Heute ist der "Tag der deutschen Sprache". Er soll weltweit ein Sprachbewusstsein für die deutsche Sprache wecken und die Verbreitung fördern. Der Aktionstag wurde 2001 durch den Verein Deutsche Sprache e.V. initiiert und findet jährlich am zweiten Septembersamstag statt. Derzeit lernen in 114 Ländern rund 15 Millionen Menschen Deutsch.
"Deutsch ist keine barsche Sprache"
Deutsch gilt als schwer zu lernen, kompliziert, umständlich: Der Philologe Roland Kaehlbrandt bescheinigt der deutschen Sprache dagegen Wendigkeit, Nuancenreichtum und Wandelbarkeit. Deutsch sei teilweise kinderleicht und man könne sich sehr höflich damit ausdrücken.
Der Philologe Roland Kaehlbrandt wünscht sich im Interview mit Deutschlandradio Kultur, dass die Vorzüge der deutschen Sprache mehr hervorgehoben werden. Vor allem lobt er die Ausdrucks- und Wandlungsfähigkeit des Deutschen.
Zu den großen Vorzügen der deutschen Sprache zählten ihre Kombinierfreudigkeit und ihre große Präzision. Gerade bei Wortverbindungen sei das Deutsche ganz besonders kreativ.
"Man kann ja ganz leicht Wörter zusammenbauen. Wir sind so eine Lego-Sprache", lobte das Kuratoriumsmitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Der Philologe wandte sich gegen die weitverbreitete Meinung, Deutsch sei kompliziert und schwer erlernbar: "Das ist ein Vorurteil, das dem Deutschlernen auch nicht guttut. Ich würde sagen im Gegenteil. (…) Es gibt auch sehr viele leicht zugängliche Kapitel, zum Beispiel gerade der Wortschatz und die Wortbildung. Das ist etwas, was im Deutschen kinderleicht geht."
"U-30-Deutsch" zeigt die Wandlungsfähigkeit
Die Wandlungsfähigkeit des Deutschen zeige auch die Sprachpraxis der jüngeren Generation: Das "U-30-Deutsch" sei, so Kaehlbrandt, von besonderer Kürze, Ironie und Schnelligkeit gekennzeichnet. Kreationen der letzten Jahre wie "Aber hallo!" hätten sich mit unglaublicher Schnelligkeit verbreitet.
Zudem verfüge das Deutsche über kleine geschmeidige Wörter, die man einfügen könne: "Und damit ist man gleich viel freundlicher und netter. Es ist auch keine barsche Sprache."
Zentrale Vorzüge des deutschen Satzbaus seien die Flexibilität und Wendigkeit sowie der Nuancen- und Erfindungsreichtum bei der Beschreibung neuer Sachverhalte. All das seien "Dinge, die man vielleicht mal etwas deutlicher machen muss: Dass das Deutsche große Vorteile hat und nicht nur schwierig ist".
Zur Person: Roland Kaehlbrandt (* 1953 in Celle). Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main sowie Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Kaehlbrandt studierte germanische und romanische Philologie in Köln und Paris. Er wurde an der Universität zu Köln mit einer sprachwissenschaftlichen Arbeit zum Thema Fachsprachen promoviert und ist hat (u.a.) folgende Bücher veröffentlicht:
Logbuch Deutsch - wie wir sprechen, wie wir schreiben. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2015
Lexikon der schönen Wörter. Mit Walter Krämer, Piper, München 2011
Plastikdeutsch - Ein Lexikon der Sprachverirrungen. Mit Walter Krämer, Piper, München 2009
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Ich gebe zu, vor dem jetzt folgenden Gespräch bin ich doch ein bisschen nervös, geht es doch um etwas, was den Großteil meines Berufes ausmacht: Wir wollen über das Sprechen sprechen, heute am Tag der Deutschen Sprache. Welche Worte wählen wir, und wie wählen wir sie? Einer, der darauf extrem achtet, ist Roland Kaehlbrandt, deswegen bin ich auch etwas nervös, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, die sich um mehr Bildung und mehr Kultur bemüht und verschiedene soziale Initiativen fördert. Roland Kaehlbrandt hat auch das "Logbuch Deutsch" geschrieben – "Wie wir sprechen, wie wir schreiben". Von daher stehe ich also in den nächsten Minuten unter verstärkter Beobachtung. Guten Morgen, Herr Kaehlbrandt!
