Philologenverband: Scientology engagiert sich zunehmend bei Nachhilfe

Moderation: Gabi Wuttke |
Der Deutsche Philologenverband hat vor einem wachsenden Engagement von Scientologen durch Nachhilfe-Institute gewarnt. In verschiedenen Städten Deutschlands, darunter Hamburg, München und Berlin, versuche sich Scientology auf dem Markt für Nachhilfeunterricht zu positionieren, sagte der Verbandsvorsitzende Heinz-Peter Meidinger.
Meidinger: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Wie wurden Sie auf die Scientologen im Nachhilfesektor aufmerksam?

Meidinger: Ja, zum einen haben vor kurzem einige Kultusministerien Rundbriefe an alle Schulen versandt, zum Beispiel in Bayern, aber auch in Baden-Württemberg, in denen auf zunehmende, verstärkte Aktivitäten der Scientology-Organisation im Bereich Nachhilfemarkt, Lernhilfestudios hingewiesen wurde. Und wir haben allerdings auch von Eltern direkt Zuschriften bekommen, die uns informiert haben, dass hier hinter Lernstudios ihrer Meinung nach eine Sekte, eben die Scientology-Sekte, steckt.

Wuttke: Die Scientologen werben selbst ja ganz offen für sich auch in diesem Bereich. Das beliebte Argument der Organisation ist: Das sind nicht wir, sondern das sind unsere Anhänger, die ganz zufällig im Geist der Scientologen arbeiten. Gibt es da irgendeine Größe?

Meidinger: Also das ist ganz schwer zu schätzen. Ich bin der Überzeugung, dass Scientology hier sich erst im Aufbau befindet, in diesem Markt. Wir haben hier verstärkte Aktivitäten in Stuttgart, in München und in Hamburg. Es gibt aber auch einzelne Beobachtungen in Berlin. Das Ziel ist allerdings ganz klar, eben eine ähnlich mächtige Organisation im Bildungsbereich zu werden, wie es die Applied Scholastics in Amerika sind.

Wuttke: Das ist was?

Meidinger: Die Applied Scholastics ist eben diese Organisation von Scientology im Bereich von Bildung und Nachhilfe. Ihr Gründer, der Ron Hubbard, hat ja eine eigene Lerntheorie, eine eigene Lernmethode, entwickelt, und deswegen sind sie auch aus ideologischen Gründen, aus religiösen Gründen, in diesem Bereich sehr aktiv. In Amerika haben wir mittlerweile Dutzende von Schulen, die sich offen zu Scientology bekennen. Und wir haben eigene Lehrerfortbildungsinstitute, die der Scientology-Organisation zugerechnet werden.

Wuttke: Ja, wie muss man sich dass überhaupt vorstellen? Bauen Nachhilfelehrer ihre scientologischen Botschaften in Mathematik, Englisch oder Chemie ein - oder geht es dabei, wie der Verfassungsschutz sagt, vor allen Dingen um Lerntechniken?

Meidinger: Ja, das heißt hier werden Kurse - übrigens nicht nur an Schulen, sondern in der Vergangenheit auch an Universitäten - angeboten, die kaum unterscheidbar sind von ähnlichen Angeboten im reinen wirtschaftlichen Bereich. Also etwa Nachhilfekurse in Englisch oder in Mathematik. Und dann aber werden die Schüler nach geraumer Zeit, oder auch am Anfang, informiert, welche Lernmethode dahinter steckt. Und dann kommt eben die Lehre von Ron Hubbard ins Spiel.

Wuttke: Wie muss man sich das vorstellen?

Meidinger: Ja gut, also wenn man in die Einzelheiten einsteigt, dann hat eben Scientology eine Lehre entwickelt, worauf Lernschwierigkeiten beruhen. Da gibt es also dann verschiedene Kerntheorien, wie Lernhemmungen zustande kommen und wie Lernhemmungen aufgelöst werden können. Ich habe mir sagen lassen, dass diese Methode auch dazu dient, sozusagen die Jugendlichen erst einmal total in ihrem Lernverhalten zu verunsichern. Ihnen sozusagen zu erklären, sie verstünden nichts und das habe auch Gründe, die allerdings eben dieses Lernstudio, die Lehrer, die dort beschäftigt sind, auflösen könnten.

Wuttke: Also eine subtile Form von Gehirnwäsche?

Meidinger: Also, man muss ja vorsichtig sein, wenn man sich über Scientology äußert, weil ja sofort dann auch Klagen drohen. Die Leute sind ja gut organisiert, haben auch gute Rechtsbeistände. Aber das ist behauptet worden, ja.

