Philippinen

Regenwälder aus Menschenhand

Von Lutz Reidt |
Auf der Philippinen-Insel Leyte, unweit des Äquators, verwüsten Wirbelstürme immer wieder Wälder und Plantagen. Intakte Tropenwälder dienen Forschern und Farmern als Vorbild für sinnvolle Aufforstung nach Rodungen oder Naturkatastrophen.
Welcher Riese hat im Bergland von Leyte bloß Mikado gespielt? Wie umgeknickte Streichhölzer liegen zerborstene Baumstämme übereinander und türmen sich zu trotzigen Barrikaden auf. Äste, Zweige und Unmengen von grünem Laub bedecken in dicken Schichten den Boden.
Waldbauer Romano Macario muss jetzt das machen, was er nach jedem Sturm macht: Entwurzelte Bäume entfernen und als Brenn- oder Bauholz verkaufen. Und: Neu anpflanzen - Lücken schließen:
"Zuerst pflanzen wir Pioniergehölze in die Lücken. Und zwar heimische Bäume und Sträucher, die die Sonne lieben und immer als erstes wachsen. In ihrem Schatten wachsen dann Fruchtbäume nach, aber auch wertvolle Tropenholzbäume, vor allem unsere Dipterocarpaceen. Diese großen Tropenholzbäume werde ich aber erst in vielen Jahren fällen können."
Romano Macario ist der Pionier unter den Waldbauern auf Leyte. Forscher haben ihm vor 20 Jahren geraten, seine alte Kokospalmen-Plantage aufzugeben und auf der Fläche statt dessen möglichst viele einheimische Bäume und Sträucher anzupflanzen. Diese lokal angepassten Arten können Naturkatastrophen wie etwa Taifunen sehr viel besser trotzen, betont der Tropenökologe Friedhelm Göltenboth von der Universität Hohenheim in Stuttgart:
"Ja, das ist völlig richtig. Die einheimischen Baumarten haben natürlich schon als Setzlinge sich anzupassen gehabt, sonst wären sie längst evolutionär ausgeschieden. Einige Bäume werfen sofort bei einem stärkerem Windzug das Laub an Sollbruchstellen ab. So dass der Winddruck wesentlich verringert wird.“
Die Gesetze der Physik sind unbestechlich: Wenn die Krone eines Baumes dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche bietet, ist die Chance größer, dass der Baum stehen bleibt. Weitere Anpassungen helfen dabei:
"Die wichtigsten Baumsorten haben alle miteinander Fiederblattstruktur, so dass ebenfalls Wind hier wesentlich leichter durchgeht, ohne zerstörerisch zu sein. Und gegen den Regen haben fast alle Blattformen eine sogenannte Tropfspitze, so dass also das Wasser relativ rasch aus der Oberfläche des Laubbereiches rauskommt.“
Umgeknickte Bäume: Zerstörung auf den Philippinen nach dem Taifun Haiyan.
Umgeknickte Bäume: Zerstörung auf den Philippinen nach dem Taifun Haiyan.© picture alliance / dpa / Philippe De Poulpiquet
Im Laufe der Jahrmillionen haben die tropischen Regenwälder in Südostasien unzählige Wirbelstürme überstanden. Die einheimische Pflanzenwelt hat sich an diese Launen der Natur angepasst. Jetzt, nachdem Taifun Hayian viele Wälder und Plantagen auf den Philippinen verwüstet hat, propagiert Friedhelm Göltenboth die Neuanpflanzung ausschließlich mit heimischen Arten:
"Und zwar mit den Baumarten, die diesen Sturm ganz spezifisch überdauert haben. Und mit denen wird nachgepflanzt werden, damit sich die Lücken so rasch wie möglich wieder schließen. Wobei wiederum das System angewandt wird: Zuerst Pionierbaumarten, um sofort den Boden zu schützen, und im Schattenbereich der Pionierbaumarten die Langzeitbaumarten, die alle miteinander als Setzlinge Schatten brauchen - was ja den natürlichen Gegebenheiten im Regenwald auch entspricht.“
Zuerst kommen die Pioniere. Dann die Urwaldriesen – wenn auch anfangs nur als kleine Jungpflanzen. Diese naturgegebene "Sukzession“, also: die Abfolge in der Entwicklung eines natürlichen Regenwaldes, dient als Vorbild für die Neuaufforstung auf den Philippinen – gerade jetzt, nachdem Taifun Haiyan die Inseln verwüstet hat.
Schnell erobert ein tropischer Regenwald nach einem Taifun verloren gegangenes Terrain zurück. Zuverlässig schließt die Natur Lücken und Schneisen, die der Sturm ins grüne Dach gerissen hat. An den zuvor noch kahlen Zweigen der Bäume und Sträucher sprießt im Nu wieder frisches Grün hervor.
Wo Bäume umgefallen sind, besetzen Pionierbäume die Nischen und schießen förmlich der Tropensonne entgegen - bis zu sechs Meter im Jahr können einige Bäume wachsen. Innerhalb kurzer Zeit ist das Kronendach im Urwald geschlossen.
Diesem Muster der Regeneration, das der natürliche Regenwald vorgibt, folgen auch Waldfarmer wie Romano Macario, wenn sie einstmals verödete Flächen wieder begrünen.
Beschwerlich ist der Weg den steilen Hang hinauf, vorbei an mächtigen Bananenstauden und einem undurchdringlichen Gewirr meterhoher Bambusstangen. Das lärmende Zirpen der Zikaden begleitet die Biologin Paciencia Milan durch die Waldfarm von Romano Macario.
