Philosophie als notwendiges Korrektiv
Die Philosophie dürfe sich nicht völlig in eine Nische zurückziehen, sie habe sich der Lebenswelt zu sehr entfremdet. Mit diesem Satz lieferte der frühere Kulturstaatsminister und Philosoph Julian Nida-Rümelin die Begründung für das "Festival der Philosophie" in Hannover. Das hatte "die Seele" zum Thema und untersuchte dabei unter anderem auch die "Seele des Fußballs".
Starke Töne schon zum Auftakt, wegen des Bürger-Ansturms musste man sogar in die große Rathaushalle ausweichen. Eine Veranstaltung wie ein Fanal - als könnten die Sinn-Defizite in dieser kommerziell entleerten, unbarmherzigen Zeit nun endlich kompensiert werden.
Ob die Philosophie denn ein solches Festival überhaupt nötig habe, hatte man den Eröffnungsredner Julian Nida-Rümelin schon im Vorfeld gefragt. Aber da war der Fachmann und frühere Kulturstaatsminister ja auch gleich bei seinem Thema: Die Philosophie dürfe sich nicht völlig in eine Nische zurückziehen, sie habe sich der Lebenswelt zu sehr entfremdet.
In der Antike noch habe man mit ihrer Hilfe um Klarheit in der Welt gerungen, und im 19. Jahrhundert sei sie in Deutschland Zentrum der universitären Wahrheitssuche gewesen und Mutter anderer Wissenschaften. Nida-Rümelin im Gespräch:
"Diese alten Fragen, die die Philosophie seit der Antike begleitet haben, beschäftigen viele Menschen. Die Philosophie war über Jahrhunderte hinweg Lebenskunst-Lehre. Wo die Philosophie das preisgegeben hat, stoßen andere in diese Lücken: die Esoterik oder die eher pseudowissenschaftliche Beratungsliteratur. Ich plädiere sehr dafür, dass die besten Köpfe der Philosophie sich auch mal an ein breiteres Publikum wenden - auch mal ein Buch schreiben, das Leute lesen können, die nicht Philosophie studiert haben, und auch mal an einem solchen Festival teilnehmen."
Die Philosophie, so der eloquente Redner, könne die Probleme in der Welt allein nicht lösen, aber zum Urteilen und Handeln doch anleiten und uns damit bei der ethischen Orientierung helfen.
Der Seele wurde bei diesem Festival nicht die Rolle einer Metapher zugewiesen. Ihre Wirklichkeit äußere sich in der Sinnsuche, in dem Versuch einer Humanisierung des technischen Zeitalters.
Hier setzte der italienische Philosoph Franco Volpi ein. Die Verbindung von Technik und Wissenschaft sei Motor eines fragwürdigen Fortschritts geworden, der Globalisierung, längst sei die Technowissenschaft auch beim genetischen "Experiment Mensch" angekommen.
Die Philosophie habe sich unvorbereitet gezeigt - oder naiv-optimistisch. Die großen humanistischen Weltentwürfe seien nicht mehr konsensfähig, es herrsche eine Werte-Anarchie, Tugend und Moral hätten dabei die Schönheit von Fossilien. In der philosophischen Suche nach neuen "Sinnressourcen", nach einem Korrektiv sieht Volpi dennoch eine notwendige Reaktion auf dieses Zeitalter:
"Die Philosophie sucht seit jeher nach Gründen, um an dem Evidenten zu zweifeln. Insofern hat sie eine kritische Funktion – und die soll sie auch gegenüber dem Phänomen der Technowissenschaft ausüben. Es reicht nicht mehr, was Marx in seiner elften These über Feuerbach geschrieben hat: die Philosophen hätten die Welt nur verschieden interpretiert, es komme aber darauf an, sie zu verändern. Es ist umgekehrt, eben weil sich die Welt von selbst transformiert. Unsere philosophische Aufgabe besteht darin, diese Transformation, die auch ohne unser Zutun passiert, angemessen zu interpretieren."
Die vorherrschende Veranstaltungsform bei diesem Festival war der Vortrag, Diskussionen danach gab es ansatzweise, oft aber blieb das Publikum stumm. Der Reiz lag sicher in der Vielfalt der Schauplätze - vom Café mitten in der Stadt bis zum Kirchenraum - und in der thematischen Bandbreite, die von der seelischen Erkrankung bis zur Weinseligkeit der Philosophen reichte.
