"Phänomene von Zusammenarbeit"

Die Berliner Mauer - trennte auch die Kirchen in Ost und West
Die Berliner Mauer - trennte auch die Kirchen in Ost und West © Deutschlandradio
Thomas Bremer im Gespräch mit Anne Françoise Weber |
In der kommenden Woche findet eine Tagung statt, die sich mit der Rolle der Kirchen im Kalten Krieg beschäftigt. Im früheren Ostblock war diese oft von einem grundlegenden Konflikt geprägt: Anpassung gegenüber dem Staat auf der einen, Vertretung kirchlicher Interessen auf der anderen Seite.
Anne Françoise Weber: "Kein Vorhang – sei er aus Gold, Silber oder Eisen – darf uns voneinander trennen. Alle nationalen und klassenmäßigen Vorurteile müssen ausgelöscht werden." Das sagte der tschechische Theologe Josef Hromádka bei der ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen 1948 in Amsterdam. Wie stark die Trennung durch den Eisernen Vorhang in Europa und in der Welt war, das ist in weiten Teilen bekannt. Aber wie war die Rolle der Kirchen im Kalten Krieg? In der kommenden Woche findet in Frankfurt am Main eine Tagung zu diesem Thema statt. Organisiert wird sie unter anderem von dem Münsteraner Professor für Ökumenik und Friedensforschung, Thomas Bremer. Mit ihm habe ich vor der Sendung gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob Hromádka recht behalten hat und es wirklich keine Blockbildung in der Ökumene gab?

Thomas Bremer: Man kann die Frage mit Ja und Nein beantworten. Natürlich hat die politische Situation in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, also die Zeit des Kalten Krieges, die Zeit der politischen Blöcke, dazu geführt, dass die Kirchen eben einem Block sozusagen angehörten und in einem Block zu Hause waren. Andererseits ist es so, dass die Kirchen und vor allem eben die ökumenische Bewegung tatsächlich eines der sehr, sehr wenigen Foren waren während der Zeit des Kalten Krieges, indem es Begegnungen und Kontakte und Austausch über die Blöcke, über die Grenzen zwischen Blöcken hinweg gegeben hat.

Weber: Und dieser Austausch war produktiv und hat auch politisch etwas bewegt?

Bremer: Das ist natürlich schwer zu messen, was er politisch bewegt hat. Man müsste da noch mal überlegen, was die Konferenz von Helsinki von 1975 und dann anschließend die Betonung der Menschenrechte bedeutet hat, die umstrittene Haltung der ökumenischen Gremien zu den Menschenrechten. Was man aber auf jeden Fall sagen kann, ist, dass es eine Möglichkeit für die Kirchen im Osten Europas, in kommunistischen Regimes gewesen ist, Kontakt zu haben mit Glaubensgenossen im Westen und dass es Austausch gegeben hat. Es hat auch eine wichtige Rolle gehabt, wenn zum Beispiel den sehr zentralen Dialog zwischen der EKD und der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats seit 1959 sieht, es hat also auch eine wichtige Funktion gehabt für die politische und zwischennationale Aussöhnung. Der Dialog wurde gar nicht so sehr aus theologischen Gründen im engeren Sinne, sondern eben tatsächlich aus Gründen der Aussöhnung nach den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges aufgenommen und so weiter. Also es gab doch eine ganze Reihe von solchen positiven Folgen.

Weber: Haben sich die Kirchen gleichzeitig doch auch ein wenig instrumentalisieren lassen? Sie sprachen schon die Frage der Menschenrechte an, da gab es ziemlich unterschiedliche Interpretationen der Menschenrechte in Ost und West – haben das die Kirchen auch übernommen?

