Philipp Hübl: "Der Untergrund des Denkens. Eine Philosophie des Unbewussten"
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2015
478 Seiten, 19,95 Euro
So schwach ist das Unbewusste
Das Unbewusste leitet den Willen, dachte man lange Zeit. Doch mittlerweile erlebt die Willensfreiheit eine Renaissance. Auch Philipp Hübl verteidigt in "Der Untergrund des Denkens" unsere kritische Vernunft.
Die schlichte Unterscheidung "Bewusstes/Unbewusstes" war lange Zeit die Pop-Variante jener Psychoanalyse, die unsere verdrängten Wahrheiten ans Licht zu bringen hoffte. Den Ritterschlag erhielt sie jüngst durch den rasanten Fortschritt in den Neurowissenschaften. Der wiederum beflügelte manch ziemlich kühne These, z.B. dass es keinen freien Willen gebe, weil nachweislich das Hirn oft früher auf gewisse Reize reagiere als das Bewusstsein. Wenn das Bewusstsein dann verspätet eine Entscheidung treffe, habe das Unbewusste diese längst vorweggenommen. Dieses rührend einfältige Reiz-Reaktionsschema verkündeten selbst hochrenommierte "Neuropriester" (wie Peter Sloterdijk sie einst verspottete) noch bis vor Kurzem wie eine Offenbarung.
Doch kritische Zeitgenossen wurden bald misstrauisch ob dieser forschen Fatwa gegen den freien Willen. Auch Philipp Hübl, den zunächst die Manipulierbarkeit menschlicher Entscheidungen faszinierte - weniger die philosophische (und letztlich gesellschaftspolitische) Frage, ob der einfältige Behaviorismus auch für komplexere Entscheidungen als die getesteten Signalreflexe gelte, z.B. beim Beurteilen und Abwägen mehrerer Optionen. Doch er besteht zu Recht darauf, dass selbst Spontanreflexe durchaus korrigierbar seien, und überhaupt würde die Wirkung unbewusster Prozesse überschätzt. Er meint wohl nicht nur Forscher – eher den durchschnittlichen Bildungsbürger mit seinem oftmals öden Alltag, der aber gern von seinen angeblichen inneren Reichtümern träumt, um damit dann sein Selbstbild aufzuwerten.
Gegen die Apologeten der Bauchentscheidung
Hübl geht es vor allem um die Frage der Kontrolle über unsere Entscheidungen. Ein immer wiederkehrender Denkfehler sei die mangelnde Unterscheidung zwischen intentionalen Handlungen, Automatismen und Routinen – letztere führen wir willentlich aus, Automatismen nicht. Und "der zweite Denkfehler lautet: Wir handeln nur bewusst, wenn wir alle Details unserer Handlung kennen. Da so gut wie niemand weiß, wie die Neurotranmitter der Motor-Neuronen an die postsynaptischen Rezeptoren andocken, würden sich so all unsere Taten definitionsgemäß in unbewusste Handlungen verwandeln. Die These ist witzlos, weil sie Bewusstsein mit Wissen verwechselt." Und daraus folge der dritte Denkfehler, dass wir alle Details unserer Handlungen nicht nur kennen sondern auch einzeln steuern müssten, um in den Augen jener "Neuropriester" als bewusst Handelnde zu gelten.
Mit eben diesen Argumenten rückt Hübl auch gegen die Apologeten der Bauchentscheidungen vor, die der kulturellen – vor allem begrifflichen – Hirnwäsche unseres Bewusstseins misstrauen und sich lieber der unbewussten Lebenserfahrung mit ihren "Faustregeln" überlassen wollen, der "Intelligenz des Unbewussten". Nur, "für die wichtige Frage, welche Faustregel in welcher Situation am besten passt, gibt es keine Faustregel", spottet Hübl.
Sein Fazit: "Erstens entpuppen sich die meisten Thesen von der Macht des Unbewussten als maßlose Übertreibungen. Zweitens machen uns die wenigen unbewussten Einflüsse nicht zwingend hilflos oder unvernünftig. Und drittens zeichnet den Menschen die kritische Vernunft aus, die wir bewusst einsetzen und durch Training verbessern können, um uns gegen Einfluss zu schützen."