"Solange sie nur demonstrieren, müssen wir uns keine Sorgen machen"
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Corona-Leugner und Rechtsextreme "mit Fakten bedrängen": Das schlägt Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit vor. Von Demonstrationsverboten hält er gar nichts.
Der Berliner Senat wollte eine Anti-Corona-Demo am Wochenende verbieten, doch die Veranstalter haben sich per Gerichtsbeschluss durchgesetzt. Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit meint, dass Verbote auf jeden Fall das falsche Mittel seien:
"Man muss ja sagen, dass seit geraumer Zeit, also seit Jahren eigentlich schon, Demonstrationen zu etwas gehören, was ich Protestfloskeln nennen würde, Demonstrationen bringen eigentlich absolut gar nichts. Solange Corona-Leugner und Rechtsextreme nur demonstrieren, müssen wir uns eigentlich überhaupt keine Sorgen machen.
Wir sehen das an einer der größten Demonstrationen der letzten Jahre, die Anti-TTIP-Demo, die hat absolut gar nichts gebracht. Und leider in noch viel dramatischerer Weise sehen wir das bei Fridays for Future – wenig ist so dringend wie dieses Anliegen, und politisch haben sie überhaupt nichts verändert mit Demonstrationen."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Das Zentrum für politische Schönheit hat schon mehrfach für Aufsehen gesorgt. Flüchtlinge fressen. Die Toten kommen. Oder Säulen der Schande. Schon die Titel der Aktionen lassen ahnen, worum es geht: Politische Kunst, die weh tun soll. Die viele abstoßend, menschenverachtend und mindestens geschmacklos finden. Geleitet wird das Zentrum für politische Schönheit von Philipp Ruch. Der tritt morgen auf dem Kunstfest Weimar mit einer Lecture Performance auf: Wie sage ich es meinem rechten Nachbarn? Philipp Ruch beobachtet auch sehr genau, was heute in Berlin passiert. Nach einer tagelangen Debatte und juristischem Tauziehen um die große Demo gegen die Corona-Regeln. Die Debatte zeigt, dass und wie sich die Fronten verhärten. Der Staat will sich nicht auf der Nase rumtanzen lassen. Und im Netz kursieren Aufrufe dubiosen Ursprungs, Menschen mit Maske gezielt zu attackieren. Ich habe deswegen Philipp Ruch nach den generellen Möglichkeiten für Kommunikation in einer solchen Situation gefragt.
Wie hätten Sie denn entschieden? Demo verbieten oder erlauben?
Philipp Ruch: Sich was einfallen lassen. Die menschliche Fantasie ist ja Gott sei Dank grenzenlos, und da gibt es viele Dinge, die man tun könnte. Jetzt hier in dem Kontext geht es wirklich darum, dass Rechtsextreme zu einer großen Demonstration getrommelt haben, zu einem Sturm auf Berlin, wie sie das nennen.
Das macht mir tatsächlich eher Sorge, weil das natürlich weit an Demonstration vorbeigeht. Ich bin mir nicht immer sicher, ob unsere Sicherheitskräfte auch in der Hauptstadt überhaupt auf dem Schirm haben, dass 400 Meter entfernt von dem Austragungsort das Parlamentsgebäude ist und es für die Rechten schon ein Achtungserfolg wäre, dort auf dem Dach des Reichstags rumzutanzen oder vielleicht auch irgendwo Sprengstoff zu deponieren.
Der Konservatismus als Gefahr
Welty: Apropos sich was einfallen lassen: Inwieweit tragen denn Ihre Aktionen als Zentrum für Politische Schönheit dazu bei, die Stimmung weiter aufzuheizen? Zuletzt haben Sie ja eine Stele vor dem Bundestag aufgestellt, die angeblich Asche von NS-Opfern enthielt.
Ruch: Wenn man dem Bundesinnenminister Horst Seehofer Glauben schenkt – er wirft uns ja vor, wir würden die Spaltung dieser Gesellschaft vorantreiben –, ich glaube, dass Aktionskunst immer dazu da war und auch immer dazu da sein wird, nicht nur Spaltung deutlich zu machen, sondern auch auf Missstände hinzuweisen, Unrecht oder wie im Fall der Stele auf die wirkliche Gefahr oder die wahre Gefahr, den Gefahrenherd des Konservatismus.
Was wir dort mit dieser Aktion ja vor allem erzählt haben – oder versucht haben zu erzählen, muss man eher sagen –, ist, dass der Faschismus an sich selten mit einer Mehrheit gewählt wird und immer einen Koalitionspartner braucht. Der einzige in Frage kommende Koalitionspartner in Deutschland des Jahres 2021 fortfolgende ist die CDU.
Wir haben das selten so gut dann zwei Monate nach der Aktion gesehen wie in Thüringen im Landtag, wo die CDU, versehentlich selbstverständlich und etwas verdattert, wie sie nachher taten, mit den Faschisten einen anderen Ministerpräsidenten gewählt hatten, der gerade mal auf fünf Prozent gekommen war aus eigener Kraft.