Bremer: Ja, das gab es natürlich. Das ist eine Frage, die nach dem Ende des Kalten Krieges sehr, sehr umstritten gewesen ist, also ob die Kirchen sozusagen, vor allem die westlichen Kirchen und die ökumenischen Gremien beide Augen zugedrückt hätten gegenüber den Kirchen aus dem kommunistischen Machtbereich. Für viele Kirchen in Osteuropa war die einzige Möglichkeit, mit den Kirchen im Westen in Kontakt zu sein und sich an der ökumenischen Bewegung zu beteiligen, daran, dass man eben wenigstens grundsätzlich loyal den Staaten gegenüber gewesen ist. Und das ist eine sehr schwierige Situation gewesen. Es ist für uns heute leicht, da positiv odernegativ zu urteilen, aber das waren sehr schwierige Entscheidungen für die Kirchen. Und wir wissen heute, dass es in manchen Kirchen in der früheren Sowjetunion oder in Rumänien enge Zusammenarbeit von Kirchenvertretern mit den staatlichen Organen gegeben hat. Wir wissen auch …

Weber: Auch mit den Geheimdiensten?

Bremer: Auch mit den Geheimdiensten, ja, das meinte ich, mit den staatlichen Organen ohnehin, das war gar nicht anders möglich, aber ich meinte eben mit den Geheimdiensten … dass es auch natürlich Märtyrer gegeben hat, diejenigen, die sich der Zusammenarbeit mit dem Staat verweigert haben und das zum Teil mit dem Leben bezahlen mussten oder lange Zeit im Gefängnis saßen, und dass die Haltung der Christinnen und Christen im Westen eben auch unter ihnen selber umstritten war. Es gab Menschen, die gesagt haben, die Alternative zu diesem Dialog ist Schweigen und keinen Kontakt zu haben, und deswegen ist es besser, auch wenn wir wissen, dass die Vertreter der östlichen Kirchen eigentlich die staatliche Position vertreten müssen, ist es besser, mit ihnen Kontakt zu haben und dann auch auf informellen Wegen sich auszutauschen, etwa bei Spaziergängen oder bei informellen Gelegenheiten, die nicht so überwacht worden sind. Und es gab andere Leute im Westen, die gesagt haben, nein, wir sollten mit diesen Kirchen überhaupt keinen Kontakt haben, um deutlich zu signalisieren, das ist etwas, was wir nicht akzeptieren und was außerhalb unserer Vorstellungen von politischer Aktivität liegt.

Weber: Diese Position hat sich aber nicht wirklich durchgesetzt, der Dialog hielt ja wirklich an bis zur Wende.

Bremer: Ja, aber er war auch immer umstritten. Es gab immer auch Leute und Organisationen im Westen, die einen scharf antikommunistischen und antisowjetischen Kampf geführt haben und die da eben die Kirchen mit einbezogen haben und die eigentlich gegen diese Art von Ökumene und von Kontakten gewesen sind.

Weber: Sie haben schon die Märtyrer angesprochen und die Kollaborateure – zieht sich dann bis heute eigentlich ein Riss durch so manche Kirche, weil man eben genau weiß, der hat damals kooperiert und ich war damals im Gefängnis?

Bremer: Das ist ein Thema, das in manchen Kirchen tatsächlich wichtig ist und von Bedeutung ist. Man muss dazusagen, dass es eine Reihe von Ländern gibt, wo wir das gar nicht genau wissen und wo die Kirchen das selber auch nicht wissen, weil eben die Akten nicht öffentlich sind und nicht zugänglich sind und man vermutet das, es gilt vor allem für Russland, für die orthodoxe Kirche in Russland. Eine besondere Situation, an der man das vielleicht etwas illustrieren kann, ist die griechisch-katholische oder sogenannte unierte Kirche in der Ukraine, die in der Sowjetzeit verboten war und erst im Zusammenhang mit der Perestroika wieder offiziell wirken konnte. Da ist es so, dass es Priester gab, die im Untergrund waren, und Gläubige, die im Untergrund waren, weil sie eben nicht offiziell existieren durften, es gab solche, die sich der orthodoxen Kirche angeschlossen haben, und es gab solche, die im Westen, im Ausland im Exil gelebt haben. Und man kann das heute noch in dieser Kirche merken, dass es manchmal Spannungen gibt zwischen diesen drei Gruppen.

