas Allgemeines mitgeteilt."
Viele Fragen tauchen auf, wenn ein Mensch der Pflege bedarf. Die zu bündeln und vor allem zu beantworten, das ist die Aufgabe von Christine Jacobi- Becker und ihren Kolleginnen und Kollegen. Denn es ist ein Full-Time-Job, den Überblick über die vielen verschiedenen Akteure im Gesundheits- und Pflegesystem zu behalten:
"Also das hat schon drei, vier Jahre gebraucht, bis man 'sesshaft' war, so in Anführungsstrichen, die Kontakte aufgebaut hatte. Also die Kontakte müssen ja auch gepflegt werden, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Teilnahme an regelmäßigen Arbeitsgemeinschaften, Arbeitskreisen, das regelmäßige Aufsuchen von Krankenhausstationen - das muss man alles neben der regelmäßigen Arbeit noch tun. Aber das zahlt sich aus."
Bevor Christine Jacobi-Becker mit dem Krankenhaus, dem Arzt, dem Pflegedienst oder der Krankenkasse telefoniert, versucht sie erst einmal herauszufinden, ob die Angehörigen bereit und in der Lage sind, einen Pflegebedürftigen in dessen eigenen vier Wänden zu versorgen. Das ist immer das erste Ziel:
"Ich kann ihnen Wege aufzeigen, wie die Versorgung zu Hause sichergestellt werden kann, wenn es denn möglich ist. Also, ich mache eine Bestandsaufnahme: Was ist noch da an Ressourcen? Was kann der pflege- oder hilfebedürftige Mensch noch? Welche Unterstützung können die Angehörigen bieten, wenn sie denn in der Nähe wohnen oder vielleicht sogar im eigenen Haus wohnen? Gibt es Nachbarn, die unterstützend eingreifen können?
Oder aber muss die Pflege komplett von einem ambulanten Pflegedienst übernommen werden, oder muss vielleicht auch erst mal eine Kurzzeitpflege überlegt werden, wenn der Hilfebedarf so groß ist, dass man das im Moment zu Hause nicht realisieren kann?"
So lange es geht, sollen pflegebedürftige Menschen zu Hause leben können. Deswegen berät Christine Jacobi-Becker in ihrem Büro am Ingelheimer Marktplatz auch solche Klienten, bei denen eine Pflegebedürftigkeit weit entfernt scheint:
"Ich habe auch öfter ältere Ehepaare hier sitzen, die sagen: Was gibt es für Möglichkeiten, was muss ich machen? Was müssen wir in der Wohnung eventuell an Umbaumaßnahmen vornehmen, damit wir im Alter einigermaßen gut hier leben können? Woran müssen wir denken? Also dieser prophylaktische Teil, der spielt auch eine recht große Rolle."
Außer im Büro, wo alle Merkblätter, Broschüren, Antragsformulare und Ausführungsvorschriften zur Hand sind, sind die Pflegeberater von den BeKo-Stellen auch vor Ort, da wo sie eben gebraucht werden:
"Wir machen halt auch Hausbesuche, Besuche im Krankenhaus - ganz nach Wunsch der Betroffenen und der Angehörigen."
Mehr als 20.000 Hausbesuche von BeKo-Stellen-Mitarbeitern registrierte die Statistik des Mainzer Sozialministeriums für das Jahr 2007. Überhaupt wird über die Arbeit der BeKo-Stellen rege Buch geführt, denn sie sollen nicht nur beraten, sondern auch zur Qualitätssicherung in der Pflege beitragen.
Deswegen gibt es in Rheinland-Pfalz ein "Informations- und Beschwerdetelefon Pflege", das die BeKo-Stellen in Kooperation mit der Verbraucherzentrale betreiben und den Schutz der Patienten vor schlechter, manchmal menschenunwürdiger Versorgung durch die schwarzen Schafe der Branche verbessern soll. Die Aufgaben der BeKo-Stellen sind also vielfältig, und für die Erfüllung dieser vielfältigen Aufgaben gibt das Land verhältnismäßig viel Geld aus:
"Also das Land investiert sechs Millionen Euro, rund sechs Millionen Euro für diese 135 BeKo-Stellen. Den Bürgerinnen und Bürgern nutzt das sehr viel, das kriegen wir immer wieder rückgespiegelt, und diese umfassende Beratung wird sehr geschätzt. Das Geld ist sehr gut investiert","
findet die rheinland-pfälzische Gesundheits- und Sozialministerin Malu Dreyer. Die Sozialdemokratin ist schon ein bisschen stolz darauf, dass ihre BeKo-Stellen Vorbildcharakter für die Schmidt’sche Pflegereform waren. Und natürlich bedauert sie ein bisschen, dass die einstmals geplanten Pflegestützpunkte jetzt doch nicht flächendeckend eingerichtet werden, weil die Große Koalition in Berlin wieder einmal nur einen kleinen Kompromiss hinbekommen hat und jetzt jedes Bundesland selbst entscheiden kann, wie es seine Pflegeberatung organisiert.