"Nie wieder Auschwitz" als Legitimation
Welty: Aber wozu dann dieser Schockmoment, wozu diese Anspielung auf Auschwitz, auf die Gaskammern – bringt das tatsächlich irgendjemanden und irgendwas weiter?
Ruch: Na ja, man darf es nicht als Schockmoment sehen …
Welty: Doch, ich hab mich erschrocken.
Ruch: Wir sehen sehr klar, dass das so rezipiert wurde, aber das Ganze, auch Menschen, die dort vor Ort waren, haben das eher als eine Kraftquelle wahrgenommen. Ich würde sagen, mehr noch als diese Bundesrepublik auf dem Grundgesetz steht, steht sie eigentlich auf der Asche von Auschwitz.
Dieser Staat hat überhaupt seine Legitimationskraft und wirklich alles, was ihn in die Zukunft führt und leitet, aus einem Schwur zu ziehen: "Nie wieder Auschwitz". Jetzt sind wir im Jahr 2020, und die drittgrößte Partei im deutschen Bundestag ist eine klar rechtsextreme Partei, und in den Ostländern, also auch in meinem alten Bundesheimatland Sachsen, ist sie zweitstärkste Kraft und wäre um ein Haar auch stärkste geworden.
Welty: Wie fließen diese ganzen Erfahrungen ein in Ihre Lecture Performance morgen auf dem Kunstfest Weimar?
Ruch: Ich bin dort mit einem Vortrag zur Frage: Was mache ich mit meinen rechten Nachbarn, wie sag ich’s ihnen? Und es wird vor allem natürlich um die Ereignisse gehen, die eminent wichtig sind und eigentlich jetzt ein bisschen verschüttet wurden.
Die CDU hat sozusagen auf dem Rücken von Corona ihr Image restauriert, aber das, was am 5. Februar diesen Jahres – also eigentlich noch gar nicht lange her, aber im Horizont der politischen Zeitrechnung mit Corona jetzt schon völlig verschüttet – geschehen ist damals, dieser Skandal, das ist meiner bescheidenen Analyse nach weiterhin das Allerwichtigste, zu sehen, auch die Gefahr zu sehen, die da von konservativer Seite ausgeht, die es vielleicht nicht so schlimm findet, mit Faschisten eine Koalition zu bilden.
"Dieses Mahnmal redet mit Bernd Höcke"
Welty: Jetzt gehört Bornhagen nicht zur direkten Nachbarschaft von Weimar, aber da wohnt Björn Höcke, der die AfD in Thüringen zur zweitstärksten Kraft gemacht hat. Wie sprechen Sie den an?
Ruch: Ich wohne da ja auch. Wir haben dort unser Holocaust-Mahnmal, den Erweiterungsbau des Berliner Holocaust-Mahnmals, die 24 Stelen vor dem Haus von Höcke, und dieses Mahnmal spricht ihn sehr gut an. Das ist ja auch ein ganz wichtiger Punkt: mit Rechten reden. Wer ist dazu berufen? Natürlich die politische Kunst oder auch Intellektuelle oder Juristen, wenn Sie wollen, auch Staatsanwälte und der Verfassungsschutz. Dieses Mahnmal redet ja nunmehr seit drei Jahren mit Bernd Höcke …
Welty: So nennt ihn die Satireshow im ZDF: Bernd ...
Ruch: Nicht nur, nicht nur. Er heißt ja eigentlich anders, er heißt ja eigentlich Landolf Ladig, er arbeitet nur jetzt weiter unter dem Pseudonym Bernd Höcke.
Welty: Auch da wieder die Frage, was man richtig machen kann: Interviewt man Höcke, bietet man ihm eine Bühne, interviewt man ihn nicht, betreibt man Zensur.
Ruch: Ich denke, dass das ein großes Missverständnis ist, dass es sogar wichtig ist, ihn zu interviewen. Das meinte ich eben auch mit "wer fühlt sich dazu berufen oder wer ist dazu berufen".
Rechte Politiker mit Fakten bedrängen
Welty: Da haben Sie von Journalistinnen und Journalisten nicht gesprochen.
Ruch: Doch, die meine ich natürlich. Das wichtigste und positivste Beispiel, das hat man auch schon wieder vergessen, ist noch nicht mal ein Jahr alt. Das war David Gebhard vom ZDF, der ihn letztes Jahr interviewt hat, und nach 17 Minuten Interview hat Höcke das Interview abgebrochen und ihm massive Konsequenzen angedroht für den Fall, dass er mal eine historisch interessante Persönlichkeit werden sollte.
Das ist die Messlatte, das ist sozusagen – wir können nicht mit ihnen umgehen, indem das Wichtigste im Interview darin besteht, ihn in schicke Designerstühle zu setzen, wie jetzt der MDR das gerade in seinem Sommerinterview gemacht hat, sondern es geht wirklich darum, denen den Spiegel vorzuhalten, die Maske abzureißen, und das, was Gebhard eigentlich in diesem ZDF-Interview letztes Jahr ja nicht zufällig getan hat, sondern wirklich sehr absichtsvoll, ihn zu bedrängen mit den Fakten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.