Auch der Deutschen Lieblingssport wurde nicht ausgespart, man beschäftigte sich dabei aber nicht mit dem sprichwörtlichen Fußballgott, sondern mit der "Seele auf dem Fuß”, den inneren Werten der Kickerei. Martin Cordes, Professor für Religionspädagogik:
"Die Seele des Fußballspiels ist im Grunde der einzelne Mensch. Das wird deutlich an einem Bild: als Ballack neulich mit seiner Mannschaft ein wichtiges Spiel verloren hatte, sah man ihn minutenlang weinend auf dem Rasen. Und diese ganzen Fazetten - von der Erniedrigung bis hin zur Gewalt, und auf der anderen Seite die Kameradschaft – diese ganze Palette spielt sich beim Fußball ab. Letztlich stellt sich die Frage: Wo stehe ich als Mensch, ob nun als Zuschauer oder Beteiligter?"
Nein, trotz der Trompeten-Zwischentöne hieß dieser Abend nicht "Jugend musiziert”, sondern "Jugend denkt”, was manchem vielleicht wie eine Drohung erschien. In einem Café stellte man prämierte Beiträge eines Wettbewerbs für Schülerinnen und Schüler vor. "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?”, war dabei eine der besonders beliebten Preisfragen. Höhere Einsichten?
Schüler: "Ich habe eine Dimension von Wirklichkeit gefunden, mit der ich mich vorher nicht beschäftigt hatte. Normalerweise sagt man, die Wirklichkeit sei greifbar, sei objektiv. Ich behaupte, ein Teil der Wirklichkeit ist auch das, was wir uns von ihr vorstellen, wie wir sie rückbeziehen auf uns selbst und damit Lebenserfahrungen machen können, die sehr abstrakt sind."
An diesem Wettbewerb hatten die Schülerinnen und Schüler aus freien Stücken teilgenommen, in ihrem Unterricht aber scheint die Philosophie keine große Bedeutung zu haben.
Es sei ein Skandal, dass diese Wissenschaft, die dem Bildungsziel, selbständig denken zu lernen, am nächsten komme, in deutschen Schulen derart an den Rand gedrängt werde, so Nida-Rümelin.
Und an den Universitäten? Die Geisteswissenschaften sind vielerorts bedroht - und in der Stadt, in der man sich jetzt mit diesem anregenden Festival schmückt, werden an der Leibniz-Universität philosophiegeschichtliche Inhalte abgebaut, das Fach erhält eine neue, marktnähere Ausrichtung.
Es ging so in Hannover nicht allein um die Wirklichkeit der Seele, sondern zwischendurch auch um die institutionelle Zukunft der Philosophie. Franco Volpi:
"Das Verhältnis zwischen Philosophie und Macht, Philosophie und Politik ist immer ein kritisches gewesen. Aufgabe der Politik ist: Bedingungen zu gewährleisten, unter denen das funktionieren kann, was der altehrwürdige Kant als 'räsonierende Öffentlichkeit’ bezeichnet hat - in der jeder mit der Kraft des besseren Arguments Gehör finden kann."
Ob die Philosophie denn ein solches Festival überhaupt nötig habe, hatte man den Eröffnungsredner Julian Nida-Rümelin schon im Vorfeld gefragt. Aber da war der Fachmann und frühere Kulturstaatsminister ja auch gleich bei seinem Thema: Die Philosophie dürfe sich nicht völlig in eine Nische zurückziehen, sie habe sich der Lebenswelt zu sehr entfremdet.
In der Antike noch habe man mit ihrer Hilfe um Klarheit in der Welt gerungen, und im 19. Jahrhundert sei sie in Deutschland Zentrum der universitären Wahrheitssuche gewesen und Mutter anderer Wissenschaften. Nida-Rümelin im Gespräch:
"Diese alten Fragen, die die Philosophie seit der Antike begleitet haben, beschäftigen viele Menschen. Die Philosophie war über Jahrhunderte hinweg Lebenskunst-Lehre. Wo die Philosophie das preisgegeben hat, stoßen andere in diese Lücken: die Esoterik oder die eher pseudowissenschaftliche Beratungsliteratur. Ich plädiere sehr dafür, dass die besten Köpfe der Philosophie sich auch mal an ein breiteres Publikum wenden - auch mal ein Buch schreiben, das Leute lesen können, die nicht Philosophie studiert haben, und auch mal an einem solchen Festival teilnehmen."
Die Philosophie, so der eloquente Redner, könne die Probleme in der Welt allein nicht lösen, aber zum Urteilen und Handeln doch anleiten und uns damit bei der ethischen Orientierung helfen.
Der Seele wurde bei diesem Festival nicht die Rolle einer Metapher zugewiesen. Ihre Wirklichkeit äußere sich in der Sinnsuche, in dem Versuch einer Humanisierung des technischen Zeitalters.
Hier setzte der italienische Philosoph Franco Volpi ein. Die Verbindung von Technik und Wissenschaft sei Motor eines fragwürdigen Fortschritts geworden, der Globalisierung, längst sei die Technowissenschaft auch beim genetischen "Experiment Mensch" angekommen.