Zwischen Koblenz und Kandel ist der Weg klar: Die BeKo-Stellen werden ausgebaut und in "Pflegestützpunkte" umbenannt. Das Modell dafür ist Christine Jacobi-Beckers Beratungsstelle in Ingelheim, wo vor einigen Wochen ein "Fall-Manager" vom VdAK, dem Verband der Angestellten-Krankenkassen, seine Arbeit aufgenommen hat.
Als Vertreter der Pflege- und Krankenversicherung kann er über deren Leistungen entscheiden - oder zumindest verlässlich Auskunft geben, welche Pflegekosten die Kasse übernimmt. Wenn die Pflegeberatung und die Kostenentscheidung unter einem Dach stattfinden - so die Idee dahinter - ersparen sich alle Beteiligten unnötige Wege und unnötige Abstimmungsprozeduren. Sozialministerin Malu Dreyer sagt:
""Ja, die Be-Ko-Stellen sind ein klarer Gegenbeweis gegen alle schlechten Argumente auf Bundesebene gegen die Pflegestützpunkte. In Ingelheim erproben wir jetzt sozusagen den Pflegestützpunkt, sodass der Bürger alle Leistungen aus einer Hand erhält und trotzdem die Verantwortlichkeiten dort sind, wo sie hinsollten."
Und Pflegeberaterin Christine Jacobi-Becker findet, dass an der Sinnhaftigkeit dieser Konstruktion nur Unwissende zweifeln können:
"Also dieses Angebot der Hilfe unter einem Dach, das wird halt sehr geschätzt von den Menschen. Und wer das nicht kennt, der kann sich das vielleicht nicht vorstellen."
Nordrhein-Westfalen
Wie jeden Tag um die Mittagszeit geht Johanna Weeke über den langen Flur des Pflegeheims "Riehler Heimstätten" in Köln, begrüßt die Schwestern, öffnet die Zimmertür ihres Mannes.
Die 65-Jährige mit dem flotten blonden Kurzhaarschnitt geht zu ihrem Mann, der im Rollstuhl am Fenster sitzt und auf die Rasenfläche vor dem Haus blickt. Als seine Frau ihm liebevoll über den Unterarm streichelt, lächelt Roland Weeke. Sprechen kann er kaum noch.
Sechs Jahre ist es her, dass Johanna Weeke merkte, dass er sich veränderte, den Weg nach Hause nicht mehr fand und einen Sammeltick entwickelte. Der Verdacht, er leide an Demenz,
kam ihr bald. Doch wahrhaben wollte sie die Diagnose zuerst nicht.
"Am Anfang habe ich das überhaupt nicht geglaubt. Ich habe gedacht, nein, das stimmt nicht. Ich bin hier irgendwo in einem falschen Film. Das kann nicht sein. Und dann nachher, dieses Begreifen, du musst das begreifen, und du musst das annehmen. Das ist ein Prozess. Da macht man wirklich viel durch."
Johanna Weeke geht in die Küche, holt das Mittagessen für ihren Mann ab: Hering mit Salzkartoffeln. Gabel für Gabel führt sie ihm das Essen zum Mund, redet leise mit ihm. Heute, da nicht mehr die ganze Verantwortung bei ihr allein liegt, kann sie wieder liebevoll mit ihm umgehen. Als sie ihn noch zu Hause gepflegt hat, war sie so überlastet, dass sie ihn manchmal anschrie, obwohl sie das gar nicht wollte.
"Das ist eine unheimliche Belastung. Eine einzelne Person kann das gar nicht schaffen. Es sei denn, die Demenz ist nicht so weit fortgeschritten und der Demenzkranke versteht noch, was man sagt und auch mitmacht. Aber bei meinem Mann, der wusste ja gar nicht, um was es geht. Der kann überhaupt nichts mehr. Und das konnte man zu Hause nicht machen."
