Philosophie

Der Mensch als Werkzeug

Von Michael Opitz |
Wie ist es möglich, dass innerhalb herrschenden Rechts rechtsfreie Räume entstehen können? Dieser Frage widmet sich der italienische Philosoph Giorgio Agamben in einer Buchreihe. Im Mittelpunkt des neues Bandes steht der Begriff des Amtes - und die fatale Unterscheidung zwischen Sein und Praxis.
"Homo sacer" heißt der 1995 erschienene erste Band des gleichnamigen Projektes des italienischen Philosophen Giorgio Agamben – "Homo sacer" wie eine Figur im archaischen römischen Recht, die bestimmte Menschen aus dem Schutzraum des Rechts ausschloss. Im Rahmen dieses Forschungsprojektes hat Agamben bisher sieben Bücher veröffentlicht. Auftakt für den II. Teil bildet ein schmaler Band mit dem Titel "Ausnahmezustand". Nun ist als Band II/5 "Opus Dei. Archäologie des Amts" erschienen.
Auf den ersten Blick scheinen die Untersuchungen dieser Serie wenig gemeinsam zu haben: Sie nahmen ihren Ausgang im archaischen Rom, führten zu den Konzentrationslagern des 20. Jahrhunderts, zum "Krieg gegen den Terror" zu Beginn des 21. Jahrhunderts, und zuletzt befassten sie sich mit den Formen kollektiven Lebens in Klöstern (im Band "Höchste Armut. Ordensregeln und Lebensformen", 2012).
Die Rolle des Priesters in der Liturgie
Doch der erste Eindruck täuscht. Denn Agamben verliert seine zentrale Frage nicht aus den Augen: Wie ist es möglich, dass innerhalb herrschenden Rechts rechtsfreie Räume entstehen können? Zentraler Begriff seines neuen Buches ist der des Amtes. Agamben nähert sich ihm, indem er zunächst nach der Rolle des Priesters in der Liturgie fragt. Er beschreibt den Priester als einen Diener, der in seinem Amt wie ein "beseeltes Werkzeug" Christus dient. Dabei wäre es für die Ausübung des Amtes bedeutungslos, wenn der Priester als Mensch einen moralisch unwürdigen Lebenswandel hätte. Person und Amt sind strikt voneinander getrennt.
Zum Vergleich verweist Agamben auf einen gebrechlichen Arzt. Ein von diesem verschriebenes Medikament würde die Wirkung der Arznei nicht beeinträchtigen. Ganz ähnlich ist der Priester Dienstleistender im Auftrag eines Höheren. Man könne ihn, so Agamben, mit einem Offizier vergleichen. "Der Offizier – ebenso wie der Priester – ist das, was er soll, und soll das, was er ist: er ist ein Befehlswesen." Deutlich wird, dass das Sein eines Priesters sein Tun vorschreibt und sein Tun sich in seinem Sein zeige.
Wie Auschwitz möglich wurde
Der Gewinn von Agambens Studie besteht darin, dass er – ausgehend vom Bedeutungswandel der Begriffe in der Geschichte – die Folgen aufzeigt, die mit der Berufung auf die Begriffsbedeutung einhergegangen sind. Wenn derjenige, der handelt, im Moment des Handelns aufhört zu sein, weil er ein Werkzeug im Amt ist, dann zeigt sich darin, wie fatal die Unterscheidung von Sein und Praxis wirken kann. Die verheerenden Folgen dieser Zweiteilung haben in der Geschichte der Moderne Auschwitz möglich gemacht, so kann man mit Agamben schlussfolgern. Die Pflicht wurde zu einem wesentlichen Moment des Amtes, wobei das mit dem Amt verbundene Sollen Teil der von Amts wegen ausgeübten Pflicht war.
Agambens Texte sind schwere Kost. Aber eindrucksvoll sind die Wege, die er immer wieder einschlägt. Er fragt danach, wie unsere moralisch-ethischen Vorstellungen wurden, was sie heute sind, und dazu muss er sich weit in die Geschichte zurückbewegen. Dadurch scheinen historische Konstellationen auf, die man nicht für möglich gehalten hat: Adolf Eichmann, jener später in Jerusalem angeklagte Mitorganisator des Holocaust, hat – so sagte er im Prozess über sich selbst – im Sinne des "kantischen Pflichtbefehls gehandelt". Das Befolgen der Pflicht war ihm ein Gebot, an das er sich hielt.

Giorgio Agamben: Opus Dei. Archäologie des Amts
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013
215 Seiten, 22,99 Euro

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