Die Philosophie habe sich unvorbereitet gezeigt - oder naiv-optimistisch. Die großen humanistischen Weltentwürfe seien nicht mehr konsensfähig, es herrsche eine Werte-Anarchie, Tugend und Moral hätten dabei die Schönheit von Fossilien. In der philosophischen Suche nach neuen "Sinnressourcen", nach einem Korrektiv sieht Volpi dennoch eine notwendige Reaktion auf dieses Zeitalter:
"Die Philosophie sucht seit jeher nach Gründen, um an dem Evidenten zu zweifeln. Insofern hat sie eine kritische Funktion – und die soll sie auch gegenüber dem Phänomen der Technowissenschaft ausüben. Es reicht nicht mehr, was Marx in seiner elften These über Feuerbach geschrieben hat: die Philosophen hätten die Welt nur verschieden interpretiert, es komme aber darauf an, sie zu verändern. Es ist umgekehrt, eben weil sich die Welt von selbst transformiert. Unsere philosophische Aufgabe besteht darin, diese Transformation, die auch ohne unser Zutun passiert, angemessen zu interpretieren."
Die vorherrschende Veranstaltungsform bei diesem Festival war der Vortrag, Diskussionen danach gab es ansatzweise, oft aber blieb das Publikum stumm. Der Reiz lag sicher in der Vielfalt der Schauplätze - vom Café mitten in der Stadt bis zum Kirchenraum - und in der thematischen Bandbreite, die von der seelischen Erkrankung bis zur Weinseligkeit der Philosophen reichte.
Auch der Deutschen Lieblingssport wurde nicht ausgespart, man beschäftigte sich dabei aber nicht mit dem sprichwörtlichen Fußballgott, sondern mit der "Seele auf dem Fuß”, den inneren Werten der Kickerei. Martin Cordes, Professor für Religionspädagogik:
"Die Seele des Fußballspiels ist im Grunde der einzelne Mensch. Das wird deutlich an einem Bild: als Ballack neulich mit seiner Mannschaft ein wichtiges Spiel verloren hatte, sah man ihn minutenlang weinend auf dem Rasen. Und diese ganzen Fazetten - von der Erniedrigung bis hin zur Gewalt, und auf der anderen Seite die Kameradschaft – diese ganze Palette spielt sich beim Fußball ab. Letztlich stellt sich die Frage: Wo stehe ich als Mensch, ob nun als Zuschauer oder Beteiligter?"
Nein, trotz der Trompeten-Zwischentöne hieß dieser Abend nicht "Jugend musiziert”, sondern "Jugend denkt”, was manchem vielleicht wie eine Drohung erschien. In einem Café stellte man prämierte Beiträge eines Wettbewerbs für Schülerinnen und Schüler vor. "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?”, war dabei eine der besonders beliebten Preisfragen. Höhere Einsichten?
Schüler: "Ich habe eine Dimension von Wirklichkeit gefunden, mit der ich mich vorher nicht beschäftigt hatte. Normalerweise sagt man, die Wirklichkeit sei greifbar, sei objektiv. Ich behaupte, ein Teil der Wirklichkeit ist auch das, was wir uns von ihr vorstellen, wie wir sie rückbeziehen auf uns selbst und damit Lebenserfahrungen machen können, die sehr abstrakt sind."
An diesem Wettbewerb hatten die Schülerinnen und Schüler aus freien Stücken teilgenommen, in ihrem Unterricht aber scheint die Philosophie keine große Bedeutung zu haben.
Es sei ein Skandal, dass diese Wissenschaft, die dem Bildungsziel, selbständig denken zu lernen, am nächsten komme, in deutschen Schulen derart an den Rand gedrängt werde, so Nida-Rümelin.
Und an den Universitäten? Die Geisteswissenschaften sind vielerorts bedroht - und in der Stadt, in der man sich jetzt mit diesem anregenden Festival schmückt, werden an der Leibniz-Universität philosophiegeschichtliche Inhalte abgebaut, das Fach erhält eine neue, marktnähere Ausrichtung.
Es ging so in Hannover nicht allein um die Wirklichkeit der Seele, sondern zwischendurch auch um die institutionelle Zukunft der Philosophie. Franco Volpi:
"Das Verhältnis zwischen Philosophie und Macht, Philosophie und Politik ist immer ein kritisches gewesen. Aufgabe der Politik ist: Bedingungen zu gewährleisten, unter denen das funktionieren kann, was der altehrwürdige Kant als 'räsonierende Öffentlichkeit’ bezeichnet hat - in der jeder mit der Kraft des besseren Arguments Gehör finden kann."