Hélène Cixous ist am Dienstagabend (29.4.) zu Gast im Theater HAU 1 in Berlin-Kreuzberg, im Gespräch mit dem Philosophen und Verleger Peter Engelmann.
Die Grande Dame des Essays
Hélène Cixous zählt zu den wichtigsten Essayistinnen und Theater-Autorinnen Frankreichs - und sie ist eine maßgebliche Stimmen der feministischen Philosophie. Für eine Gesprächsreihe kommt sie jetzt nach Berlin. Wir haben die 76-Jährige vorab getroffen.
Hélène Cixous ist eine schmale, elegante Frau, die auf älteren Fotos immer aussieht wie ein androgynes Model. Bis heute trägt sie das Haar extrem kurz geschnitten, ihr markantes, scharf konturiertes Gesicht tritt dadurch umso deutlicher hervor. Sie redet ruhig, in konzentrierten Sätzen. Ausnehmend freundlich, aber dennoch entschieden. "Insister" - beharren, lautet der Titel des jetzt auf Deutsch übersetzten Buchs, das sie "An Jacques Derrida" gerichtet hat.
"Das war zuallererst einmal ein Witz. Es ist ein Buchtitel, der ein Geheimnis in sich trägt. Das Wort bedeutet natürlich 'behaupten', 'betonen'. Aber es schlängelt sich durch verschiedene Sprachen. Auf Deutsch heißt es eben 'insistieren'. Aber im englischen steckt darin 'sister'. Also die 'inner sister'."
Eine Art geistige Schwester von Derrida also. Die gemeinsame Arbeit mit dem Philosophen an der Sprache ist das Lebensthema von Hélène Cixous. Als Studentin hatte sie den wenige Jahre älteren Philosophen des Postrukturalismus kennengelernt. Ein Leben lang blieben sich die beiden als intellektuelle und persönliche Fixpunkte erhalten.
"Das Buch ist ein ununterbrochener Dialog zwischen Jacques Derrida und mir, in dem die großen Momente unseres gemeinsamen kreativen Schaffens noch einmal heraufbeschworen werden."
Die Liebe zu Deutschland
Ebenso wie Jacques Derrida, dessen Werk durch die Beschäftigung mit dem Holocaust und dessen geistigen Wegbereitern geprägt ist, entstammt Hélène Cixous einer jüdischen Familie. Ihre Mutter wuchs in Osnabrück auf. In Oran heiratete sie einen Algerien-Franzosen. Dort wurde Hélène Cixous am 5. Juni 1937 geboren.
"Die Familie Jonas war eine große jüdische Familie in Osnabrück. Meine Großmutter konnte 1938 fliehen, aber ihre Brüder und Schwestern wurden deportiert. Aber wenn ich nach Deutschland komme, habe ich immer das Gefühl, ich kehre zurück. Es ist ein Land, das ich liebe. Ich besitze eine große Zuneigung - sowohl zum Land selbst als auch zu seiner komplizierten Geschichte. Und zu seiner Sprache, die eine meiner Muttersprachen ist."
In ihrem Buch "Osnabrück" hat Hélène Cixous schon vor vielen Jahren eine literarische Spurensuche unternommen. Sie hat sich stark mit deutscher Literatur und Philosophie auseinandergesetzt. Kleist, Rilke, Hölderlin.
"Wenn ich lese, glaubt man, dass ich deutsch sprechen kann."
Vorkämpferin für die Frauenrechte
Hélène Cixous hat sich seit ihren Anfängen mit Geschlechterfragen auseinandergesetzt. Als Kind war sie in ihrer Heimat Algerien als Jüdin diskriminiert worden. Später wurde sie eine der Vorkämpferinnen für Frauen- und Minderheitenrechte in Frankreich. Nach den Studentenprotesten vom Mai 1968 war sie an der Gründung der linken Reform-Universität von Vincennes im Osten von Paris beteiligt. Und wenig später eröffnete sie das erste Institut für feministische Studien in Frankreich.
Die heftigen Proteste gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im vergangenen Jahr in Frankreich sind für sie ein Alarmsignal:
"Das ist wirklich erschreckend. Die Gegner bewegen sich im Reich der Fantasie, da ist reiner Hass. Wenn man die Realität betrachtet, dann stellt man fest, dass es ziemlich wenige Eheschließungen von Homosexuellen gibt. Es ist eine reine Privatsache und hat nichts mit dem zu tun, was die extreme Rechte daraus macht. Ich selbst würde grundsätzlich eher sagen, man sollte nicht heiraten. Aber wenn man die Institution Ehe dekonstruieren will, muss sie erst einmal für alle möglich sein."
In Deutschland ist Hélène Cixous vor allem als Philosophin und kritische Essayistin bekannt. Dabei ist sie auch eine bedeutende Literatin, die einen feinen, sensiblen Stil pflegt. Für ihre Freundin,die Regisseurin Ariane Mnouchkine und deren "Théâtre du soleil" hat sie zahlreiche Bühnenstücke geschrieben.
"Wenn man den Körper zensuriert, zensuriert man gleichzeitig den Atem, das Wort" - dieses Zitat von ihr steht als Motto über der Diskussion heute Abend in Berlin. Für Hélène Cixous sind Sprache und Körperlichkeit - also auch Geschlecht und Sexualität - untrennbar miteinander verbunden.