Philosoph Christian Neuhäuser zur Klimadebatte

"Kluge Moral ist nicht moralistisch"

04:30 Minuten
Vor Trockenheit rissige Erde während einer Dürre im Sudan.
In ärmeren Ländern, wie hier im Sudan, sind die Folgen des Klimawandel besonders stark zu spüren. © AFP / Ashraf Shazly
Von Christian Neuhäuser · 02.02.2020
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"Ökofaschismus", "Klimahysterie", "Flugscham" – die Klimadiskussion ist aufgeheizt. Moralismus lautet der Vorwurf auf der einen Seite, Untätigkeit der auf der anderen. Wann sind moralische Argumente in der Klimadebatte angebracht und wann nicht?
Der Klimawandel ist in aller Munde. Endlich scheint Bewegung in die Sache des Klimaschutzes zu kommen. Das ist ganz fraglos das Verdienst all jener politischen Aktivisten und Wissenschaftlerinnen, die zum Teil schon seit vielen Jahren auf die Gefahren des Klimawandels hinweisen. Stürme, Überschwemmungen, Hitze, Trockenheit, Krankheiten, Hunger, Migration und Kriege sind die unausweichliche Folge, wenn nicht sofort etwas passiert.
Und es muss sehr viel passieren. Nicht nur unsere Wirtschaft, unsere ganze Lebensweise muss nachhaltiger und vielleicht sogar bescheidener werden, sondern wir müssen auch Schutzmaßnahmen ergreifen, um uns an den schon eingetretenen und den zum Teil nicht mehr aufhaltbaren Klimawandel anzupassen.

Moralismus ist ein Problem

Damit uns das alles gelingt, so sagen jetzt viele Kommentatoren und Kommentatorinnen, müssen wir einen gravierenden Fehler vermeiden. Wir dürfen die Sache nicht moralisieren, sondern müssen sie nüchtern betrachten. Nicht auf die ohnehin kraftlose Stimme der Moral sollen wir hören. Vielmehr gilt es jetzt die geballte Kraft der wirtschaftlichen Rationalität in den Dienst des Umweltschutzes zu stellen. Umjubelt ist daher auch die Ankündigung des riesigen Finanzfonds "BlackRock", sich von allzu klimaschädlichen Unternehmen trennen zu wollen. Das Anlagerisiko sei zu hoch, sagt der Vorstandsvorsitzende Laurence Douglas Fink.
An dieser Perspektive ist viel dran. Es ist wichtig, dass sich die Wirtschaft in den Dienst des Klimaschutzes stellt. Sie muss mit Nachdruck dazu ermuntert werden, das noch stärker zu tun. Denn bisher tut sie nicht genug und ist zu sehr mit Lippenbekenntnissen beschäftigt. Es ist auch richtig, dass Moralismus ein Problem darstellt. Wenn wir anderen immer den moralischen Zeigefinger vor die Nase halten, laufen wir Gefahr herablassend und beleidigend zu werden.

Wirtschaft und Moral: Das falsche Entweder-Oder

Im Zweifelsfall erreichen wir so das Gegenteil von dem, was wir eigentlich bewirken wollen. Schon Kinder machen am Liebsten das, was sie nicht sollen. Das ist bei Erwachsenen nicht anders. Aber trotzdem ist es falsch, Moral und wirtschaftliche Rationalität gegeneinander auszuspielen, denn kluge Moral ist nicht moralistisch, sondern bewahrt uns vor gravierenden Fehlern, beispielsweise dem der Selbstgefälligkeit.
Christian Neuhäuser auf dem blauen Sofa.
Der Philosoph Christian Neuhäuser fordert, dass sich die Wirtschaft in den Dienst des Klimaschutzes stellt. © Deutschlandradio/ David Kohlruss
Nur auf die Wirtschaft zu setzen, die es dann schon richten wird, ist genau solch ein selbstgefälliger Fehler. Das zeigt ein eindeutiges Beispiel. Zu denjenigen Ländern, die bereits jetzt schon stark unter dem Klimawandel leiden, gehören so arme Staaten wie Somalia, Sudan und Sri Lanka. Sie sind mit Dürren, Stürmen und Überschwemmungen konfrontiert.
Weil diese Länder sehr arm sind, richten solche Wetterextreme auch finanziell einen enormen Schaden an. Denn Katastrophenschutz und Wiederaufbau sind teuer. Weil diese Länder so arm sind, bekommen sie aber nur wenige Kredite und nur zu schlechten Konditionen. Sie geraten immer wieder in eine Schuldenfalle, aus der sie nicht herauskommen. An den Aufbau einer Infrastruktur, die effektiv gegen Wetterextreme schützt, ist da gar nicht zu denken.

Was wir armen Ländern schulden

Die Wirtschaft hat kein Interesse daran, diesen Ländern zu helfen, weil dort keine Profite zu machen sind. Denn darum sorgt sich "BlackRock" ja, dass der Klimawandel zu Profiteinbußen führt. An dieser Stelle ist es offensichtlich richtig, moralische Kritik zu üben. Denn den bereits stattfindenden Klimawandel haben ja nicht die armen Länder des globalen Südens verursacht, sondern die sehr wohlhabenden Länder des Nordens. Das war der Preis für unser Wirtschaftswachstum und unseren Reichtum.
Es ist klarerweise moralisch falsch, jetzt arme Länder diesen Preis zahlen zu lassen und dann auch noch ihre Zwangslage auszunutzen, um ihnen zu sehr schlechten Konditionen Geld zu leihen. An dieser Politik moralische Kritik zu üben, ist mit Sicherheit kein wohlfeiles Moralisieren. Wir schulden diesen Ländern jetzt Wiedergutmachung für den Schaden, den wir angerichtet haben.

Christian Neuhäuser ist Professor für Politische Philosophie in Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theorien der Würde, der Verantwortung und des Eigentums. Zuletzt erschien von ihm das Essay "Wie reich darf man sein?" bei Reclam.

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