Über die Grenzen der Leichten Sprache
Konrad Paul Liessmann bürstet gerne gegen den Strich. Für die Leichte Sprache kann der österreichische Philosoph sich nicht begeistern: Er plädiert dafür, das Konzept in seiner Wirkung für gesellschaftliche Teilhabe und Verständigung nicht zu überschätzen.
Konrad Paul Liessmann wurde Philosoph, weil er in früher Jugend Bücher über die Geschichte der Philosophie in seinem Villacher Elternhaus las. Seitdem fasziniert ihn jeglicher Versuch, die Welt besser zu verstehen, Sprache ist dabei ungeheuer wichtig.
Er begreift Philosophie als Beitrag zur Veränderung der Gesellschaft. Und so wirkt er. Liessmann bürstet dabei gerne gegen den Strich, gilt nicht ungern als Störenfried, auch in der Debatte um die Leichte Sprache. Was hat Prof Liessmann gegen das Konzept der Leichten Sprache?
"Also ich zweifle mal prinzipiell daran, dass Leichte Sprache, jetzt wirklich gedacht für große Teile der Bevölkerung und nicht für jene kleine Gruppe, für die dies Konzept ursprünglich mal entwickelt worden war, dass die tatsächlich etwas dazu beitragen kann, dass Menschen selbstständiger handeln, dass Menschen souveräner sind. Dass Menschen sozusagen Dinge genauer beurteilen können, dass ihr Denkvermögen und ihre Urteilskraft geschärft werden."
Die Verständlichkeit ist nicht das Problem
Liessmann lässt keinen Zweifel, natürlich müssten sich Behörden, Journalisten und alle, die Produkte an Mann und Frau bringen wollen, bemühen, die Beschreibungen ihrer Produkte verständlich für alle auf den Markt zu bringen. Aber Liessmann gibt auch zu bedenken:
"Zu den so komplizierten Behördentexten, die ja auch ein Anstoß waren für Leichte Sprache: Jeder, auch der Emigrant, auch der Flüchtling, auch der sozial Deklassierte, auch der aus einem bildungsfernen Milieu benutzt heute ein Smartphone. Jeder unterschreibt da einen Vertrag mit Apple oder mit Samsung, der einige hundert Seiten hat, der in einer Sprache abgefasst ist, die auch Experten kaum verstehen. Und noch nie hat sich jemand darüber aufgeregt. Man könnte fragen, warum eigentlich nicht?"
Liessmanns zentraler Gegenstand der Betrachtungen ist die Bildung. Das beginnt in der Schule. Und wenn Schule die Ansprüche runter schraubt, dann sieht er Gefahren auch für die sprachlichen Fähigkeiten der künftigen Bürger.
"Natürlich ist es auch ein Versagen der Schule, wenn diese grundlegenden Kompetenzen, Fähigkeiten, Lesefähigkeiten nicht so vermittelt werden, dass sie als nachhaltige Fähigkeit angesehen werden können. Was ist denn das für eine Kompetenz, kaum bin ich drei Jahr aus der Schule draußen, ich schon wieder vergessen habe? Das heißt, da fehlt etwas. Die lernen zwar bestimmte Formen von Lesen an irgendwelchen Texten, aber sie lernen keine Liebe zum Text. Sie lernen die Liebe zum Lesen nicht, sie lernen nicht die Liebe zum Buch."
Wenig Hilfe bei Bildungsdefiziten
Der Philosoph konstatiert einen Verlust von Bildung. Immer mehr sinke Bildung zur Ausbildung ab, Kompetenzen würden gestärkt, die die Arbeitswelt wolle. Dies produziere auch funktionale Analphabeten. Die Leichte Sprache sei da keine Hilfe:
"Wir reden so viel von 'live long learning'. Man sollte sich mal überlegen, was kann ich tun, um tatsächlich Menschen, die jetzt aus der Schule kommen, und in Berufsfeldern arbeiten, wo tatsächlich nicht gelesen werden muss, und diese Felder gibt es, es ist auch legitim, die trotzdem anzuregen und zu animieren, ihre Lesefähigkeit nicht zu verlernen."
Nun könnten in diesem Zusammenhang ja auch digitale Medien wie Twitter mit seinen 140 Zeichen im Verdacht stehen, zur Verarmung der Sprache beizutragen. Dennoch wird man wohl Twitter nicht abschaffen. Wie also umgehen damit, eingeklemmt zwischen Verarmung der Sprache und der Notwendigkeit, die komplexer werdende Wirklichkeit mit Sprache zu bewältigen. Ist dann nicht Leichte Sprache eine Hilfe, Prof Liessmann?
"Nur, wer souverän mit Sprache umgeht, kann auch mit den Kurzformen der Sprache umgehen. Wer nur in Kurzformen agieren kann, wird dort auch nicht souverän agieren. Und es ist ja auch bekannt, dass die besten Journalisten, die twittern, genau diejenigen sind, die auch den elaborierten Code beherrschen und auch im Stande sind, ziemlich differenzierte Kolumnen zu verfassen. Ich glaube also nicht, dass Digitalisierung an sich jetzt den Spracherwerb erschwert, oder zu einer Vereinfachung der Sprache führt."
Kein Weg für politische Teilhabe
Auch zum Thema Leichte Sprache als Voraussetzung für politische Teilhabe hat Liessmann eine klare Position. Das sei nicht der richtige Weg, um zum Beispiel zu verhindern, dass europaweit eine steigende Zahl von rechtsradikalen Parteien an die Macht kommt:
"Wenn ich Wahlprogramme und Wahlaufrufe irgendwann einmal nur noch in Leichter Sprache formuliere, es gibt ja von den großen Parteien Wahlprogramme alle auch schon in Leichter Sprache, wenn das dann für alle Bürger, sozusagen das Verbindliche ist, dann haben wir wirklich den Tiefstand der politischen Argumentationskultur erreicht."
Er ist stolz, wenn man ihn einen Störenfried nennen würde in Sachen Leichte Sprache, aber das überschätze bei Weitem seine Möglichkeiten. Wiewohl er gerne weiter aufrütteln wolle, die Leichte Sprache wirklich dort zu lassen, wo sie hingehöre: in den Bereich der Behindertenbetreuung.