Melanchthons Traum – Zum Spannungsfeld zwischen Politik und Religion
Bis 16. November 2014
Museum Spandovia Sacra in Berlin
Der bildungshungrige Reformator
Kein Glaube ohne Bildung, das war das Credo des Reformators Philipp Melanchthon. Eine Ausstellung in Berlin nähert sich nun seinem humanistischen Weltbild - und verdeutlicht die Umbrüche und Widersprüche der damaligen Zeit.
"Er sagte, dass Religion ohne Bildung nicht funktioniert, Glauben ohne Bildung, er wollte keinen Aberglauben, er wollte einen gebildeten Glauben, das war ein ganz großer Traum von ihm", sagt Sabine Müller.
Sie ist Mitarbeiterin des Museums Spandovia Sacra und hat zusammen mit Walter Bühler die Ausstellung "Melanchthons Traum" organisiert. Im ersten Raum wird anhand von Postkarten, Reiseführern, Landkarten, Stichen, Handschriften und Flaggen in die Biografie und die Zeit des Philipp Melanchthon eingeführt, die wichtigsten Stationen dieses Lebens veranschaulicht. Bücher aus dem 16. Jahrhundert können bewundert werden. In dieser Zeit, dem ausgehenden Mittelalter, veränderte sich die Welt rasant. Johannes Gutenberg erfand den Buchdruck, Kopernikus verkündete, die Erde sei keine Scheibe, sondern eine Kugel, und die Gedanken des Humanismus fanden erste Anhänger in Deutschland.
"Das Schauen auf das Individuum, eben dieser goldene Mittelweg des Humanismus, dass es keine Extreme gibt, und das, was wir heutzutage als Modernität empfinden, das fing damals an aufzubrechen. Der Besucher soll eine Idee von diesem Aufbrechen bekommen."
Philipp Melanchthon wurde in die Wirren dieser Zeit hineingeboren. 1497 kam er in Bretten, in der Nähe von Karlsruhe, auf die Welt. Nach dem frühen Tod seines Vaters wuchs er bei den Großeltern auf. Ein Onkel erkannte früh schon seine ungewöhnliche Sprachbegabung und schickte ihn bereits mit 12 Jahren an die Universität. Mit Anfang 20 dann bewarb sich Melanchthon in Wittenberg um eine Professur für Griechisch.
Melanchthon bingt seine humanistischen Gedanken ein
Der kleine, schmächtige Mann, der etwas lispelte, eroberte mit seiner Antrittsvorlesung die Gunst der Zuhörer. Auch Martin Luther, der anfangs einen anderen Kandidaten favorisierte, war angetan von diesem Überflieger. Ein Jahr zuvor hatte Luther seine Thesen publiziert, es war im Wesentlichen eine Abrechnung mit dem Ablasshandel der damaligen Zeit. Dank des Buchdrucks fanden die Flugblätter in ganz Deutschland Verbreitung. Schnell kamen die beiden in Kontakt, und Melanchthon begeisterte sich für Luthers Thesen, das Evangelium sowie Luthers Definition von Gott: Gott ist Gnade. Dazu Walter Bühler:
"Dieser Gedanke der Erlösung, das heißt, man kann sich nicht durch seine Werke rechtfertigen oder dadurch, dass man Tausende von Dollar spendet, es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern allein durch die Gnade wird man schon erlöst von seinen Sünden."
Melanchthon knüpfte an die Gedanken Luthers an und brachte seine humanistischen Ideen ein. Die Bibel und literarische Texte sollten in der Originalsprache gelesen werden, deshalb forderte er, dass Studenten Latein, Griechisch und Hebräisch lernten. Argumente sollten zählen, nicht der Rang des Redners. Durch Bildung sollte der Mensch von seiner triebhaften Natur befreit werden und seine persönlichen Anlagen verbessern - "wir sind zum wechselseitigen Gespräch geboren”, sagte Melanchthon.
"Das neue war die Allgemeinbildung, das heißt, er meinte wirklich, dass jeder Bürger Deutschlands eine Elementarbildung haben sollte. Lesen und schreiben lernen. Er war der Überzeugung, dass das notwendig ist - und zweitens war er der Überzeugung, dass für die Führung der Kirche und des Staates eine weiterführende Bildung stattfinden soll."
"Ich muss den Tod nicht fürchten"
Melanchthon regte Luther dazu an, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen. Damit auch das Volk Zugang zur Heiligen Schrift finden konnte. Bald war er an Luthers Seite nicht mehr wegzudenken. Er verfügte über geschichtliches Hintergrundwissen, verfasste religiöse Bekenntnisse – Melanchthon und Luther waren Freunde und Verbündete. Und Melanchthon beriet nicht nur Schulen, sondern auch Pfarrer, wenn es um die Neuorganisation der Kirchen im Sinne der protestantischen Ideen ging, zum Beispiel um die Umgestaltung der Kirchenräume:
"Der Innenraum wurde dann auch im Sinne der Reformation umgestaltet - es kamen die ganzen Nebenaltäre raus mit den Heiligenfiguren, die Bänke wurden hineingestellt, weil man während der Predigt sitzen sollte, um sich ganz auf das Wort zu konzentrieren."
Der zweite Raum der Ausstellung zeigt, wie der Traum, Reformation und humanistische Bildung zu verbinden, an Grenzen stieß und gelegentlich zum Albtraum wurde.
"Im Grunde waren beide, Luther und Melanchthon, sehr skeptisch, was ihre Zeit anging. Sie haben immer gedacht, das ist die Zeit vor dem Weltuntergang. Und dieser grundsätzliche Pessimismus geht auch in ihre Haltung gegen die Politik ein."
Kriege und Reichstage prägten die Mitte des 16. Jahrhunderts, Auseinandersetzungen mit dem Kaiser, mit Fürsten, mit römisch-katholischen Theologen waren an der Tagesordnung. Das Heilige Römische Reich war von Verfallserscheinungen geprägt, außenpolitisch von Konflikten mit Frankreich und dem Türkenreich, innenpolitisch von den Religionskonflikten zwischen Katholiken und Protestanten.
"Der eigentliche Umbruch passierte zwischen der mittelalterlichen Form des Staates und dem, was später als Fürstenstaat herauskam, und das heißt, die einzelnen Territorialfürsten, die haben sich gegen den Kaiser aufgelehnt, gegen die Zentralmacht, im Interesse ihrer eigenen Macht."
Das Abendmahl für alle und die Priesterehe wurden über kriegerische Auseinandersetzungen errungen. Metallschuhe, Schwerter, Listen mit Argumenten bei Auseinandersetzungen, um die Reformation durchzusetzen, sind ausgestellt. Dieser Ausstellung gelingt es, die Widersprüche der damaligen Zeit zu veranschaulichen.
Philipp Melanchthon wurde im ausgehenden Mittelalter geboren, als er 1560 in Wittenberg starb, war die Ordnung des Mittelalters zerbrochen, und er hatte nicht unwesentlich dazu beigetragen. Vor dem Tod fürchtete er sich nicht. Er schrieb:
"Ich muss den Tod nicht fürchten. Denn ich entkomme den Sünden. Ich werde von aller Mühsal und von der Wut der Theologen befreit sein. Ich werde ins Licht kommen, Gott schauen, Gottes Sohn betrachten. Ich werde wie Luther zur ewigen Schule und zu den ewigen Freuden berufen, und jene Geheimnisse kennen lernen, die ich in diesem Leben nicht verstehen konnte: warum wir so erschaffen sind, wie wir sind … "