Ausführliche Anleitung richtig aufzuforsten
An den Stämmen alter Kokosnusspalmen rankt Rattan empor, dem spärlichen Licht entgegen. Die Tropensonne hat Mühe, durch das dichte Blattwerk zu dringen. Licht wechselt mit Schatten, helles Grün mit dunklem Grün. Etliche Stürme hat diese Farm überstanden. Nach 20 Jahren ist sie von einem urtümlichen Tropenwald kaum noch zu unterscheiden - ein Regenwald aus Menschenhand, der den wertvollen Humus im steilen Gelände festhält:
"Früher wuchsen hier nur wenige Pflanzen wie etwa Wildbananen, und bei jedem Starkregen wurde der wertvolle Oberboden fortgespült, den Hang hinunter, in den nächsten Bach und dann ins Meer. Dadurch ist der Boden immer mehr verarmt. Wir rieten Macario, zunächst heimische Pionierbäume zu pflanzen (wie etwa Mountain Agoho), die in der prallen Sonne als erstes aufwachsen und mit ihren Wurzeln den Boden festhalten; erst dann folgten die wertvolleren Bäume. So konnte er die Erosion stoppen. Wir sehen auch, dass der Oberboden wieder etwas gehaltvoller ist und mehr Humus und organisches Material aufweist. Zuvor war er nur weiß und ausgedörrt."
Die Biologin Paciencia Milan ist Professorin an der philippinischen Visayas State University in Bay-Bay City - einer Universitätsstadt an der Westküste von Leyte. Die Forscherin folgt dem Konzept des "Rainforestation Farming“, also der Wiederaufforstung von Brachland, das später land- und forstwirtschaftlich genutzt wird.
Hier wachsen dann Wildbananen zusammen mit Mango- und Durian-Fruchtbäumen, Schatten liebende Kaffee- und Ingwer-Sträucher oder Gewürzpflanzen wie Kardamom und Vanille.
RomanoMacario ist gewissermaßen der Musterschüler unter den Waldbauern auf Leyte. Eine ausführliche Anleitung zu Beginn des Projektes hatte genügt, heute braucht er nur selten Hilfe. Inzwischen hat er seine Farm deutlich vergrößert:
"Als wir mit dem Projekt begonnen hatten, stellte uns Macario einen Hektar von seinem Land für unser Experiment zur Verfügung. Danach hat er diese Versuchsfläche zunächst auf zwei Hektar ausgeweitet und dann nach und nach weiter vergrößert. Hin und wieder schauen unsere Förster hier vorbei und helfen ihm, den Wald auszulichten und geben ihm Tipps, welche Bäume entfernt werden sollten, damit wertvollere Pflanzen mehr Licht bekommen."
Das Problem für einen Regenwald-Farmer ist jedoch, genügend Setzlinge von einheimischen Pflanzen zu finden. Die wachsen meist dort, wo zumindest kleine Reste ursprünglicher Regenwälder erhalten geblieben sind - der Urwald ist die beste Gen- und Samenbank für Romano Macario und die anderen Waldbauern.
Tropenwald als kostbarer Gen-Schatz
Sie beklagen, dass nur noch wenig davon übrig geblieben ist. Vor 50 Jahren noch waren die mehr als 7000 Inseln der Philippinen zu fast 60 Prozent bedeckt mit ursprünglichem Tropenwald. Heute ist wenig davon übrig. Auf Leyte zum Beispiel nur noch vier Prozent. Dieser kleine Rest ist daher um so kostbarer als Gen-Schatz für die Waldbauern - auch für Romano:
"Oben in den Bergen, im Urwald, da wachsen die Mutterbäume, die mir die Sämlinge für meinen Wald schenken. Alles, was ich brauche für meinen Wald, finde ich dort oben. Das packe ich dann in Plastiktüten und bepflanze damit später die nächste Brachfläche. Und so habe ich meine Regenwald-Farm immer weiter vergrößert.“
Mit einem Hektar hatte Romano angefangen, nun ist seine Waldfarm neun Hektar groß. Sein Erfolg macht Mut. Inzwischen gibt es auf Leyte rund 30 Farmen. Landesweit sogar mehr als 100, die aufsummiert etwa 4000 Hektar bedecken. Tendenz: stark steigend. Der Tropensturm Haiyan hat viele Zuckerrohr-Farmen, Kokosnuss- und Ölpalmen-Plantagen zerstört. Es gäbe also genügend Flächen für noch mehr "Regenwälder aus Menschenhand“, sagt Friedhelm Göltenboth:
"Auf Leyte haben wir die volle Unterstützung vom DNR, also der zuständigen Behörde. Die versuchen an allen Stellen, ihre eigenen Förster davon zu überzeugen, dass sie mit lokalen Arten aufforsten müssen. Und mehrere Umweltorganisationen haben sich auf ihr Banner geschrieben, dass sie bis zu 100.000 Hektar, manche sagen sogar 200.000 Hektar bis im Jahre 2030 aufpflanzen wollen.“
Romano Macario steht nun gemeinsam mit Paciencia Milan mitten in seinem kleinen Stück Regenwald. Das Mittagslicht der Tropensonne dringt vehement durchs hellgrüne Dach der meterhohen Bambuspflanzen und offenbart die üppige Fülle von weit ausladenden Wildbananen und alten Kokosnuss-Palmen, von Fruchtbäumen und jungen Hartholzbäumen.
So sieht sie aus, die Alternative zu eintönigen Plantagen in Monokultur. Dieser "Regenwald aus Menschenhand“ wird weiter wachsen und gedeihen, in der klebrig-feuchten Schwüle der Tropen auf der Philippinen-Insel Leyte, unweit des Äquators.
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