Philipp Stadelmaier: "Die mittleren Regionen"

Bizarre Kapriolen zu Terror und Meinungsfreiheit

Teilnehmer haben sich am 14.12.2015 auf dem Theaterplatz in Dresden während einer Kundgebung des Bündnisses Pegida versammelt.
Schwierig wird es, wenn Stadelmaier den Einsatz für das Recht auf Karikatur und Meinungsfreiheit in einem Atemzug nennt mit den Kämpfern für eine antiislamische "Meinung" à la Pegida. © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Dirk Fuhrig |
In Form eines Tagebuchs versucht Philipp Stadelmaier in "Die mittleren Regionen" eine polemische Dekonstruktion der Konzepte Terror, Karikatur und Meinungsfreiheit. Doch man fragt sich, ob der in Paris lebende Filmkritiker den Dekonstruktivismus nicht missverstanden hat.
Die "mittleren Regionen" sind laut Philipp Stadelmaier die sich von allen Seiten bedroht fühlenden Gesellschaften Europas. Der 1984 in Stuttgart geborene, in Paris lebende freie Filmkritiker beginnt am Morgen des 7. Januar 2015 um 11.48 Uhr mit Tagebucheintragungen. Er tastet sich an die mediale und rhetorische Bearbeitung des Anschlags auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" heran. "Terror”, "Karikatur”, "Meinungsfreiheit" – das sind die Begriffe, die der Autor zu dekonstruieren versucht.
Zu Stadelmaiers einfacheren, nachvollziehbaren Thesen zählt, dass die Öffentlichkeit die Bedeutung der Meinungsfreiheit erst entdeckt habe, als sie bedroht wurde. Wie der 11.09.2001 als Attentat auf den Westen insgesamt sei der auf das Satiremagazin als einer auf die Meinungsfreiheit westlicher Prägung interpretiert worden. Und indem wir die Motive der Attentäter so deuten, verliehen wir ihnen erst entsprechendes Gewicht.
Schwieriger wird es, wenn Stadelmaier den Einsatz für das Recht auf Karikatur und Meinungsfreiheit mehr oder weniger in einem Atemzug nennt mit den Kämpfern für eine anti-islamische "Meinung" à la Pegida und deren "Das wird man wohl noch sagen dürfen".
Gänzlich bizarre Kapriolen schlägt er, wenn er den westlichen Gesellschaften bescheinigt, sie würden den islamistischen Terror geradezu herbeisehnen, um eigene Visionen vom Untergang des Abendlands erfüllt zu sehen.
Nahezu inhaltloses Drehen um sich selbst
Geschult an Jacques Derrida und der poststrukturalistischen Feministin Hélène Cixous versucht der Autor sich in Sprach-Dekonstruktion. Im Sprechen über Terror, Karikatur und Meinungsfreiheit spürt er allüberall rassistische, islamophobe und gewaltgeladene Töne auf. Man fragt sich aber, ob Stadelmaier den Dekonstruktivismus nicht missverstanden hat. Denn das Schwelgen in Alliterationen, Klängen, Analogien ("Touristen, Terroristen" werden zu "Terrouristen") verselbständigt sich:
"Dass man terrorisiert ist davon, nur meinen zu können, wenn man etwas anderes als das Gemeinte meint, sich im Meinen irrt, sich in den Meinen irrt, nie der ist, der meint zu meinen, sondern immer noch ein Anderer ..."
Solche Sätze drehen sich nahezu inhaltslos um sich selbst, klingen mitunter aber wie Poesie. Vielleicht sollte man den Essay eher als eine Art Gedicht lesen, als assoziativen Stream of Consciousness.
Erst im Nachwort, verfasst nach den Pariser Anschlägen des 13. November, findet Stadelmaier aus seinem nebligen Jargon heraus. Er kritisiert die Gleichsetzung von Terroristen und Flüchtlingen in Teilen der Öffentlichkeit, beklagt Ausnahmezustand und Kriegsrhetorik in Frankreich – und warnt vor Untergangsphantasien und Pessimismus:
"In den mittleren Regionen haben es Liebende in letzter Zeit schwer. Vor allem wenn sie Erbauer, Gärtner und Optimisten sind, und jene Menschen pflegen, die ihnen am Herzen liegen."

Philipp Stadelmaier: Die mittleren Regionen. Über Terror und Meinung
Verbrecher Verlag, Berlin 2016
144 Seiten, 13 Euro

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