Philip Manow: Die Politische Ökonomie des Populismus
Suhrkamp, Berlin 2018
160 Seiten, 16 Euro.
Von der Angst, den eigenen Status einzubüßen
Der Erfolg des Populismus in Deutschland sei weniger ein Aufstand der Modernisierungsverlierer, als vielmehr die Angst vor sozialem Abstieg, behauptet Philip Manow. Damit gelingt ihm die erste materialistische Analyse des Populismus.
Wie erklärt sich der ungeheure Erfolg der populistischen Parteien, der in den letzten Jahren das politische Gefüge in ganz Europa und den USA erschüttert hat? Warum wählen so viele Menschen Donald Trump, Marine LePen, den Brexit und die AfD? Liegt es daran, dass sie sich kulturell abgehängt, erniedrigt und beleidigt fühlen? Handelt es sich um den Aufstand der "Modernisierungsverlierer", der Peripherie und der Provinz gegen die Globalisierungsgewinner und die kosmopolitischen Eliten?
So oder so ähnlich lauten jedenfalls die gegenwärtig beliebtesten Erklärungsmodelle: Sie begreifen das Erstarken des Populismus als Effekt einer kulturellen Entfremdung und als Abwehrreflex gegen die globalisierte Gegenwart.
Diese Erklärung stimmt aber nicht, schreibt der Bremer Politikwissenschaftler Philip Manow in seinem neuen Buch "Die Politische Ökonomie des Populismus". Denn es sind beispielsweise in Deutschland ja gar nicht die Modernisierungsverlierer, die AfD wählen. Besonders große Erfolge erzielt sie gerade unter festangestellten Facharbeitern in wirtschaftlich prosperierenden Regionen in Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg, also unter Modernisierungsgewinnern. Warum?
Nicht kulturell, sondern ökonomisch begründete Statuspanik
Manow schaut sich die Wähler-Analysen der letzten Jahre an und stellt fest, dass die Anhänger der AfD einerseits aktuell weder sozial noch ökonomisch benachteiligt sind – dass die Mehrheit von ihnen andererseits früher im Leben einmal die Erfahrung von Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg gemacht hat.
Der Erfolg des Populismus in Deutschland ist also vor allem der Ausdruck von Statuspanik, und diese Statuspanik ist nicht kulturell begründet, sondern ökonomisch – dies allerdings in einer weitaus komplexeren Weise, als es etwa die Linkspopulisten um Sahra Wagenknecht glauben.
Das ist die Ausgangsbeobachtung von Philip Manow. Auf ihrer Grundlage nimmt er andere populistische Bewegungen in Europa in den Blick und findet dabei äußerst unterschiedliche Motivationslagen vor: In Nordeuropa dominieren generell rechtspopulistische Bewegungen, weil es sich hier um exportorientierte Ökonomien mit vergleichsweise großzügig ausgebauten Sozialsystemen handelt; wer populistisch wählt, will die Teilhabe an diesen Sozialsystemen für sich und seinesgleichen absichern und gegen Andere, also Migranten verteidigen. In Südeuropa hingegen, wo der Sozialstaat bei weitem nicht so ausgebaut ist, herrschen linkspopulistische Bewegungen vor, die nicht gegen Migranten protestieren, sondern gegen "Neoliberalismus" und "Austerität".
Populismus nur im Plural
Darum kann man, so Manow, vom Populismus nur im Plural reden, und auch die Unterschiede zwischen seinen Erscheinungsformen sind wiederum ökonomisch begründet. Seine Behauptungen unterfüttert er mit ausführlich dargelegten Datenanalysen: Wie sonst zuletzt selten in der Debatte über den Populismus, hat man beim Lesen seines Buchs das angenehme Gefühl, dass das Ergebnis nicht schon vor dem Schreiben feststand. Lediglich eines steht hier von vornherein außer Frage: dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Philip Manow hat gewissermaßen die erste materialistische Analyse des Populismus verfasst. Dabei redet er die kulturellen Impulse dieser Entwicklung gelegentlich allzu klein, wenn er etwa behauptet, dass die patriarchalen Ideologien der Populisten, ihre Homophobie und ihr Sexismus für die Erklärung des Phänomens wenig relevant sind.
Hier teilt der Materialist sich die Welt dann wieder in Haupt- und Nebenwiderspruch ein. Das hätte Manow nicht nötig. Ohne diesen methodischen Rigorismus wäre sein Ansatz noch überzeugender. Doch auch dort, wo man widersprechen oder ergänzen möchte, ist "Die Politische Ökonomie des Populismus" ein hellsichtiges, äußerst inspirierendes Buch; in seiner analytischen Kühle auch weit entfernt von dem hysterischen Ton, der die Debattenbeiträge von rechts wie links sonst häufig prägt.