Unterstützung fand sie bei der Kölner Alzheimer-Gesellschaft, einer Interessengemeinschaft von Angehörigen. Dort konnte sie sich über die verschiedenen Pflegestufen informieren und sich Rat holen im Umgang mit ihrem Mann. Sonst hätte sie damals gar nicht gewusst, wohin sie sich mit ihrem Problem wenden sollte. Und da ist sie nicht die Einzige - die Krankheit ist bis heute ein Thema, über das die Angehörigen nicht gern sprechen.
"Es sind ja auch viele, das sieht man ja bei uns in der Selbsthilfegruppe, die schleichen sich da nur so ein bisschen heran, die denken, das soll keiner wissen, die trauen sich dann irgendwie nicht."
"Alzheimer-Gespräch. Das Internetmagazin für Alzheimer-Patienten und ihre Angehörigen."
Als Leiterin der Alzheimer-Gesellschaft kennt Gabriela Zander-Schneider die Ängste der Angehörigen nur zu gut. Deshalb hat sie ein Radiomagazin gegründet, das zweimal im Monat im Internet auf Sendung geht. Jedes Mal ist ein Studiogast dabei: Der Leiter eines Seniorenzentrums, der darüber berichtet, wie sich die Pflegekräfte auf Alzheimer-Patienten eingestellt haben. Oder Angehörige, die erzählen, wie sie mit der Diagnose "Demenz" umgegangen sind.
"Eigentlich waren wir ziemlich hilflos, weil uns einfach die Informationen fehlten. Es hat sich eigentlich erst zum Besseren gewandelt, als ich die Alzheimer-Selbsthilfegruppe gefunden habe. Ich wusste nicht, was ist denn in dieser Krankheit normal und was ist anders. Der Austausch mit anderen hat mir sehr geholfen, die Adressen, welche Ärzte sind besser. Da habe ich sehr viel gelernt."
Das Magazin will aufklären: über eine Krankheit, über die viele Betroffene und ihre Angehörige nicht gerne sprechen. Gabriela Zander-Schneider weiß, wie es ist, rund um die Uhr für einen Menschen da zu sein, der alles vergisst und den man nicht mehr wieder erkennt. Sie hat selbst jahrelang ihre Mutter zu Hause gepflegt.
Nun hilft sie anderen Familien, engagiert sie sich in der Kölner Alzheimer-Gesellschaft und hat ein Sorgentelefon für Angehörige eingerichtet. Denn die fühlten sich oft allein gelassen, wüssten nicht, an wen sie sich wenden können und welche finanziellen Hilfen ihnen zustehen.
"In der Aufklärung müsste wesentlich mehr passieren. Und dann halt in der Unterstützung, dass man sich tatsächlich vor Augen führt, welche Herausforderung das ist, was da tatsächlich geleistet wird in den Familien und was letztendlich uns alle als Gesellschaft entlastet."
Deswegen freut sich Gabriela Zander-Schneider sehr über das wachsende Interesse der Landes- und Kommunalpolitiker am Thema Demenz. Viele Städte haben Internetportale gegründet, auf denen die Hilfsangebote der Krankenhäuser, Pflegedienste und kirchlichen Einrichtungen aufgelistet sind.
Außerdem gibt es seit vier Jahren in einigen Regionen "Demenz-Service-Zentren". Diese wurden als Modellprojekt des Landes, der Kommunen und der Pflegekassen gegründet. Deren Mitarbeiter verstehen sich als Mittler zwischen den Betroffen und ihren Familien, Ärzten und Betreuungseinrichtungen.
Das Angebot findet regen Zuspruch. Allein in der Düsseldorfer Niederlassung führen die drei Mitarbeiter rund 1.000 Beratungsgespräche pro Jahr, berichtet die Birgit Meyer, die das Zentrum mit aufgebaut hat:
"In der Beratung wird natürlich erst einmal über den Erkrankten gesprochen. Dann wird geklärt, ob der Erkrankte schon eine Diagnosestellung bekommen hat durch einen Arzt. Wenn nicht, versuchen wir dort auch zu vermitteln zu Neurologen, um überhaupt eine Demenzdiagnose zu bekommen. Da verweisen wir dann an die Hausärzte, an die Neurologen oder auch an die Gedächtnissprechstunden und Institutsambulanzen der Kliniken."
