Was politische Korrektheit mit Armut zu tun hat
Die "Political Correctness" sei ein "neoliberales Phänomen", sagt der Wiener Philosoph Robert Pfaller. Das Leid der sich massiv verschärfenden ökonomischen Ungleichheit in den westlichen Gesellschaften würde auf die Sprachebene verschoben und so entpolitisiert.
Als Urszene seines neuen Buches "Erwachsenensprache: Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur" beschreibt der Wiener Philosoph Robert Pfaller, wie er auf einer Flugzeugreise den Film "Amour" von Michael Haneke anschauen wollte und im Vorspann vor "adult language" gewarnt wurde – also davor, dass bestimmte Worte im Film verletzend wirken könnten. Anders als bei einer Altersfreigabe sieht er hierin die Besonderheit, dass Erwachsene vor "Erwachsenensprache" gewarnt werden. "Man darf nicht mehr selbstverständlich erwarten, dass erwachsene Menschen mit erwachsener Sprache angemessen umgehen können – nein, es gibt sogar unter den Erwachsenen besonders Empfindliche, nach deren Empfindlichkeiten man jetzt den öffentlichen Raum zurechtstutzt."
Unter "Erwachsenensprache" versteht Pfaller im Wesentlichen, "dass man im öffentlichen Raum Erwachsenheit bei sich und bei anderen voraussetzt." Damit meint er das gegenseitige Vertrauen darauf, "dass andere in der Lage sind, erwachsen zu sprechen und erwachsenes Sprechen zu verstehen und zu ertragen." Bezeichnend für das Gefälle zwischen USA und Europa sei, dass es hier, anders als im Englischen, gar kein eigenes Wort dafür gebe – "Erwachsenheit" sei bei uns vielmehr immer noch vorrangig positiv besetzt.
Obwohl Pfaller das Schwinden der Erwachsenensprache derzeit noch vorrangig in den USA verortet, sieht er aber bereits eine ähnliche Tendenz auch in Europa: "Also, es ist ja nicht so, dass sich die Amerikaner hier auf ihre seltsamen puritanischen Eigenarten beschränken, sondern sie beglücken ja den Rest der Welt massenkulturell auch damit", so Pfaller. In Europa wiederum sei die Bereitschaft groß, entsprechende Sprach- und Verhaltensregulierungen zu übernehmen.
Sensible Sprache als politisches Ablenkungsmanöver
Die Pointe seines Buches besteht darin, dass Pfaller dahinter eine politische Motivation vermutet: "Das ist ein neoliberales Symptom." Mit der sprachlichen Sensibilisierung gehe nämlich zugleich eine "Brutalisierung" der ökonomischen und politischen Verhältnisse einher: "Wenn heute jedes fünfte deutsche Kind in Armut lebt und jedes dritte britische Kind, dann haben sich die sozialen Verhältnisse dramatisch, gewaltsam zu einer Umverteilung entwickelt, die die Schwächeren enorm am eigenen Körper spüren."
Die Ungleichheit in den westlichen Gesellschaften habe sich in den letzten 30 Jahren "massivst verschärft". In diesem Zusammenhang verweist der Philosoph auch auf die umfassende Studie Thomas Pikettys ("Das Kapital im 21. Jahrhundert"). In den Profiteuren dieser Ungleichheit sieht Pfaller auch die Profiteure der Sprachregelungen. Für ihre Durchsetzung jedoch seien "Nebenprofiteure" verantwortlich: "Aufpassergruppen" aus einer "neuen Mittelschicht", "die darauf achten, dass irgendwie sauber gesprochen wird und dass sich die Probleme in der Gesellschaft ja nur in Miniaturform darstellen."
Die Sprachregelungen verschöben das Leid auf die "Ebene der Benennungen", als ob "diese Gruppen keine anderen Sorgen hätten." Dadurch würden die Probleme "entpolitisiert", meint Pfaller, mit Blick etwa auf die Situation der schwarzen Bevölkerung in den USA: "Also es ist nicht so, dass man über Ungleichheit in Begriffen von Klasse nachdenken muss – nein, es ist nur so, dass es noch manche gibt, die irgendwelche Vorurteile gegen Hautfarben haben, und die müssen wir jetzt mit Verwaltungsapparaten auf der Ebene der Sprache liquidieren." So würde das sensible Sprechen zu einem "Elitenproblem", einem Mittel zur sozialen Distinktion, "indem ich vielleicht noch ein feineres Wort für irgendeine Gruppe parat habe, als Sie."
Wirkungslose Sprachregelungen
Dabei hätten die Sprachregelungen den betroffenen Gruppen "anscheinend gar nicht" genützt, im Gegenteil hätten sie "wahrscheinlich sogar dazu beigetragen, dass man diese Umverteilungen vollziehen konnte." Zudem habe, nach Ansicht Pfallers, keiner aus diesen Gruppen "etwas dagegen, wenn man ihn mit einem etwas schlimmeren Wort benennt" – zumal sich das "Zartsprechen immer unterhalb der Schwelle dessen, was Erwachsene ertragen können, bewegt". Viel wichtiger sei den so Angesprochenen die soziale Absicherung, etwa durch Sozialhilfe oder Krankenversicherung, so Pfaller. "Die würden das alle gern dagegen eintauschen."
