Außerdem in dieser Ausgabe von Sein und Streit:
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Empathie - eine überschätzte Fähigkeit
39:17 Minuten
Empathie gilt heute vielen als menschliche Superkraft: Sie soll Arbeit menschlicher machen, Gesellschaften kitten, Demokratien retten. Aber kann sie halten, was sie verspricht? Der Philosoph David Lauer ist skeptisch.
Wenn wir nur alle ein bisschen empathischer wären – dann wäre die Welt ein besserer Ort, so könnte man meinen. Das ist jedenfalls die These unzähliger Ratgeber, Workshops und Vorträge. Google organisiert sogar Meditationen für seine Angestellten. Und auch einem Donald Trump mangelt es womöglich vor allem an Empathie.
Empathie ist keine Tugend
"Die Empathie als solche ist keine Tugend", meint hingegen der Erkenntnistheoretiker und Philosoph David Lauer: "Es scheint mir klar zu sein, dass die großen politischen Verführer der Weltgeschichte auf ihre Weise sehr empathisch gewesen sein müssen." Denn, so Lauer, Empathie ist nicht gleich Mitgefühl, sondern vielmehr eine Technik, eine Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen.
Sie kann uns, wenn sie funktioniert, "erfahrbar machen, wie die andere Person sich fühlt und empfindet." Aber das müsse man keineswegs zu freundlichen oder zugewandten Handlungen benutzen. "Sondern ich kann eine solche Einfühlung auch dazu nutzen, in strategischer Hinsicht, diese Person besonders gekonnt manipulieren, besonders demütigend treffen zu können."
Empathie geht auch ohne Mitgefühl
Andersherum können wir Mitgefühl empfinden, ohne die Gefühle eines anderen zu unseren eigenen zu machen – etwa wenn wir ein Kind trösten, das Angst vor einem großen Hund hat. Dann fühlen wir nicht diese Angst, sondern Liebe und Sorge für das Kind.
"Auf eine Formel gebracht: Es gibt Mitgefühl und Sich-Kümmern ohne Empathie und es gibt Empathie ohne Mitgefühl und Sich-Kümmern."
Auch als Technik sei die Empathie nicht sonderlich zuverlässig. So zeige die empirische Forschung, dass wir uns am besten in Menschen hineinversetzen können, die uns ähneln– und umgekehrt, unsere Ähnlichkeit mit jenen, denen wir Empathie entgegenbringen chronisch überschätzen. Was wiederum schnell zu anmaßenden Fehldeutungen führt, wie alle sie kennen, die einmal aus dem falschen Mund gehört haben: ‚Ich weiß genau, wie du dich fühlst.'
"Da muss Empathie als Fertigkeit meistens misslingen, außer in den Fällen, die mehr oder weniger trivial sind, weil gar nicht in Frage stand, was die andere Person da empfunden hat."
Keine Grundlage für moralische Entscheidungen
Aus diesem Grund sei Empathie auch keine zuverlässige Basis für moralische Entscheidungen: Moral erfordere schließlich notwendigerweise einen unparteilichen Standpunkt:
"Da wo wir moralisch urteilen, müssen wir irgendwie darüber hinausgehen, was uns persönlich nützt, uns persönlich angenehm wäre und denen, die uns nahe stehen. Es erfordert, dass wir zumindest versuchen, allen Betroffenen und ihren Ansprüchen in der gleichen Weise gerecht zu werden."
Zwar sei Empathie nicht per se parteilich, aber zumindest höchst anfällig für eine ungerechte Verteilung von Anteilnahme. Und auch wenn wir sie gleichmäßig verteilen, leitet sich daraus kein Urteilskriterium ab. Etwa im Falle der deutschen IS-Kämpfer und deren fraglichen Rückkehr: Selbst wenn wir uns in Opfer, Täter und kurdische Bewacher gleichermaßen hineinversetzen, sage uns das noch nicht, ob die Kämpfer nun zurückkehren dürfen oder nicht.
"Dann habe ich völlig widersprüchliche Gefühlslagen. Und sagt mir das jetzt, was ich tun soll? Eher nicht. Es macht wenig Sinn, solche Entscheidungen auf der Basis von Gefühlsreaktionen treffen zu wollen, sondern wir müssen über ganz andere Dinge reden: über Rechte, Ansprüche, Verfahren, Schuld, Verantwortung, Pflicht – aber das sind alles keine emotionalen Kategorien."
Wir tragen Verantwortung für unsere Gefühle
Hinter der Forderung nach unbedingter Empathie sieht Lauer noch ein anderes Problem: Wir neigten dazu, uns Gefühle als "innere Unwetter" vorzustellen, an denen wir nichts ändern können. Das verleite uns dazu, unsere eigenen Gefühle nicht weiter zu hinterfragen. Der Philosoph hält dagegen: Nur weil ein Gefühl existiert, sei es nicht zwangsläufig legitim.
"Gefühle erschließen uns die Welt, auf eine affektive Weise, aber das können sie angemessen oder unangemessen, rational oder irrational, treffend oder fehlgehend tun. Und wir wissen das auch alle, dass es unbegründete Eifersucht gibt und grundlosen Hass."
Emotionen seien nicht allein etwas, das wir passiv hinnehmen müssen, "sondern etwas, das man aktiv gestalten kann". Deshalb müsse jeder selbst Verantwortung dafür übernehmen, "seine Gefühle in der Gesamtheit seiner Weltauffassung zu überprüfen, zu bewerten, zu kultivieren oder eben auch zu verändern – genau wie die eigenen Meinungen."
Anerkennung statt Empathie
Gerade in der politischen Auseinandersetzung hält Lauer die Kategorie der gegenseitigen Anerkennung für tragfähiger, als die – tendenziell einseitige – Empathie.
"Anerkennung setzt voraus, dass wir uns als Ebenbürtige, auf Augenhöhe begegnen, uns gegenseitig mit Ansprüchen konfrontieren und versuchen, den Ansprüchen des oder der anderen gerecht zu werden."
Das aber brauche auch andere Begriffe und Formate als die Empathie: "Zum Beispiel Dialog, Diskurs oder Argument – aber dann sind wir in einer charakteristischen Weise plötzlich wieder weg vom Fühlen."