Roland Kaehlbrandt: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wer sich so viel mit Sprache beschäftigt wie Sie, kann der noch abschalten? Kann der ein Gespräch führen, ohne sozusagen die Metaebene immer mitzuhören und mitzudenken?
Kaehlbrandt: Ja, natürlich. Die Sprache ist ja zunächst erst mal etwas Lustvolles, natürlich auch etwas Sinnvolles und Nützliches, aber auch etwas Lustvolles, zum Beispiel Dialekte. Oder ich musste gerade, als Sie "von daher" sagten, dran denken, dass das ein Begriff ist, eine Präposition ist, die in den 70er-Jahren, also in der Betroffenheitszeit, aufgekommen ist. Von daher voll betroffen, würde man heute vielleicht sagen.
Welty: Ich sag doch, ich stehe unter besonderer Beobachtung.
Kaehlbrandt: Aber das ist ja interessant, wie die Sprache sich wandelt, und was für neue Wörter auch erfunden werden, immer wieder, von jeder Generation. Das ist ja jetzt auch wieder im Gange.
Welty: Was gibt es denn an Neukreationen oder an neueren Kreationen, was Ihnen besonders gut gefällt, und vielleicht, was Ihnen gar nicht so gut gefällt?
"Geht's noch?", "Wie jetzt?", "Da geht noch was!"
Kaehlbrandt: An neuen Kreationen gibt es zum Beispiel die Sprache der jetzt jungen Generation. Ich würde das "U30-Deutsch" nennen. Das kennzeichnet sich durch oder wird gekennzeichnet durch besondere Kürze und Schnelligkeit und auch eine gewisse Lockerheit und eine verschmitzte Ironie. Das sind zum Beispiel solche Redensarten oder solche Ausdrücke wie "Geht's noch?", "Wie jetzt?", "Da geht noch was!", "Was jetzt, das glaub ich jetzt nicht.", "Nein, Ernst", "Aber hallo!". Das sind alles Kreationen der letzten Jahre, die unglaublich verbreitet sind, sich also mit großer Geschwindigkeit ausbreiten. Das ist sicherlich auch eine Folge der digitalen Revolution, also dieser ganz kurzen auch Mündlichkeit im Schriftlichen, wenn man miteinander chattet. Das sind also neue Begriffe, die sich entwickelt haben. Was auch neu ist, oder was ich jedenfalls neu gefunden habe, das sind Wortverbindungen – da ist das Deutsche immer ganz besonders kreativ, man kann ja ganz leicht Wörter zusammenbauen, wir sind so eine Lego-Sprache –, und das ist zum Beispiel der "Fremdhund", den finde ich auch wunderbar. Das ist also der Hund, den Sie nicht vor dem Spielplatz vor der eigenen Haustür ausführen, sondern in einem anderen Ort. Das soll man natürlich nicht tun.
Welty: Weil man ihn sich da ausleiht.
Kaehlbrandt: Das soll man natürlich nicht tun, aber die deutsche Sprache muss ja auch die Wirklichkeit abschildern können.
Welty: Wenn wir grundsätzlich werden: Was lässt sich in Deutsch vielleicht besser ausdrücken als in anderen Sprachen? Ich kenne ein Ehepaar, die beide mehrere Sprachen sprechen, und die sagen, wenn wir präzise sein wollen, dann sprechen wir Deutsch.
