Philipp Blom: "Was auf dem Spiel steht"
Hanser Verlag, München 2017
224 Seiten, 20 Euro
Die Verweigerung der Zukunft
Klimakatastrophe, Krise der Demokratie, Verlust des Gemeinwohls, Zusammenbruch der EU: Der Historiker und Journalist Philipp Blom zeichnet die Zukunft unserer Gesellschaft schwarz. Und hat doch Hoffnung auf Veränderung zum Guten.
Maike Albath: Sie sprechen, Herr Blom, von einer Verweigerung der Zukunft in Europa und in den Ländern, in denen eigentlich alles gut läuft. Was genau macht Ihnen da Sorgen?
Philipp Blom: Ich habe sehr stark das Gefühl, dass wir Gesellschaften sind, die begriffen haben, Veränderung wird wahrscheinlich nichts Gutes für uns bedeuten. Das heißt, Veränderungen sind knirschende Sozialsysteme, das ist Klimawandel, das ist Migration, das ist Terrorismus. Das wollen wir eigentlich gar nicht. Sondern wir wollen vor allen Dingen, wir wollen nicht ein besseres Morgen, sondern wir wollen, dass das Heute nicht aufhört.
Das ist nun mal nicht möglich, und ich glaube auch, eine Gesellschaft, die keine Hoffnung mehr in eine bessere Zukunft hat, ist wirklich in einer ernsthaften Situation, und dazu kommt das mit dem Klimawandel, der bereits stattfindet, und der Digitalisierung, die uns immer mehr Jobs kosten wird, große Veränderungen auf uns zukommen. Das heißt, die Veränderungen, die wir verhindern wollen, die kommen, und es ist jetzt nur noch unsere Wahl, wollen wir diese Veränderungen gestalten, indem wir sie schnell genug anpacken oder wollen wir sie erleiden, indem wir sie einfach kommen lassen.
Albath: Ein Punkt, der sehr wichtig ist, ist die Digitalisierung. Die Präsenz dieser Firmen wie Google und Facebook, die nicht gewählte Institutionen ja fast sind mittlerweile – Sie nennen auch die Zahlen –, die bekommen eine ungeheure Macht über das, was wir wissen. Was droht da genau, und wie könnte man dem entgegenstehen?
Der öffentliche Raum zerbröckelt in Facebook-Gruppen
Blom: Wissen Sie, es ist sehr interessant. Es klingt jetzt ein bisschen abstrakt, aber man kann das sehr schön illustrieren: Gesellschaften organisieren sich auch immer nach den Technologien, die sie haben. Also sehen Sie, was der Buchdruck mit den europäischen Gesellschaften angerichtet hat oder wie er sie verändert hat und wie da ein öffentlicher Raum entstanden ist, aus dem letztendlich auch Demokratie entstehen konnte, und dann die Industrialisierung, was die verändert hat, aber jetzt sind wir eben in diesem digitalen Zeitalter.
Wir sehen es jetzt schon: Wir haben es bei Brexit gesehen und bei der Trump-Wahl, wie unglaublich wichtig da die digitale Manipulation von Wählerstimmen war, von Wählerinformationen war, und wie verheerend es ist, dass eben dieser öffentliche Raum inzwischen zerbröckelt ist in Facebook-Gruppen, wo man nur noch das hört, was man hören will und auch gar keinem Widerspruch mehr begegnet, und das sind Dinge, die sind mit den Demokratien, wie wir sie im Moment haben, nicht vereinbar. Wie können wir dagegenstehen – das ist eine große Frage.
Ich bin kein Technologieexperte. Ich meine, wenn Sie das wirklich verhindern wollen, dann dürfen Sie keine Computer verwenden, aber es wird sicherlich auch eine viel größere Rolle für Gesetzgebung geben, und wir müssen verhindern, dass durch die Digitalisierung immer mehr Macht in immer weniger Hände gerät – Macht, Informationen, Daten, Produktionsmittel, Algorithmen. Ich meine, wir haben das Phänomen Mark Zuckerberg erlebt in den letzten Jahren, wie ein Harvardstudent zu einem der mächtigsten und reichsten Menschen der Welt innerhalb von wenigen Jahren geworden ist, weil er eine clevere Idee hatte. Ich glaube, Mark Zuckerberg wird aussehen wie ein Chorknabe neben der nächsten Generation von Digitalbaronen, die dann tatsächlich unsere Demokratien und unsere Gesellschaften ja auf eine Weise beherrschen, die wir noch gar nicht abschätzen können.
Das emanzipatorische Potenzial des Marktes
Albath: Nun muss man bei Monopolbildungen – das gab es ja häufig im Laufe der Geschichte, auch bei der Eisenbahn – immer erst gesetzgeberisch reagieren, wenn sie denn dann da sind. Etwas, das ich aus Ihrem Buch erfahren habe, Philipp Blom, ist, dass emanzipatorische Potenziale des Marktes, das Sie ja auch erwähnen, und dann geht es aber bei Ihnen doch auch sehr ausführlich darum, dass Konsum heute das einzige Paradigma ist. Also funktioniert der Konsum im Moment als Mittel der Ruhigstellung? Wie sehen Sie das?
