Ausstellung der Berliner Nationalgalerie

Wie Nosferatu unsterblich wurde

06:16 Minuten
Szene aus Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu - Symphonie des Grauens".
Für "Nosferatu - Symphonie des Grauens" (Filmstill) orientierte sich Murnau an der Kunst Alfred Kubins. Zu sehen in der Ausstellung "Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu", in der Sammlung Scharf-Gerstenberg. © Deutsche Kinemathek
Von Simone Reber |
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Friedrich Wilhelm Murnaus Film "Nosferatu" ist heute ein Kinoklassiker. Hundert Jahre nach der Premiere widmet die Berliner Nationalgalerie dem Film eine Ausstellung: zwischen Gänsehaut und kunsthistorischem Vergnügen.
1922 trat der Vampir zum ersten Mal im Marmorsaal des Berliner Zoologischen Gartens auf der Leinwand auf. Zunächst war die Gruselgeschichte wenig erfolgreich und wäre in Vergessenheit geraten. Nur der Begeisterung der Pariser Surrealisten ist es zu verdanken, dass Nosferatu erhalten blieb und inzwischen restauriert werden konnte.
In der Ausstellung lässt sich das Phantom beinahe mit den Fingern greifen und dann entwischt es doch. In der Berliner Sammlung Scharf-Gerstenberg ist das Film-Bild des Nosferatu auf einen Vorhang aus feinen Schnüren projiziert. Wer von einem Ausstellungsraum in den nächsten gelangen will, muss dem Untoten in die Augen sehen und sein Abbild beherzt beiseiteschieben.

Pariser Surrealisten von Murnaus Film fasziniert

Die fantastische Ausstellung „Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu“ oszilliert gekonnt zwischen der Leidenschaft für Gänsehaut und kunsthistorischem Vergnügen. Man versteht die Begeisterung der Pariser Surrealisten, ohne die der Film von Friedrich Wilhelm Murnau heute möglicherweise gar nicht mehr zu sehen wäre.
"Nosferatu war tatsächlich ein Lieblingsfilm von André Breton, dem Wortführer der Surrealisten", erklärt Kyllikki Zacharias, die Leiterin der Sammlung Scharf-Gerstenberg. Für Breton habe es einen Schlüsselsatz in dem Film gegeben: "Wir haben mindestens vier Stellen in seinen Büchern gefunden, wo er ihn zitiert." Da heiße es: „Kaum war Hutter über die Brücke geschritten, da erfassten ihn die unheimlichen Gesichte.“
Das ist laut Zacharias genau das Interesse der Surrealisten: "An diesem Schwellenmoment, dem Übertritt von der einen Welt in die andere Welt, von der hellen Welt, der rational logischen Welt, in eine dunkle Welt, die natürlich auch von Ängsten besetzt sein kann und die phantomhaft ist."

Konfrontation mit dem Grauen

In dem Stummfilm aus dem Jahr 1922 verlässt der junge Immobilienmakler Hutter die Idylle seines Norddeutschen Heimatstädtchens Wisborg und reist zum Grafen Orlok nach Transsilvanien. Dieser ist natürlich niemand anders als Nosferatu – der Untote. Der Name ist Bram Stokers Roman "Dracula" entlehnt. In der Berliner Ausstellung sind Reproduktionen der Gemälde zu sehen, die Murnau als Vorlagen dienten. Die heile Welt zu Hause fand er in den Bildern der Romantik und des Biedermeier.
"In einer Stelle, das betrifft ein Bild von Kersting", so die Leiterin der Sammlung Zacharias, "da hat er wirklich im Drehbuch handschriftlich dazu geschrieben: Bild von Kersting. Das ist ein Bild, das heißt 'Der elegante Leser'." Das Bild gebe es in vielen Varianten. Und das aus Weimar sei genau das, das als Vorbild für eine Szene in Nosferatu gedient habe, erzählt sie.
Das eigentlich Faszinierende für die Surrealisten war die Konfrontation mit dem Grauen, mit den Ängsten, mit der dunklen Welt auf der anderen Seite der Brücke. Um sie darzustellen, orientierten sich Friedrich Wilhelm Murnau und sein Filmarchitekt Albin Grau an der Kunst von Alfred Kubin.

Der Ameisenbär als zweite Natur Nosferatus

In Kubins rätselhaftem Bild „Der Sauger“ umarmt ein Phantasiewesen mit seinem Rüssel eine Frau, während der Tod danebensteht. Später nimmt Salvador Dalí das Motiv in einem winzigen Ex Libris auf. Er porträtiert André Breton als Ameisenbär mit einem langen Rüssel. Die beiden Surrealisten verband eine gemeinsame Phobie – die Angst vor Ameisen.  Der Ameisenbär mit seinem langen Rüssel war ihr Schutzpatron.
"Das ist die zweite Natur von Nosferatu", sagt Kyllikki Zacharias "das wissen die Leute oft nicht." Man kenne diese hagere Figur von Nosferatu, die gekrümmt steht, mit gekrümmten Fingern und langen Nägeln. "Und dann gibt es auch in der Werbung, die sehr massiv um den Film gebaut wurde, die Figur des Nosferatu als ein merkwürdiges Säugetier. Und dieses Tier ist vorgebildet bei Kubin, darauf bezieht sich der Ausstatter Albin Grau."
Entwurf Filmplakat Nosferatu aus dem Jahr 1921, Aquarell auf Halbkarton, 16 x 19 cm
Albin Graus Entwurf für ein "Nosferatu"-Filmplakat.© Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Trogen (CH)
Albin Grau war mehr als nur der Filmausstatter. Er war Maler, Werbezeichner, Okkultist. Er hatte eigens für die Produktion von Nosferatu gemeinsam mit seinem Kompagnon Enrico Dieckmann die Filmfirma Prana gegründet und Friedrich Wilhelm Murnau als Regisseur ins Projekt geholt.

Mit einer beispiellosen Werbekampagne übernommen

"Diese Gestalt des Nosferatu geht im Wesentlichen auf Albin Grau zurück und auf seine Affinität für die fantastische Kunst der Zeit", glaubt Frank Schmidt, er ist gemeinsam mit Jürgen Müller Co-Kurator der Ausstellung. Der Gruselfilm spielt mit der Angst seiner Zeit und verwendet dafür auch Antisemitismus. Immerhin soll Murnau viele Klischees aus dem Drehbuch des jüdischen Autors Henrik Galeen abgemildert haben.
Albin Grau flankierte die Produktion mit einer beispiellosen Werbekampagne. Schon ein Dreivierteljahr vor der Premiere fluteten Zeitungsanzeigen das Publikum. "Er wollte einfach eine Präsenz erzeugen für den Film", so Schmidt, "die sich daran abzeichnet, dass unter anderem diese Werbeplakate für diesen Film für jeden Platz anders gestaltet wurden. Allein daran sieht man, welche große Mühe investiert wurde, um diesen Film groß zu machen."
Am Ende übernahm sich Albin Grau, der Werbeetat übertraf das Drehbudget. Die Prana Film musste Konkurs anmelden. Darüber hinaus endete ein Rechtsstreit mit den Erben des "Dracula"-Autors Bram Stoker damit, dass die deutschen Kopien eingestampft werden mussten. Zuvor aber waren einige Filmrollen nach Frankreich gelangt und begeisterten die Surrealisten. Damit wurde Nosferatu unsterblich.
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