Ein Wortschatz von etwa fünf Millionen Wörtern
Kaehlbrandt: Das Deutsche ist in der Tat durch diese Fähigkeit, Wörter ganz leicht zu kombinieren – wir haben ja einen Wortschatz von etwa fünf Millionen Wörtern – auch dazu imstande, Dinge sehr präzise auszudrücken. Also beispielsweise Bewegungsrichtungen wie "entgegengehen, aufgehen, abgehen, untergehen, hinaufgehen". Wir sind sogar imstande, das doppelt gemoppelt zu formulieren, indem wir sagen "hinaufsteigen" oder "herunterfallen". Da haben Sie gleich beides drin. Das Deutsche gilt als sehr präzise im Raum. Wir sind schwächer in der Präzision der Zeit. Die Zeiten bei uns, Perfekt und Präteritum, sind nicht besonders klar voneinander abgegrenzt im Sprachgebrauch. Das ist zum Beispiel in den romanischen Sprachen sehr viel strenger gehandhabt. Aber trotzdem wissen wir, was gestern ist und was heute ist.
Welty: Kanzlerin Merkel hat in Bezug auf Deutschkurse für Flüchtlinge gesagt "Ich möchte Deutsch auch nicht lernen müssen." Woher kommt dieser Ruf, dass Deutsch eine schwere Sprache ist?
Kaehlbrandt: Das war jetzt natürlich nicht so ein gutes Marketing für die deutsche Sprache.
Welty: Ich glaube, sie wollte eher Mitgefühl ausdrücken.
"Wir haben auch so etwas Schönes wie zum Beispiel die Abtönungspartikel"
Kaehlbrandt: Ja, ich glaube auch. Mark Twain hat ja auch mal gesagt, das Leben sei zu kurz, um Deutsch zu lernen. Ja, das ist ein Vorurteil, das der Verbreitung der deutschen Sprache und dem Deutschlernen natürlich auch nicht gut tut. Ich würde sagen, im Gegenteil, es gibt natürlich – es gibt zwar einerseits schwierige Kapitel, aber es gibt auch sehr viele sehr zugängliche, leichte Kapitel, zum Beispiel eben gerade der Wortschatz und die Wortbildung. Das ist eben etwas, was im Deutschen kinderleicht geht. Und an diesem Wort "kinderleicht" können Sie schon sehen, "Kinder"-"leicht" – zusammengebaut, und ist gleich ein neues Adjektiv. Seit Neuestem gibt es auch "seniorenleicht". Also der Wortschatz ist sehr gut zugänglich und leicht erlernbar und auch leicht bildbar. Auch der Satzbau ist nicht in allem so schwierig, denn ich kann die Sätze ganz problemlos umstellen. "Ich habe ihm das Buch gegeben", "Ihm habe ich das Buch gegeben", "Gegeben habe ich ihm das Buch.", "Das Buch habe ich ihm gegeben." Sie stellen die Sache an die erste Stelle, und schon haben Sie einen neuen Bedeutungsakzent im Satz. Das sind alles Dinge, die man vielleicht mal etwas deutlicher machen muss, dass das Deutsche große Vorteile hat und gar nicht nur schwierig ist. Wir haben auch so etwas Schönes wie zum Beispiel die Abtönungspartikel. Wir sagen zu einem Kind ja nicht "Wie heißt du?", sondern wir sagen "Wie heißt du denn?". Oder "Mach's halt!" oder "Komm schon." Das Deutsche hat diese kleinen, geschmeidigen Wörter, die man einfügen kann, und damit ist man gleich viel freundlicher und netter. Es ist also auch keine barsche Sprache, wie man manchmal sagt. Wenn jemand barsch ist, dann sind wir es vielleicht selber, aber die Sprache gibt uns die Möglichkeit, geschmeidig und höflich und freundlich zu sein. Das sind alles große Vorzüge des Deutschen. Ich könnte noch viele andere aufzählen, aber ich lasse es mal dabei.
Welty: Das war schon recht beeindruckend. Sprachliebhaber und Sprachschützer Roland Kaehlbrandt von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, und das heute am Tag der Deutschen Sprache. Ich sage ganz herzlichen Dank für dieses Interview!
Kaehlbrandt: Vielen Dank, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.