Philosoph Armen Avanessian über "Ethno-Futurismen"

Wem gehört die Zukunft?

Szene aus dem Film "Black Panther".
Alternative Zukunftsentwürfe zum Kapitalismus findet Armen Avanessian in Spielarten des Ethno-Futurismus - und bezieht sich auch auf die Comic-Verfilmung "Black Panther". © MARVEL
Armen Avanessian im Gespräch mit Simone Miller |
Zukunft – lag in diesem Wort nicht einmal ein Versprechen? Heute blicken viele Menschen in Europa eher sorgenvoll nach vorn, beobachtet der Philosoph Armen Avanessian, und positive Gesellschaftsentwürfe kommen aus Afrika und Asien.
Der Fortschrittsglaube, ein Motor der industriellen Entwicklung, komme allmählich ins Stocken, sagt der Philosoph Armen Avanessian. In Europa, "dort, wo die Zukunft angeblich mal erfunden wurde", gelte die futuristische Avantgarde der 1920er- und 30er-Jahre inzwischen zu Recht als diskreditiert. Zu enge Allianzen sei diese "martialische, modernistische und sehr stark auf Ausschlussmechanismen basierende Denkweise" mit faschistischen Bewegungen eingegangen. Immer weniger Menschen vertrauen noch auf das damals verfochtene lineare Fortschrittsmodell und erwarten, dass wir besseren Zeiten entgegen gehen. Gleichzeitig sei die Gegenwart noch nie so sehr von Zukunftsvorstellungen abhängig gewesen wie heute.
Der 1973 in Wien geborene Philosoph, Literatur- und Politikwissenschaftler Armen Avanessian spricht von "Präemptions-Phänomenen", die unsere hochtechnisierte Gesellschaft zunehmend prägen: Annahmen über die künftige Entwicklung regeln das Hier und Jetzt – und das oft, ohne dass dabei noch Spielraum für eine menschliche Entscheidung bleibe.

Ein neues Zeitmodell

Dass der Algorithmus eines Online-Händlers schon im Voraus wisse "was wir wollen oder was wir wollen werden", dass eine "proaktive Medizin" diagnostiziere, "woran wir höchstwahrscheinlich erkranken werden", dass Börsenhändler Wetten auf zukünftige Ereigisse abschließen und damit die Preise von heute bestimmen, all das seien Phänomene, die zeigen, "dass die Zeit von der Zukunft auf die Gegenwart wirkt und nicht mehr, wie wir bisher instinktiv angenommen haben, aus der Vergangenheit in Richtung Zukunft läuft", so Avanessian: "Mit diesem neuen Zeitmodell müssen wir lernen umzugehen."
Der 1973 in Wien geborene Philosoph, Literatur- und Politikwissenschaftler Armen Avanessian, aufgenommen 2016
Der 1973 in Wien geborene Philosoph, Literatur- und Politikwissenschaftler Armen Avanessian© imago/Agentur Baganz
Avanessian zitiert den Science-Fiction-Autor William Gibson: "Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt." Für die gesellschaftliche Wirklichkeit bedeute dies: "Es haben nicht alle die gleichen Zukunfts-Chancen: Es sind nur wenige, die über die Daten von allen verfügen und damit über eine unglaubliche Macht."
Widerständige Utopien, die diesem Szenario eines weltumspannenden digitalen Kapitalismus alternative Zukunftsentwürfe entgegensetzen, findet Avanessian in verschiedenen Spielarten des Ethno-Futurismus. Ein aktuelles Beispiel sei die Comic-Verfilmung "Black Panther", die "Themen und Anliegen der afrikanischen Diaspora mit technokulturellen und Science-Fiction-Elementen" verbinde: In dem fiktiven afrikanischen Land Wakanda schöpfen die Bewohner Hoffnung aus einer exklusiven Energiequelle, die es ihnen erlaubt, unbemerkt vom Rest der Welt eine Zivilisation mit überlegener Technik aufzubauen. Der König von Wakanda ist zugleich der erste schwarze Superheld des Marvel-Universums und seit dem Start des Comics "Black Panther" im Zuge der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung eine Ikone des Afro-Futurismus.

Urszene der Sklaverei

So fantastisch derartige Legenden anmuten, ihren Realitätsgehalt sieht Avanessian einerseits in einer Urszene der Sklaverei verankert, als Menschenhändler mit ihren Schiffen wie Aliens an der afrikanischen Westküste landeten, Gefangene machten und sie in eine andere Welt entführten. Zugleich weise der Afro-Futurismus auf einen blinden Fleck der industriellen Produktionsverhältnisse hin, die nach wie vor von Ausbeutung geprägt seien:
"Die Telefone, mit denen wir telefonieren, die Chips in unseren Computern, es sind alles Rohstoffe, die zum Großteil aus Afrika stammen und auch unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen geschaffen werden, das heißt: Unser Wohlstand beruht weiterhin auf Ausschlussmechanismen, die ethnischer und rassischer Natur sind."

Welche Utopien setzt der "Shanghai-Futurismus" der europäischen Fortschritts-Skepsis entgegen? Wer hat im Rennen um die besten Algorithmen die Nase vorn? Und sind "Ethno-Futurismen" weltoffene Gegenentwürfe zum "Ethno-Pluralismus" der Neuen Rechten? Auch darüber haben wir mit Armen Avanessian diskutiert.

Das Buch zum Thema:

Armen Avanessian (Hg.): Ethnofuturismen
Merve, Berlin 2018, 160 Seiten, 15,00 Euro.

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