Wuttke: Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, im Gespräch im Radiofeuilleton. Herr Meidinger, schon seit über zwei Jahren hat der Verfassungsschutz die Lerntechniken der Scientologen im Visier. Sie haben jetzt davon gesprochen, dass Sie Informationen, nicht nur von Eltern, sondern auch aus den Kultusministerien haben. Im Großen und Ganzen fragt man sich aber, warum wird erst jetzt die Öffentlichkeit großräumiger informiert?

Meidinger: Das ist eine berechtigte Frage, und das ist ja auch der Grund warum der Deutsche Philologenverband hier an die Öffentlichkeit gegangen ist. Wir haben gesagt, das kann nicht nur jetzt auf dem inner-verwaltlichen Wege, von Schulaufsicht an Schulämter und an Einzelschulen, gehen. Sondern es ist notwendig, die Eltern aufzuklären. Natürlich haben Eltern freie Wahl der Lernstudios für ihre Kinder. Aber ich glaube, sie müssen umfassend informiert sein. Sie müssen auch die Gefahren kennen. Und deswegen gilt ja unser Appell an alle Eltern und auch an Studenten, die solche Angebote wahrnehmen, sich genau zu informieren, ob sie seriös sind, wer dahinter steckt, welche Erfahrungen andere mit diesen Lern-Nachhilfestudios gemacht haben, um eben nicht auch ihre Kinder Gefahren auszusetzen, die gar nicht abschätzbar sind.

Wuttke: Ihr Verband gibt eine Kriterienliste heraus, an der sich unter anderem Eltern orientieren können. Punkt eins dabei: Was verspricht der Anbieter von Nachhilfe? Um uns einmal einen kleinen Einblick zu geben: Wie kann ich feststellen, ob das Nachhilfeinstitut, das ich gerade für meine Sprösslinge anpeile, etwas mit Scientology zu tun hat?

Meidinger: Es ist natürlich die Summe der Kriterien, die dort angegeben werden, die dann einen Verdacht nahe legen, oder auch nicht. Aber der Punkt, den Sie ansprechen: Wenn ein Lernstudio nicht nur anbietet, jetzt die konkreten Lernprobleme in Englisch oder in Mathematik zu lösen, sondern gleichzeitig damit verbindet, sozusagen aus den Kindern neue Menschen zu machen - jetzt mal übertrieben zu sagen - die dann auch generell alle anderen Schwierigkeiten im Leben umfassend meistern und mit diesen Lerntechniken dann gewappnet sind, das gesamte spätere Leben zu bestehen, dann muss schon ein Verdacht kommen.

Wuttke: In der Broschüre steht auch ein Satz, den erklären Sie mir bitte: Die Gefahr wird vermindert durch die gängige Praxis der Schutzklausel. Was heißt das?

Meidinger: Es ist im Grunde genommen so: Es gibt also in den Verträgen, die mit Lernstudios abgeschlossen werden, gibt es bestimmte rechtliche Schutzklauseln, die Scientology-Organisationen nicht haben.

Wuttke: Meinen Sie denn, dass es überhaupt einen ausreichenden rechtlichen Schutz in Deutschland gibt?

Meidinger: Also es ist sehr, sehr schwierig. Weil, wir können natürlich niemanden verbieten, auch Scientology nicht, sich in diesem Markt zu engagieren. Wir können in Einzelfällen versuchen, einen Missbrauch nachzuweisen. Das ist aber sehr, sehr schwierig, weil natürlich die Grenzen hier fließend sind: Wann beginnt die Einflussnahme, die nicht mehr zulässig ist? Es ist ja auch ein Bereich, in dem oft keine Dritten dabei sind. Es sind ja nur der jeweilige Nachhilfeschüler und der Nachhilfelehrer. Und von daher gesehen ist man sehr auf das Vertrauen auch angewiesen. Den absoluten Schutz gibt es nicht. Das Beste ist umfassende Information über solche Angebote, damit man hier nicht nachträglich sich vorwerfen lassen muss, blauäugig gewesen zu sein.

Wuttke: Nach all dem was Sie geschildert haben, stellt sich für mich eine weitere Frage: Wie groß ist denn das Angebot an Nachhilfeunterricht in Deutschland überhaupt, und möglicherweise wie teuer, wenn Vertreter von Scientology hier eine Nische finden?

Meidinger: Ja, natürlich wird hier ausgenützt, dass der Nachhilfemarkt boomt. Das ist ja auch in mehreren Untersuchungen zu Tage getreten. Das heißt, wir haben verstärkt das Interesse von Eltern an Nachhilfe. Das hängt zusammen mit einer vermeintlichen oder auch tatsächlichen Vermehrung des Leistungsdrucks, etwa am verkürzten Gymnasium, am sogenannten G8. Das hängt aber natürlich auch damit zusammen, dass man Kinder fit macht für den Übertritt, Abschlüsse noch erreicht. Und aufgrund dieser großen Nachfrage ist natürlich auch die Möglichkeit, hier neu einzusteigen in diesen Markt, gegeben.