Philosophie

Ein bedrückendes Kammerspiel

Undatierte Aufnahme des deutschen Philosophen Martin Heidegger (1889-1976).
Ein rechter Vorkämpfer unter den Gelehrten: Martin Heidegger. © picture alliance / dpa
Von Stefan Monhardt |
In den Sechziger Jahren gab der Philosoph Heidegger dem "Spiegel" ein lange vorbereitetes Interview. Autor Lutz Hachmeister rekonstruiert das Gespräch sorgfältig und zeigt auch, welches ganz eigene Ziel einer der Redakteure damit verfolgte.
Am 23. September 1966 empfängt der Philosoph Martin Heidegger Redakteure des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zu einem lange und intensiv vorbereiteten Gespräch; dabei sind der Herausgeber Rudolf Augstein und sein Ressortleiter für Geisteswissenschaften, Georg Wolff.
Als erster NS-Rektor der Freiburger Universität in den Jahren 1933-34 hatte sich Heidegger als einer "der stärksten nationalsozialistischen Vorkämpfer unter den deutschen Gelehrten" profiliert, wie es eine Zeitung im Dezember 1933 durchaus zutreffend formulierte. Er verfasste denunziatorische Gutachten und befeuerte seine Studenten mit Aufrufen wie diesem:
"Nicht Leitsätze und 'Ideen' seien die Regel Eures Seins. Der Führer selbst und allein ist die heutige Wirklichkeit und ihr Gesetz..."
Nach Diktatur und Krieg zunächst mit einem Lehrverbot belegt, stand der Denker der medialen Öffentlichkeit skeptisch gegenüber, zunehmender Kritik begegnete er mit Schweigen, die "Journaille" verachtete er. Lutz Hachmeister rekonstruiert, wie es dann doch zu jenem "legendären" Spiegel-Interview kam und wie es verlief. Er konnte dabei Quellen heranziehen, die bislang nicht zugänglich oder nicht ausgewertet waren.
Ein exklusives Gespräch mit einem weltberühmten Denker
Das Hamburger Magazin sichert sich die "Trophäe" eines exklusiven Gesprächs mit dem weltberühmten Denker. Heidegger erhält dafür die Plattform zu einer – so Augstein – "Klar- und Wahrstellung". Er darf, von kritischen Nachfragen unbehelligt, seine Version seiner Rektoratszeit präsentieren.
Und die Bedingung, das Interview dürfe erst nach seinem Tod abgedruckt werden, verlieh seinen Aussagen den Nimbus eines "Testaments" und ultimativen Bekenntnisses – einen Nimbus, der ihnen keineswegs zukommt, wie der Medienwissenschaftler nüchtern feststellt.
Lutz Hachmeister: Heideggers Testament
Lutz Hachmeister: Heideggers Testament© promo
"Heidegger hatte nicht vor, irgendeine Beichte abzulegen. Das Protokoll des 'Bereinigungsausschusses' vom Dezember 1945, Heideggers Schrift 'Das Rektorat 1933/34 – Tatsachen und Gedanken', diverse Heidegger-Briefe an Jaspers und Marcuse und das Spiegel-Interview bilden einen geschlossenen Block der Selbstbehauptung des deutschen Philosophen. Er erweist sich damit als ausgesprochenes Talent für Halbwahrheiten und härteste kognitive Konsonanz."
Spektakulärer wird sein Buch, sobald Lutz Hachmeister den Spieß umdreht und darstellt, in welchem Umfang der frühe Spiegel NS-Personal, insbesondere ehemalige Kader des nationalsozialistischen Sicherheitsdienstes, als Mitarbeiter rekrutierte. Mit ihren Verbindungen und ihrem Wissen verhalfen sie Rudolf Augstein und seinem Nachrichtenmagazin zum Ruf präzisester Recherche.
Georg Wolff, Heideggers zweiter Interviewpartner, wird damit unversehens zur eigentlichen Hauptperson des Buches. 1914 geboren, studiert er Zeitungswissenschaft und Philosophie, kommt 1940 zum SD-Einsatzkommando Oslo, das eng mit der Gestapo zusammenarbeitet.
Auf bestimmte Fragen antwortet der Philosoph nicht
1951 findet er zum Spiegel und prägt zusammen mit Augstein entscheidend die politische Leitlinie des Blattes. Mitte der Sechziger Jahre wird für ihn das Ressort Geisteswissenschaften eingerichtet. Hachmeister konnte Wolffs nicht publizierte Lebenserinnerungen auswerten. Er beschreibt daraus eine komplexe Persönlichkeit, die Blindheit und Einsicht verbindet. Immer wieder geht es dem Spiegel-Mann um das Bewusstsein der eigenen Schuld während der NS-Zeit:
"Ohne dieses Bewusstsein wäre ich kein Mensch, sondern nur ein Faktor. Ich will ein Mensch sein. Ich will es."
Vor diesem Hintergrund gewinnt das Gespräch in der Gelehrtenstube des Hauses im Freiburger Rötebuckweg den Charakter eines bedrückenden Kammerspiels, bei dem sich der Interviewer vergeblich Antwort auf eigene Lebensfragen erhofft, wie Lutz Hachmeister resümiert.
"Indem Heidegger das Spiegel-Interview nutzt, das System der NS-Herrschaft auf 'Technik' zu reduzieren, wird der Nationalsozialismus vollständig entindividualisiert. Jede Form moralischer Reflexion lehnt Heidegger konsequent ab. Auf die schüchternen und fast gestammelten Fragen Georg Wolffs, der auch eine Art persönlicher Erlösung sucht, nach 'Hitler' und dem Massenmord an den Juden, will der Philosoph nicht antworten. Er verweist lieber auf Hölderlin."

Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS
Propyläen Verlag Berlin, März 2014
368 Seiten, 22,99 Euro

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