Philosoph Hans Jonas

Lieblingsdenker der Klimabewegung

11:22 Minuten
Luisa Neubauer hält im Polizeikessel das Buch "Das Prinzip Verantwortung" von Hans Jonas hoch.
"Das Prinzip Verantwortung" ist das bekannteste Buch von Hans Jonas, erschienen 1979. Heute beruft sich die Klimabewegung darauf - hier Luisa Neubauer in Lützerath. © picture alliance / PIC ONE / Stefan Müller
Jürgen Nielsen-Sikora im Gespräch mit Catherine Newmark |
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Als Lützerath geräumt wird, hält Luisa Neubauer ein Philosophiebuch in die Kameras: "Das Prinzip Verantwortung" von Hans Jonas. Der Autor ist vor 30 Jahren gestorben. Warum ist sein Denken für die Klimabewegung so wichtig?
Eine lebenswerte Welt auch für die kommenden Generationen – und dafür heute Verantwortung übernehmen. Das ist das Credo der Klimabewegung, es war aber auch die Kernbotschaft im bekanntesten Buch des Philosophen Hans Jonas, dessen Tod sich dieser Tage zum 30. Mal jährt: "Das Prinzip Verantwortung".

Menschliches Leben erhalten

Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer ließ sich während der Proteste gegen die Räumung von Lützerath mit dem Buch von Hans Jonas ablichten. Und auf ihrem Twitter-Kanal zitierte sie den zentralen Satz des Buches:

Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.

Hans Jonas, "Das Prinzip Verantwortung"

Diese Aufforderung sei von Jonas als Erweiterung von Kants Kategorischem Imperativ erarbeitet worden, erläutert der Philosoph und Historiker Jürgen Nielsen-Sikora, der unter anderem eine Biografie über Jonas verfasst hat: Damit zielte der Philosoph darauf ab, dass auch "unser kollektives Handeln und die Fernwirkungen unseres Handelns mit in den Blick genommen werden und wir daraufhin unser Handeln in der Gegenwart ausrichten müssen".

Verhältnis von Natur und Fortschritt

Die Erhaltung menschlichen Lebens galt Jonas als höchstes Gut. Das mag auch mit seinem eigenen bewegten Leben zu tun haben: 1903 in Mönchengladbach geboren, muss er als Jude 1933 wegen der Machtübernahme der Nazis emigrieren, zunächst nach London, dann nach Israel. Er kämpft sowohl in der englischen Armee gegen das NS-Regime als auch im Israelischen Unabhängigkeitskrieg.
Später geht Jonas nach Kanada und in die USA und wird dort ordentlicher Philosophieprofessor. Ab den 70er-Jahren befasst er sich zunehmend mit dem Platz des Menschen in der Natur und den Auswirkungen des technischen Fortschritts.

Vom Schlimmsten ausgehen

Als 1979 "Das Prinzip Verantwortung" erscheint, ist die drohende Klimakrise zwar wissenschaftlich bereits absehbar aber noch kein großes öffentliches Thema. Und doch habe Hans Jonas die heutigen Debatten vorweggenommen, betont Nielsen-Sikora.
Portrait von Hans Jonas, ein alter Herr in Anzug und Krawatte.
Die Möglichkeit menschlichen Lebens zu bewahren - dieses Ziel muss handlungsleitend sein, so Hans Jonas. Vor 30 Jahren, am 5. Februar 1993 ist der jüdische Denker gestorben.© picture alliance / Effigie / Leemage
Als Handreichung für politische Entscheidungen mag seine "Heuristik der Furcht" dienen, die Nielsen-Sikora folgendermaßen umreißt: "Im Zweifel müssen wir uns das Schlechte, das Böse vorstellen. Und wenn die Gefahr besteht, dass dieses Schlechte Realität wird, dann sollten wir gut überlegen, ob wir ein Projekt tatsächlich verwirklichen oder nicht. Und da sind wir wieder bei Luisa Neubauer, die in Lützerath dieses Buch in die Kameras hält. Weil ich glaube, das hat sie besser verstanden als viele andere."
Im Gespräch erläutert Nielsen-Sikora genauer, wie Jonas zu seiner Philosophie des Lebens gekommen ist – und inwiefern seine Ethik religiöse Züge trägt.
(ch)

Zum Weiterlesen:
Hans Jonas: „Das Prinzip Verantwortung“
Suhrkamp, Berlin 2020
431 Seiten, 18 Euro

Jürgen Nielsen-Sikora: „Hans Jonas. Für Freiheit und Verantwortung“
WBG, Darmstadt 2017
343 Seiten, 25 Euro

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