Weber: Sind denn insgesamt die orthodoxen und protestantischen Kirchen, die ja grundsätzlich pluraler aufgestellt sind, anfälliger dafür gewesen, sich vor einen politischen Karren spannen zu lassen als die katholische Kirche, die immer als Weltkirche all ihre Mitglieder im Blick haben musste?

Bremer: Die – Sie sprechen das an – die Organisationsform der katholischen Kirche hat vieles dazu beigetragen, dass nicht immer, aber in vielen Fällen es mehr Zurückhaltung gegenüber den staatlichen Regimes gegeben hat. Das hängt weniger – ich würde das nicht so sehr mit einer Anfälligkeit begründen, sondern ich glaube, das hängt damit zusammen, dass man mit der Beeinträchtigung oder der Verfolgung einer katholischen Ortskirche eben dann sofort den Weltkatholizismus sozusagen gegen sich gehabt hat. Es gab aber auch in katholischen Ortskirchen manchmal Phänomene von Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden und mit den Geheimdiensten. Die orthodoxen Kirchen sind in Osteuropa eben so organisiert, dass sie auf eine Nation bezogen sind und dass deswegen immer eine – unabhängig vom politischen System – es immer eine gewisse Solidarität mit dem Staat gegeben hat, egal wie er nun beschaffen sein mochte. Und es gibt keine orthodoxe Kirche, die irgendwie für Kommunismus gewesen wäre, aber man war eben für den eigenen Staat und man hat dann doch das sehr stark betont. Bei den evangelischen Kirchen, die in den meisten Ländern Osteuropas Minderheitskirche gewesen ist, hat es auch beide Phänomene gegeben.

Weber: Auf dem Kirchentag, der in zwei Wochen in Dresden beginnt, gibt es ein Begegnungszentrum Mittel- und Osteuropa. Da werden Teilnehmende aus Polen, aus der Tschechei, aus der Slowakei, aus der Ukraine und noch anderen osteuropäischen Ländern erwartet. Denken Sie, dass bei so einer Begegnung immer noch das Erbe des Kalten Kriegs mitschwingt, dass da vielleicht auch Deutsche und Osteuropäer sich doch noch begegnen, ja, über Blockgrenzen irgendwie hinweg, auch wenn diese Blockgrenzen politisch längst nicht mehr so bestehen?

Bremer: Was ganz anders ist – und das steckt ja in der Frage schon drin –, ist natürlich, dass es überhaupt Begegnung geben kann. Es gab Begegnungen von Gläubigen, von Gemeinden, gegenseitige Besuche praktisch nicht in der Zeit des Kalten Krieges, sondern diejenigen, die sich getroffen und besucht haben, das waren Kirchenleitungen oder Kirchenleiter – kann man sagen, es waren fast immer Männer –, sodass das natürlich etwas Neues ist. Erfreulich ist, dass dadurch doch aber eine gewisse Tradition des gegenseitigen Interesses entstanden ist. Und was man heute in manchen Kirchen, ich sag mal jetzt Osteuropas, aber ich meine eben auch Mitteleuropas, also diejenigen, die Erfahrung haben, unter kommunistischen Systemen zu leben – was man dort bis heute manchmal beobachten kann, ist ein gewisses Unverständnis oder eine gewisse Fremdheit gegenüber der Art, wie Christentum im Westen gelebt wird. Und deswegen sind solche Begegnungen, glaube ich, von sehr großer Wichtigkeit.

Weber: In Jamaika tagt zurzeit die Internationale ökumenische Friedenskonvokation, einberufen vom Ökumenischen Rat der Kirchen. Bisher taucht das Thema in den Medien kaum oder gar nicht auf. Wäre so etwas zu Zeiten des Kalten Krieges anders gewesen, ist die große Zeit des Ökumenischen Rats der Kirchen im Grunde mit dem Fall der Mauer zu Ende gegangen?