Die Mitarbeiter des Demenz-Service-Zentrums helfen den Betroffenen außerdem dabei, Selbsthilfe-Organisationen oder ehrenamtliche Unterstützung in ihrer Nähe zu finden. Und auch bei der Suche nach einem geeigneten Pflegedienst oder einem Heim geben sie Tipps.
Sozialminister Karl-Josef Laumann von der CDU möchte diese Service-Zentren jetzt ausweiten, anstatt, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, zusätzliche Pflegestützpunkte einzurichten. Schließlich gebe es in Nordrhein-Westfalen genügend Informationsangebote, die man lieber ausbauen wolle, als neue bürokratische Strukturen entstehen zu lassen.
"Wir haben relativ wenig Geld in der Pflegeversicherung zur Verfügung. Wir erhöhen den Beitrag um ein viertel Prozent. Das bringt uns in etwa 2,7 Milliarden Euro mehr in die Kassen der Pflegeversicherung. Wir haben ein Riesenproblem mit Pflegebetten, vor allen Dingen bei den Demenzerkrankten, wo wir mehr Zeit brauchen. Und Zeit kostet in der Pflege Geld, und ich finde, das hat absoluten Vorrang."
Zustimmung bekommt er dabei von den Wohlfahrtsverbänden. Sie halten ebenfalls wenig von den geplanten Stützpunkten. Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche verweist darauf, dass viele Kommunen bereits eigene Beratungszentren aufgebaut hätten, die die Familien von Pflegebedürftigen umfassend über die Hilfsangebote aller Träger informierten. Die Landesregierung hat sich dabei bisher weitgehend raus gehalten, und das habe auch seinen Grund, sagt Minister Laumann:
"Unsere Kreise und kreisfreien Städte haben viele Angebote in den letzten Jahren geschaffen. Ich sehe meine Funktion im Land eher so, dass wir über fachlich hochqualifizierte Institutionen im Grunde Input in die örtlichen Strukturen rein geben."
Und so will Karl-Josef Laumann die zusätzlichen Mittel für die Erweiterung der bereits vorhandenen Netzwerke zum Thema Demenz nutzen. Denn von dieser Krankheit werden in Zukunft immer mehr Menschen in Deutschland betroffen sein, da die Lebenserwartung ständig steigt.
Allein in Nordrhein-Westfalen sind bereits jetzt 200.000 Menschen an Alzheimer erkrankt. Die Dunkelziffer ist hoch. Und noch immer zögern viele Angehörige zu lange, um sich Hilfe zu holen und wüssten nicht, an wen sie sich wenden sollen. Gabriela Zander-Schneider von der Alzheimer-Gesellschaft begrüßt daher die Pläne von Minister Laumann:
"Das ist eine ganz sinnvolle Sache, wenn da wirklich gebündelt wird und ein Miteinander stattfindet. Leider haben wir ja immer noch das Problem, dass jeder seine eigene Suppe kocht, anstatt dass wir in eine Richtung ziehen und sehen, dass das, was da ist, genutzt wird. Dass nicht alle drei, vier Jahre, wenn so ein Projekt dann wieder abgelaufen ist, wieder irgendwas Neues gegründet und für ein paar Jahre bezuschusst wird."
Johanna Weeke sitzt nach dem Mittagessen mit ihrem Mann am Fenster und hält seine Hand. Sie versucht, sich wenigstens wenn sie bei ihm ist, nicht allzu viele Sorgen über die Zukunft zu machen. Seit einem halben Jahr wartet sie auf einen Bescheid vom Sozialamt. Denn für die Betreuung ihres Mannes reicht dessen Rente nicht, das Ersparte ist längst aufgebraucht.
Das Sozialamt muss ihr mitteilen, wie viel der Staat für die Betreuung beisteuert und wie viel ihr von ihrer eigenen Rente abgezogen wird. Bis dahin muss sie damit klarkommen, nicht zu wissen, was ihr noch zum Leben bleibt. Wenn sie beim Sozialamt anruft, heißt es nur, die Abteilung sei überlastet.
Vielleicht, so meint Johanna Weeke, sollte die Politik lieber erstmal dafür sorgen, dass mehr Sachbearbeiter beim Sozialamt eingestellt werden, als über den Aufbau von Pflegestützpunkten nachzudenken.