"Faschismus ist nie aus der Welt"
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Faschismus hat viele Formen, auch in der Literatur sind immer wieder Tendenzen davon zu finden. Literaturwissenschaftler Philip Theisohn hat sie analysiert und sagt, Faschismus sei immer da, verberge sich und bekomme neue Namen. Es gehe darum, ihn transparent zu machen.
Joachim Scholl: Bei deutschen Landtagswahlen, auf weltpolitischen Bühnen, in allen Debatten über politische Kultur hört man derzeit immer wieder diesen Begriff: Faschismus. Was eigentlich gemeint ist? Autoritär-totalitäres Denken und Handeln, Mord, Kriegslust – so genau ist das nie definiert. Oft bleibt es verschwommen. Und wir haben uns gefragt, ob hier Texte Aufschluss geben können, ja, ob es vielleicht auch so etwas wie literarischen Faschismus gibt. Mit diesem Komplex hat sich der Züricher Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn intensiv beschäftigt.
Lässt sich überhaupt von literarischem Faschismus sprechen?
Philipp Theisohn: Ja.
Scholl: Reicht es nicht, so den politischen zu diskutieren, was er zu bedeuten und zu verantworten hat?
Theisohn: Ich glaube nicht, weil ich davon ausgehe, dass man den politischen Faschismus nicht so schnell erkennt, wie man ihn zu erkennen meint. Faschismus hat ganz viel mit Erzählungen zu tun, mit Symbolik, mit Zeichenpolitik, wie wir im Grunde aus den Texten des Faschismus selbst wissen: Also, wenn man Mussolini liest oder Gentile liest, diese Leute, gehört es zum Wesen des Faschismus, sich in einem Umfeld, das nicht faschistisch ist, auch zu dekorieren, zu verwandeln. Faschismus kann ganz bürgerlich daherkommen, konservativ, sozialdemokratisch, anarchisch. Man muss genau zuhören, wie gesprochen wird, was gesprochen wird, welche Erzählungen verwendet werden, um zu erkennen, wo faschistische Denkmuster eigentlich aktiv sind.
Faschisten hassen Utopien
Scholl: Aber erkennt man diese Denkmuster nicht sehr schnell in der politischen Debatte oder in der politischen Erzählung? Wozu braucht man da die Literatur?
Theisohn: Weil die Literatur tatsächlich diese Komplexe genau analysieren kann und aufzeichnet, diese ganzen Narrative, die der Faschismus beschäftigt. Dazu gehört zum Beispiel so etwas wie das Insistieren auf Katastrophe und Erlösung: Der Faschismus ist ein Apokalyptiker. Der Faschismus hat ein ganz großes Problem damit, zu begehren, Eros auszusprechen, ohne ihn gleich zu vernichten. Der Faschismus hat Angst vor Zukunft beziehungsweise will gar keine Zukunft gestalten, ist im Grunde explizit ein Utopiehasser. Das kann man im Grunde sehr gut erkennen, wenn man diese Texte liest, sowohl die Doktrin des Faschismus als auch Texte, die im Faschismus entstehen, als auch Texte, die sich mit Faschismus oder faschistischer Ästhetik auseinandersetzen und diese reflektieren.
Scholl: Welche Texte wären das denn?
Theisohn: Man kann natürlich von der klassischen Moderne her kommen und dann hat man schon ein Arsenal zusammen: Man kann von Marinetti über Céline und Ezra Pound gehen; bis dann zu bestimmten Autoren im deutschsprachigen Kontext, die alle faschistische Werkphasen haben: Ernst Jünger; Gottfried Benn; auch George – über den viel zu sagen wäre, weil er natürlich schon vor dem totalitären Regime der Nazis stirbt und da ein ambivalentes Verhältnis hat. Man kann aber auch über Gegenwartsautoren sprechen und sich fragen, inwiefern ist der Gebrauch von faschistischer Ästhetik eigentlich immer faschistisch. Eine große Fehldebatte übrigens: wenn man einen Autor wie Christian Kracht, der "Imperium" schreibt, des Totalitarismus oder der faschistischen Ästhetik bezichtigt – dass man gar nicht merkt: das sind Texte, die diese Ästhetik verhandeln und reflektieren und nicht erst einführen in unser Weltbild, sondern sie eigentlich aufdecken. Das hat Funktion tatsächlich.