Bremer: Das würde ich nicht so sagen, weil die Sichtweise doch sehr auf Europa konzentriert ist. Wenn wir das sagen, mit dem Fall der Mauer ist das zu Ende gegangen, wenn man die Geschichte des Ökumenischen Rates anguckt, dann sieht man, dass immer auch oder wenigstens seit den 60er-Jahren nicht nur der Ost-West-Gegensatz, sondern der Süd-Nord-Gegensatz, arme Länder, reiche Länder, unabhängig vom politischen System, eine Rolle gespielt hat. Das Friedensthema, das eben jetzt in der Konvokation wieder aufgenommen wird, das Friedensthema war immer ein zentrales Thema natürlich. 1948 wurde der Ökumenische Rat der Kirchen gegründet, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, die Gründung war für 41 vorgesehen, musste wegen des Krieges verschoben werden. Also beides sind Dinge, die immer schon wichtig gewesen sind, und ich glaube nicht, dass man jetzt sagen kann, durch die politischen Entwicklungen, die Gott sei Dank das Ende der Blöcke bewirkt haben, hat sich die Rolle des Ökumenischen Rates überholt, das ist sicher nicht so.

Weber: Wenn Sie nächste Woche auf diese Tagung gehen oder diese Tagung leiten zur Rolle der Kirchen und des Christentums im Kalten Krieg, wo sind die Forschungslücken, wo Sie wirklich denken, da müssen wir jetzt rein, da muss wirklich noch viel ausgegraben werden? Und kann das überhaupt ausgegraben werden, wenn Sie sagen, die Akten sind zum Teil unter Verschluss?

Bremer: Die Zeit des Kalten Krieges ist momentan in der Geschichtswissenschaft sozusagen ein In-Thema, das wird relativ intensiv erforscht, und interessanterweise die Rolle von Religion und Kirche kaum. Und die Tagung, die nächste Woche stattfindet, hat auch den Hintergrund, eine Art Sichtung erst mal darzustellen, also zu sehen, zu welchen Bereichen wird denn geforscht. Und wenn alles gut läuft, dann werden wir versuchen, danach auch einen Verbund einzurichten und einen Zusammenschluss von Menschen zu haben, die sich wissenschaftlich mit der Rolle von Kirchen im Kalten Krieg beschäftigen. Die Bedeutung der Ökumene gehört sicher dazu – Sie haben am Anfang Hromádka erwähnt und die christliche Friedenskonferenz, die sehr umstritten gewesen ist. Dann interessant auch die Frage nach dem Einfluss der Politik auf das kirchliche Geschehen und umgekehrt auch der Einfluss der Kirchen auf die Politik, also etwa der Widerstand von Katholiken in den USA – das wird ein Thema sein – gegen den Vietnamkrieg, und der Versuch der katholische Kirche in den USA oder von Teilen der katholischen Kirche in den USA die Politik in dieser Hinsicht zu beeinflussen. Also solche Themen sind, glaube ich, von Wichtigkeit, und da ist noch viel zu erforschen. Es stimmt, dass wir nicht an alle Archive kommen, aber es gibt natürlich auch doch eine ganze Reihe von Material, das zur Verfügung steht und mit dem man da, glaube ich, ganz gut arbeiten kann.

Weber: Also jede Menge Stoff für Wissenschaftler.

Bremer: Wir hoffen das.

Weber: Vielen Dank, Thomas Bremer! Sie sind Professor für Ökumenik und Friedensforschung an der Universität Münster, und die von Ihnen mitgeleitete Tagung "Die Rolle der Kirchen und des Christentums im Kalten Krieg" findet am 27. und 28. Mai, also nächsten Freitag und Samstag, in Frankfurt am Main statt.

Linktipp:
Infos zum Workshop "Die Rolle der Kirchen und des Christentums im Kalten Krieg" an der Goethe Universität in Frankfurt am Main