Die Sendung wurde erstmals am 23. Dezember 2018 ausgestrahlt.
Über die Tücke der ökologischen Zeitbombe
38:15 Minuten
Dem Klimaschutz läuft die Zeit davon: Wenn die Erderwärmung begrenzt werden soll, braucht es globale Anstrengungen, warnt der IPCC. Der Philosoph Hans Jonas entwarf bereits 1979 eine globale Umweltethik. Heute ist sie aktueller denn je.
Für den Weltuntergang braucht es keine Atomwaffen. Es reicht, wenn wir nur alle so weitermachen wie bisher. So die Warnung des Philosophen Hans Jonas (1903–93) im Interview mit dem Journalisten Ingo Hermann. Ja, der Kalte Krieg bereite ihm Sorgen, sagt Jonas in dem Radiogespräch von 1980. Aber:
"Während ich hier sehe, dass mindestens die Chance da ist, dass es nicht zum Schlimmen kommt, so gibt es doch eine ganz andere Uhr, die da tickt, während wir einfach so leben, wie wir es tun als Mitglieder der westlichen, fortgeschrittenen technischen Zivilisation."
Die Tücke dieser "Zeitbombe" liege gerade darin, dass viele Einzelne die "Ausplünderung und eventuelle Verderbung unserer natürlichen Umwelt" mit verursachten, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein:
"Indem wir in unser Auto steigen und durch die Gegend fahren, indem wir an dem großen Güterreichtum des modernen Lebens teilnehmen und alle diese Dinge benutzen, für die Wälder abgeholzt werden, für deren Herstellung ganze Gegenden chemisch vergiftet werden."
Ausplünderung der Natur
In seinem Hauptwerk "Das Prinzip Verantwortung" entwirft Jonas 1979 eine "Ethik für die technologische Zivilisation". Mit dem technischen Fortschritt hat sich die Stellung des Menschen zur Natur aus seiner Sicht so fundamental verändert, dass auch philosophische Maßgaben für richtiges Handeln von neuen Voraussetzungen ausgehen müssen:
"Früher war der Mensch an Macht dem Gesamtsystem der Dinge gegenüber klein. Und er konnte froh sein, wenn er sich behauptete gegenüber der Natur und ihr abrang, was zu einem menschenwürdigen Leben nötig ist. Heute ist die Macht des Menschen ungeheuer groß."
Der gefährliche Erfolg der Menschheit
Aus den technischen Möglichkeiten zur Beherrschung der Natur erwächst für Jonas eine globale Verantwortung, die den traditionellen Bereich der Ethik weit überschreitet. Während sie früher Orientierung bot für den Umgang von Mensch zu Mensch im Nahbereich, so sind nun globale ökologische Auswirkungen des Handelns zu bedenken – und das außerdem im Hinblick auf kommende Generationen. Angelehnt an den kategorischen Imperativ Immanuel Kants hat Jonas die Maxime seiner Umwelt-Ethik in einen "ökologischen Imperativ" gefasst:
"Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden."
Die ideologische Basis der ökologischen Krise erkennt Hans Jonas in dem unbedingten Fortschrittsglauben der modernen Gesellschaften. Die Menschheit habe sich "durch ihren ganz außerordentlichen Erfolg" selbst in Gefahr gebracht, so Jonas im Gespräch mit Ingo Hermann. Dabei sei Fortschritt längst zu einem Zwang geworden, da die Versorgung der Industrieländer ohne eine fortschreitende Ausbeutung der Natur zusammenbrechen würde.
Ist Fortschrittsglaube Opium für die Armen?
Hans Jonas sieht diesen fatalen Fortschritts-Optimismus nicht auf den kapitalistischen Westen beschränkt. Der Marxismus ist aus seiner Sicht nur "ein Sonderfall des Fortschrittsglaubens", da auch er das Wohl der Gesellschaft an Errungenschaften der Technik knüpft. Jonas hält die marxistische Utopie sogar für besonders gefährlich, weil sie "den Verdammten dieser Erde einen großen Erlösungstraum" vorsetze. Dabei drohe jedoch völlig aus dem Blick zu geraten, "was in den Grenzen der Natur – sowohl der Erdnatur wie der Menschennatur – überhaupt möglich ist." Gerade angesichts der immens gewachsenen Macht zur Unterwerfung der Natur – etwa durch Gentechnologie oder industrielle Landwirtschaft – mahnt Jonas dazu, "innezuhalten und sich bescheidenere Ziele zu setzen".
Als Vordenker einer globalen ökologischen Verantwortung gibt Hans Jonas heute immer noch wichtige Impulse. "Das Prinzip Verantwortung" zählt zu seinem Spätwerk. Zuvor veröffentlichte er auch zahlreiche religions-, sozial- und technikphilosophische Schriften. Zum Zeitpunkt der aufgezeichneten Radio-Gespräche blickt Jonas aber nicht nur auf sein philosophisches Werk zurück, sondern auch auf ein bewegtes Leben.
Heideggers Bekenntnis zu Hitler – "Bankrott der Philosophie"
1903 in Mönchengladbach geboren, wächst er in einer großbürgerlichen liberalen jüdischen Familie auf. 1933 verließ er Deutschland nach dem Wahlsieg der Nationalsozialisten, gelangt über London nach Israel und kämpft dort in der britischen Armee. Als er nach dem Krieg in sein Heimatland zurückkehrt, erfährt er, dass seine Mutter in Auschwitz ermordet wurde.
In Deutschland will Hans Jonas danach nie wieder für längere Zeit leben, so bekennt er 1989 im Gespräch mit dem Journalisten Wolf Scheller. Von 1955 bis 1976 lehrt Jonas als Professor an der renommierten New School for Social Research in New York. Studiert hat er bei den Philosophen Edmund Husserl und Martin Heidegger. Dass sein Doktorvater Heidegger sich 1933 als Rektor der Universität Freiburg offen zum Nationalsozialismus bekannte, schockierte ihn zutiefst, so Jonas im Gespräch mit Scheller:
"Dass der bedeutendste philosophische Denker meiner Zeit da mitmachte, das war ein ungeheurer Schlag für mich."
Entsetzt war Hans Jonas von diesem Vorgang nicht nur menschlich. Er war auch enttäuscht von der Philosophie:
"Dass die Philosophie nicht die Kraft hatte, Heidegger zu schützen vor diesem Irrweg – ich empfand es damals fast wie einen Bankrott der Philosophie, eine welthistorische Blamage."