Faschismus-Begriff muss ausgeweitet werden
Scholl: Bleiben wir mal bei diesen großen weltliterarischen Namen, Herr Theisohn, die Sie ins Spiel gebracht haben. Also Ezra Pound, ein Riese der angelsächsischen Literatur; Ferdinand Céline mit seinem Roman "Reise ans Ende der Nacht", Weltliteratur, er war ein beinharter Nazi, kann man sagen. Bei den Deutschen Stefan George und Gottfried Benn wird es schon schwierig. Stefan George, "Der Führer" merkwürdigerweise, der sich aber dann doch von den Nazis nicht hat vereinnahmen lassen. Gottfried Benn, der unselige Texte 1933 geschrieben hat – Klaus Mann hat ihm schärfstens erwidert, er war dann Persona non grata – in den 50er-Jahren wurde er entdeckt als der große Ästhet der deutschen Lyrik. Haben Autoren oder Autorinnen – von Frauen ist, glaube ich, fast nie die Rede, von faschistischen Autorinnen – …
Theisohn: Gibt es auch, aber wenige...
Scholl: Haben Autoren, die sich einem solchen Konzept einmal verschrieben haben oder einmal in die Irre gegangen sind, wie ist es dann, wenn wir dann in die Literaturgeschichte schauen, haben die dann dort ihren Platz noch verdient?
Theisohn: Ich denke ja, also nicht durchweg natürlich. Aber wozu schreibt man Literaturgeschichte? Man schreibt Literaturgeschichte, um Entwicklungen in der Literatur, Literaturästhetik, Sozialgeschichte und so weiter zu verstehen. Blendet man diese Autoren aus, weil sie diese Phasen haben oder weil wir ihnen nachweisen können, dass sie faschistisches Gedankengut gehegt und performt haben, dann entgeht uns was ganz Wesentliches, was wir wissen müssen, um zu verstehen, wie Literatur funktioniert im 20. Jahrhundert.
Gerade mit Blick auf jemanden wie Benn zum Beispiel, den ich sehr viel gelesen habe, empfiehlt es sich, den Faschismus-Begriff auszuweiten. Das heißt, wir schauen uns nicht nur diese Texte an, 1933, "Rede auf Stefan George", "Der neue Staat und die Intellektuellen" und diese Dinge, sondern wir gehen mal weg von diesen Bekenntnisfragen, schauen uns mal an, inwiefern Faschismus etwas ist, was eine bestimmte Ästhetik im Vorfeld evoziert, was aber auch tatsächlich die Möglichkeit offen lässt, diese Praktiken wieder zu reflektieren.
Bei Benn ist das genau der Fall, man sieht im Grunde die Anbahnung, Formgedanke und so weiter, konkretisiert sich dann in diesen Kunst- und Machtessays, die dann in den frühen 30er-Jahren erscheinen, und am Schluss, 1941, kriegt man dann so einen Aufsatz wie "Kunst und Drittes Reich", der genau diese Verfahren eigentlich noch innerhalb des Faschismus reflektiert.
Wir müssen vorsichtig sein, Faschismus in diese Schubladen zu tun, als ob wir nichts damit zu tun hätten, als ob das Sachen sind, die kann man quasi einmal qualifizieren – denn die leben weiter. Und wenn man schauen will, wie sich faschistische Ästhetik entwickelt und wie sie bis heute weiterlebt, muss man da reingehen.
Der Faschismus steckt in uns
Scholl: Wie stark wäre denn so etwas wie eine faschistische Ästhetik Ihrer Meinung nach in der Gegenwartskultur und auch in der Gegenwartsliteratur verbreitet?
