Philosoph Henri Bergson

Lebendigkeit als Lebensprinzip

Der französische Philosoph und Schriftsteller Henri Bergson
Der französische Philosoph und Schriftsteller Henri Bergson © picture alliance / dpa / Koll
Von Maike Albath |
Henri Bergson, der große französische Philosoph, ist ein Vertreter des Vitalismus, der Lebensphilosophie. Für seine stilistischen Qualitäten wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Als Jude im antisemitischen Vichy-Regime Frankreichs trat er von allen Akademiemitgliedschaften zurück. Am 4. Januar 1941, vor 75 Jahren, starb er.
Schon im Gymnasium fiel Henri Bergson durch seine analytischen Fähigkeiten auf: Kurz vor dem Abitur gewann er einen Mathematikpreis. Seine Ausführungen durfte der 1859 in Paris geborene Sohn einer polnisch-irischen Familie sogar in einer Fachzeitschrift veröffentlichen. Seiner Leidenschaft für Philosophie tat dies keinen Abbruch. Er ergatterte einen Studienplatz an der begehrten École Normale Supérieure, unterrichtete eine Zeit lang an Gymnasien und wurde 1897 zum Professor ernannt.
Markus Messling: "Über Bergson wird zum Beispiel gesagt, dass er eigentlich über die Zeit und die Frage von Zeit und Raum Erkenntnisse hatte, die schon auf die Quantenphysik und so voraus gewiesen haben. Aber er gilt auch in der Wissenschaftsgeschichte als großer naturwissenschaftlicher Denker. Andererseits ist der Vitalismus, dafür steht er, da gibt es dann natürlich die große Linie Nietzsche - Bergson, und da fällt dann auch der Begriff des élan vital natürlich, also dieses Lebenstriebes oder des Lebendigen. "
Der Romanist Markus Messling, Vizedirektor des Centre Marc Bloch. 1900 veröffentlichte Bergson den Essay "Le Rire", "Das Lachen", der im Jahr darauf als Buch erschien und ein großer Erfolg wurde. Im Radio las er einen Teil des dritten Kapitels vor:
Henri Bergson: "Was ist der Gegenstand der Kunst? Wenn die Wirklichkeit unsere Sinne und unser Bewusstsein unmittelbar träfe, wenn wir mit den Dingen und mit uns selbst unmittelbar in Verbindung treten könnten, ich glaube, dann wäre die Kunst überflüssig. Wir wären dann alle Künstler, denn unsere Seele würde in beständigem Einklang mit der Natur stehen."
Lachen, wenn das Leben still gestellt wird
Markus Messling: "Bergson hat da eine ganz eigene und auch eben originelle Theorie entwickelt, die aus seinem Vitalismus eben kommt, indem er sagt, dass wir eigentlich immer dann lachen, wenn das Leben still gestellt wird. Das heißt, er geht davon aus, dass eigentlich alles menschliche Verhalten immer dazu dient, zunächst eigentlich dem Leben Rechnung zu tragen, das heißt, es gibt eine Souplesse, wie er sagt, eine gewisse Biegsamkeit, Geschmeidigkeit, in der wir uns verhalten. Und das liegt einfach daran, weil das Leben sozusagen darin immer stattfinden muss. Und in dem Moment, wo das nicht mehr so ist, da spricht er davon, dass im Grunde eine mechanische Verkrustung dieses Lebens stattfindet. Und das finden wir dann komisch. "
Bergson wurde prompt an das Collège de France berufen, die renommierteste französische Institution, zunächst auf einen Lehrstuhl für griechische Philosophie. Auch im Ausland setzte seine Anerkennung ein. 1904 erhielt er am Collège den Lehrstuhl für moderne Philosophie, den wichtigsten Posten in seinem Fach. Drei Jahre später erschien ein weiteres Hauptwerk: "L'evolution créatrice", "Schöpferische Evolution".
Das Lebendige wieder freisetzen
"Das Prinzip des Lebens ist Lebendigkeit. Das ist eigentlich die Kernidee. Und man kann sich vielleicht Bergson ein bisschen vorstellen parallel zu Nietzsche. Also, wenn Nietzsche im Grunde die Geschichte als große Übermacht des 19. Jahrhunderts, als bürgerliches Paradigma der Weltdeutung zurückweist und sagt, wir müssen das Leben von diesem ganzen Ballast der Geschichte befreien. Dann sagt Bergson, wir müssen das Leben von diesem ganzen Überbau einer naturwissenschaftlichen oder biologischen Mechanistik befreien, also von einem Determinismus eigentlich, und sagen, wir müssen dieses Lebendige wieder freisetzen."
"Schöpferische Evolution" wurde binnen zehn Jahren 21 Mal neu aufgelegt. Der Philosoph ging in Europa und den USA auf Vortragsreise. Während des Ersten Weltkrieges bekannte sich Bergson mit großem Patriotismus zu Frankreich. In den 20er-Jahren erkrankte er schwer an Rheuma und konnte nur unter Mühen 1927 nach Stockholm reisen, wo er für seine Verdienste als Essayist mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.
"Er hat versucht, Raum und Zeit neu zu denken, das Neue neu zu denken, auch im Sozialen. Also diese Theorie des Lachens ist ja eine Theorie des Sozialen, auch das Lebendige zu finden. Aber gleichzeitig ist natürlich die Frage vor dem Hintergrund Darwins, wo soll das denn herkommen. Und deswegen ist er dann auch am Ende vermutlich genau aus diesem Grund doch immer katholischer geworden und immer spiritualistischer geworden auch. Er ist dann nur zum Katholizismus nicht konvertiert, weil er als Jude in der Zeit dann gespürt hat, dass das offensichtlich doch nicht ganz das war, wo er hin gehört."
Als das Regime von Vichy 1940 den Antisemitismus gesetzlich festschrieb, trat der Philosoph von sämtlichen Akademiemitgliedschaften zurück. Henri Bergson starb am 4. Januar 1941. Gilles Deleuze verhalf ihm Ende der 50er-Jahre zu einer großen Renaissance.
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