Aus psychoanalytischer Sicht sei die Ersetzung von Begriffen – ein "böses" durch ein "gutes" Wort – ohnehin zwecklos: "Was dann passiert, ist, dass das neue Wort nicht nur den gleichen Gegenstand wie das verächtliche Wort bezeichnet, sondern es bezeichnet auch das alte Wort und die Operation der Ersetzung." Damit bleibe der abwertende Gehalt auch in "guten" Worten immer erhalten – "wie ein Fleck im Tischtuch, der sich, wenn wir ein neues darauflegen, auch im neuen schon wieder abzeichnet". Das erkläre auch, warum schon nach kurzer Zeit immer wieder ein neuer Begriff gesucht werde. "Jedes Wort gerät sofort unter Verdacht, vielleicht doch verächtlich zu sein – zu recht."
Gegen den Einwand, dass die Forderung nach "Political Correctness" in den 1960er-Jahren gerade aus emanzipatorischen Bewegungen "von unten" kam, beharrt Pfaller darauf, dass die von ihm selbst erlebten Rebellionen "immer drastisch gesprochen" hätten. Als Beispiel nennt er die Künstler des "Austro-Pop" der 1970er, die "die Dinge beim Namen genannt" hätten. Das sei für ihn emanzipatorisch, "dass man die Sprache des Volkes aufnimmt und kulturfähig macht und die Zustände in ihrer Brutalität ungeschminkt darstellt."
Wahre Emanzipation durch "drastische" Sprache?
Das bedeute zugleich, "die Betroffenen immer in der Position der Stärke anzurufen", weil darin ein Appell an ihre Kraft liege, selbst etwas zu verändern. Dagegen sieht Pfaller in den Sprachregelungen "eine Propaganda der Einschüchterung", die ein Entblößen der eigenen Schwäche belohne: "Wenn du nur die größte Empfindlichkeit an dir entdeckst und sie öffentlich machst, dann kriegst du dafür ein kleines Zuckerl – aber nur solange, bis der nächste, noch empfindlichere daherkommt, dann kriegt der das Zuckerl."
Dagegen beruft sich Pfaller auf Friedrich Nietzsche: Dieser habe gezeigt, "wie man von einer Tugend der Stärke zu einem System kommt, das die Schwäche belohnt." Statt "gut" und "schlecht" stelle dieses System "gut" und "böse" gegenüber – die vormals "Guten", weil "Starken" würden so plötzlich zu den "Bösen" und die "Schwachen" zu den "Guten". Darin sieht Pfaller eine Parallele zur Gegenwart.
Allerdings verwehrt er sich gegen eine Vereinnahmung dieser Interpretation durch neurechte Positionen: Jene Rassisten und Deutschnationalen, die heute gegen Minderheiten wetterten und einen Kult der eigenen Stärke pflegen, die seien ja meist "alles andere als vornehme, starke Seelen – sondern das sind doch immer die ersten, die den anderen um irgendwas beneiden, was sie beim anderen als Glück aufblitzen sehen." Gerade dieser Umgang mit dem Glück des anderen aber sei für Nietzsche "paradigmatisch für das Ressentiment" – und dessen Träger seien aus seiner Sicht "Verlierertypen".
Pfaller erzählt, wie er einmal von seinem langjährigen Freund, dem Philosophen Slavoj Žižek am Ende einer Konferenz mit einem "Fuck you" verabschiedet wurde – im Unterschied zur höflichen Verabschiedung der anderen Tagungsteilnehmer – und das als Beweis für ihre besonders enge Verbundenheit verstand: "Also, die scheinbare Brutalität hat eigentlich eine Wahrheit von Warmherzigkeit zum Ausdruck gebracht, die man aber nur auf der Ebene erwachsenen Kommunizierens verstehen kann."
Aufruf zur Rettung der "Erwachsenensprache"
Auch politisch ist der Philosoph Pfaller aktiv, zur Rettung der "Erwachsenensprache": Eine eigene Internetplattform hat er gegründet, die europaweit Diskussionen organisiert, deren Besonderheit darin besteht, so Pfaller, dass man dort "Argumente austauschen kann, und zwar unbesehen dessen, wer man ist – man muss nicht vorher sagen, welche sexuelle Orientierung oder ethnische Zugehörigkeit man hat, bevor man sich Gehör verschafft". Das sei inzwischen selbst an Universitäten keine Selbstverständlichkeit mehr. Das Ziel der Diskussionsgruppen bestehe darin, in verschiedenen Bereichen – "Sexualpolitik, Religionspolitik, Bildungspolitik" – die "zunehmende Infantilisierung" zu bekämpfen.
In diesem Sinne appelliert Pfaller an alle "mündigen Bürger" sich "wie Erwachsene zu verhalten". Dabei geht es ihm vor allem um größere Selbstreflexion und Empathie. In diesem Sinne erinnert er daran, "dass man alles, was einen ärgert, meistens auch als einen Grund zur Freude empfinden kann", da der Ärger nicht von den "Fakten" herrühre, sondern von den Vorstellungen, die wir uns darüber gebildet haben – ein Grundsatz des Stoikers Epiktet. Andersherum können entgegengesetzte Vorstellungen auch den Ärger in Wohlwollen verkehren: Etwa wenn man sich vorstellt, dass der Drängler im Straßenverkehr womöglich ein verletztes Kind auf dem Rücksitz hat. "Und so, glaub ich, kann man 'erwachsen' mit sehr viel umgehen, was heute Ärger bereitet." Pfaller sieht darin gar eine zentrale "politische Bürgertugend, dass man dem anderen das Glück nicht neidet, sondern Formen findet, wie man das Glück als etwas Soziales und Teilbares erleben kann.