Theisohn: Ich gehe immer gerne in den Pop, um sich so was anzuschauen. Es gab ja früher Debatten um so was wie Laibach, heute ist es Rammstein, ein Phänomen, über das viel gesprochen wird und wurde. Und tatsächlich ist der Ansatz das Problem. Also: wir identifizieren eine bestimmte Ästhetik, eine bestimmte Symbolik mit Faschismus und sagen: Ja oder nein? Wird dazu gesagt, wir wollen das nicht oder wir wollen das? Es ist immer ein bisschen schwieriger, weil eigentlich geht es darum, zu erkennen, dass Faschismus etwas ist, was immer da ist.
Also es ist nicht so, dass es mit ′45 geendet hat und dann sind das ein paar Versprengte, sondern es gibt immer diese Anteile in der Familie, im Job, in uns. Es gibt tatsächlich Momente, in denen wir auch faschistisch denken können. Deswegen können wir auch da abgeholt werden.
Und Kunst, wenn ich in den Pop gehe, das ist natürlich was Zentrales für unser Alltagsleben – also so was wie Jadu, "Ich habe mein Herz verloren an eine Uniform" und diese Geschichten – dann werden natürlich da auch diese Anteile offengelegt. Und das ist das Entscheidende: Wir müssen da hinkommen, dass wir diese Verfahren und diese faschistische Lust, die eine Tötungslust ist, transparent machen. Wenn wir sie nicht transparent machen und nicht analysieren können, dann haben wir ein großes Problem.
Faschismus ist nie aus der Welt
Scholl: Wäre also die adäquate Reaktion auf solche "faschistoiden Tendenzen" in der Kunst, erst mal so den kleinen Faschisten in einem selbst zu definieren und zu identifizieren?
Theisohn: Ja, identifizieren kann man ihn immer wieder. Es ist auch was, was nicht weggeht, sondern es ist etwas, was einem immer wieder transparent gemacht werden muss, und es fängt tatsächlich bei uns an, würde ich sagen. Und Faschismus ist nie aus der Welt, sondern Faschismus ist immer etwas, was sich verbirgt, was neue Namen bekommt, weil man niemanden einen Faschisten nennen will, weil man ihn dadurch ausgrenzt, beziehungsweise man will auch selbst nicht Faschist genannt werden, man möchte das selbst nicht sein.
Wichtig ist aber, dass wir tatsächlich einen analytischen Zugang zu diesem Komplex haben. Und wenn wir über Faschismus in der Politik sprechen, da schließt sich dann der Kreis: Wir müssen eigentlich diejenigen identifizieren, die zu diesem Phänomen Faschismus, diesem komischen Durcheinander von Angst und Lust, von An-gar-nichts-Glauben und gleichzeitig quasi-religiös sein, an Grausamkeit und Weinerlichkeit, die diesen Komplex nicht analysieren wollen, sondern ihn im Gegenzug synthetisieren und damit Politik machen, also unsere faschistischen Anteile bewirtschaften. Und das muss man dann auch faschistisch nennen.
Scholl: Wäre dann aber in diesem Zusammenhang ein Rammstein-Video vielleicht nicht sogar aufklärerischer und erhellender, weil es uns eben deutlich macht, wie faszinierend eben auch faschistische Ästhetik sein kann? Ein Rammstein-Konzert ist ein Überwältigungsprogramm, dem man sich kaum entziehen kann, oder fast jedes große Rockkonzert ist es eigentlich.
Theisohn: Ja. Also Rockkonzerte, Rammstein-Konzerte im Speziellen, können kathartisch sein, was das betrifft, können eine Katharsis hervorrufen, müssen aber nicht zwingend. Also die Frage ist immer, wie man sich an so was annähert. Das ist beim Spiel mit faschistischer Ästhetik immer das Problem. Wenn man sie so performt, dass sie am meisten Aufschluss geben, sind sie auch immer verführerisch. Sobald ich mich neben dran stelle und sage, "Nein, so war es ja nicht gemeint, sondern ihr sollt euch im Grunde darüber selbst aufklären", dann habe ich die Wirkung gebrochen, sondern ich muss im Grunde das Erfahren und danach selbst einen Abstand gewinnen und drüber reflektieren, das ist was ganz Entscheidendes.
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