Blom: Also zuerst mal, ich finde es immer ein bisschen langweilig, wenn Leute dann in Marktschelte ausbrechen und sagen, das ist alles der böse Kapitalismus. Kapitalismus an sich ist nicht böse. Ohne Märkte gäbe es auch keine Demokratien. Dieser Platz von Austausch, von Ideen und auch Waren, das ist ganz wichtig, und auch Konkurrenz kann wichtig sein, aber es gibt keinen freien Markt. Das ist eine Illusion. Ein Markt kann zum Beispiel nur bestehen, wenn Verträge garantiert werden durch Gerichte, durch Gesetze, durch Polizei. Er kann seine Waren nur bewegen, wenn es Straßen gibt und so weiter.
Das heißt, der Markt kann nur innerhalb einer Gesellschaft existieren, und dann wäre es sinnvoll zu sagen, dann soll der Markt auch für diese Gesellschaft funktionieren und nicht andersrum, und ich glaube, im Moment ist es wesentlich stärker geworden, dass wir für den Markt da sind, dass wir als Marktteilnehmer gesehen werden und dass wir eben auch viel stärker angesprochen werden als Konsumenten als als Bürger, und das ist ein großer Unterschied, denn ein Bürger lebt in einem Gemeinwesen und hat seine Rechte und seine Pflichten und hat da seine Positionen. Ein Konsument hat genau eine Pflicht, und das ist die, Kredit zu haben und diesen Kredit bedienen zu können. Danach hat er nur noch Rechte. Und wenn er auf etwas keinen Bock hat, dann macht er das halt nicht.
Dese Haltung wird sehr schwierig, wenn wir in einer Zeit sind, wo wir sehen, wir haben einen ziemlich kleinen Zeithorizont, um sehr, sehr große Entscheidungen zu treffen, Entscheidungen, die ganze Generationen beeinflussen werden nach uns, und da ist die Haltung, ich habe keinen Bock, einfach nicht hilfreich. Dann müssen wir sagen, wir müssen jetzt gemeinsam tun, was nötig ist, und das ist natürlich sehr schwierig in pluralistischen, demokratischen Gesellschaften, in denen es zu jedem Argument auch ein Gegenargument gibt, und dann kann vielleicht irgendwann eine Diskussion losgehen, aber noch nicht einmal das ist wirklich geschehen.
Hoffnung trotz Pessimismus
Albath: Ihr Buch, Philipp Blom, hat insgesamt doch eher einen pessimistischen Grundtenor, war mein Eindruck – also Klimakatastrophe, Krise der Demokratie, Verlust des Gemeinwohls, Zusammenbruch möglicherweise der EU. Ich hatte den Verdacht, dass das vielleicht dazu führen könnte, dass man sehr alarmiert ist, aber am Ende den Eindruck hat, die Probleme sind viel zu groß, wie soll man da noch etwas tun.
Blom: Wissen Sie, meine Aufgabe ist es nicht, sozusagen als Kindergärtner den Menschen eine nette Version der Sachen zu präsentieren. Ich weise hin, oder versuche das, auf sehr, sehr kritische Potenziale, die sehr einfach sehr schiefgehen können. Das heißt nicht, dass sie das auch tun werden, aber das liegt an uns, und da setzt mein Pessimismus ein, denn ich glaube, mit Gesellschaften aus Konsumenten ist das sehr schwer zu bewerkstelligen. Wenn Menschen heute sagen, na, aber warum denn, uns geht es doch noch gut, wir haben jetzt mehr als je zuvor, und wir wollen das auch behalten, dann ist das eine Situation, mit der man nur sehr schwierig arbeiten kann in diese Richtung.
Das aber, was mir Hoffnung macht, ist, dass ich als Historiker auch weiß, es gibt so viele Dinge, die völlig unmöglich waren oder schienen und die dann plötzlich einfach Wirklichkeit wurden. Das fängt an mit der Idee von Menschenrechten; das fängt an mit der Emanzipation von Sklaven, von Frauen; das geht weiter zum Beispiel, als ich ein Junge war in Nordrhein-Westfalen in den 70er- und 80er-Jahren, da gab es eigentlich keine Schwulen. Die hat man nirgendwo gesehen, die wurden nirgendwo erwähnt, und ich kam eigentlich aus einem ganz liberalen Elternhaus, aber das war einfach so, der gesellschaftliche Ton, das hat man nicht besprochen, das gab es nicht. Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass viele unserer Bekannten und Freunde schwul waren, aber das anders oder gar nicht gezeigt haben oder nur sehr engen Freunden, aber jetzt gibt es die Homoehe, und jetzt ist das eigentlich überhaupt kein Problem mehr, jetzt ist es selbstverständlich, und das ist was, das sind 20, 30 Jahre – das ist wahnsinnig kurz. Das heißt, wenn es möglich ist, so viel zu verändern in so kurzer Zeit, dann sollten wir auch Hoffnung haben, dass es sich lohnt, die Ärmel aufzukrempeln und das tatsächlich anzupacken.
Albath: Vielen Dank, Philipp Blom!
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