Philosophie-Festival phil.cologne

Gibt es eine Seele - und wenn ja, wo?

Grabplatte auf einem Kindergrab mit marmorner Engelsfigur auf einem Friedhof.
Grabplatte auf einem Kindergrab. Es gebe die Fähigkeiten der Seele, aber - nach allem, was bekannt ist - keine Substanz der Seele, die sich zum Beispiel im Moment des Todes in Form eines Vogels vom Körper löst, erklärt der Philosoph Michael Pauen. © imago / blickwinkel
Michael Pauen im Gespräch mit Dieter Kassel |
Auch wenn die Neurowissenschaft bisweilen behauptet, das Rätsel um Bewusstsein, Geist und Seele sei gelöst: "Wir stehen da wahrscheinlich noch am Anfang", sagt der Philosoph Michael Pauen zum Auftakt des Philosophie-Festivals phil.cologne. Die traditionelle Seelenvorstellung lehnt Pauen ab.
Eines der Themen auf dem diesjährigen Internationalen Philosophie-Festival phil.cologne in Köln ist die Frage nach dem Verhältnis von Körper und Geist - und nach dem Sitz der Seele. Für Fragen dieser Art hat sich in den letzten Jahren vor allem die Neurowissenschaft zuständig erklärt. Die allerdings lehnt den Begriff der Seele ab, denn die Seele ist ja kein Körperorgan, dessen neurochemische Abläufe man messen und vermeintlich einfach erklären kann.
Auch die Philosophie hat sich inzwischen von der alten Vorstellung verabschiedet, die Seele sei etwas Stoffliches, sagt der Philosoph Michael Pauen. "Es gibt die Fähigkeiten natürlich, aber es gibt nicht diese Substanz."

Haben Komapatienten ein Restbewusstsein?

Eine Erklärung der Phänomene und Fähigkeiten, die traditionell der Seele zugeschrieben werden, steht Pauen zufolge allerdings noch aus. Als Beispiel nannte er die Frage nach dem Bewusstsein. Hier sei eine Klärung schon aus medizinischen Gründen notwendig, etwa um festzustellen, ob Komapatienten noch über ein Restbewusstsein verfügten.
"Da betrügen wir uns einfach selbst, wenn wir da auf so eine Seelenvorstellung zurückgreifen und sagen, damit haben wir es dann erklärt", so Pauen. "Das ist eine schwierige Geschichte. Wir stehen da wahrscheinlich noch am Anfang. Da ist unglaublich viel zu tun. Es ist unangenehm, zuzugeben, dass wir noch nicht so weit sind, aber wir sind noch nicht so weit."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Das menschliche Bewusstsein und damit doch mehr oder weniger das, was uns überhaupt ausmacht, das erklären uns seit etlichen Jahren vor allem die Neurowissenschaftler, und bei denen ist der Begriff Seele nicht sehr beliebt, denn die Seele ist ja kein Körperorgan, dessen neurochemische Abläufe man messen und vermeintlich einfach erklären kann. Das allerdings schreckt wiederum Philosophen nicht ab. Die beschäftigen sich auch mit der Seele, und das tun sie auch auf der heute beginnenden phil.cologne, wo – allerdings erst morgen – unter anderem der Berliner Philosoph und Autor des Buches "Die Natur des Geistes", Professor Michael Pauen, öffentlich über dieses Thema diskutieren wird. Schönen guten Morgen, Herr Pauen!
Michael Pauen: Guten Morgen!

Seele und Bewusstsein sind nicht dasselbe

Kassel: Geist, Seele, Bewusstsein, Psyche – ist das eigentlich alles dasselbe oder zumindest annähernd das gleiche?
Pauen: Nein, ist es nicht. Also gerade der Seelenbegriff unterscheidet sich vom heutigen Begriff des Bewusstseins in vielerlei Hinsichten, also zum einen, weil die Seelenvorstellung in der Regel davon ausgeht, dass es sich um eine Substanz handelt, die vom Gehirn und vom übrigen menschlichen Körper unterschieden ist. Diese Substanz hat einen wesentlich weiteren Umfang.
Also, dadurch wird nicht nur der menschliche Geist erklärt, sondern zum Beispiel auch die Belebtheit des Menschen, seine Fähigkeit, sich zu bewegen, sich wahrzunehmen und so weiter und so fort, und diese Substanz wird normalerweise auf einen göttlichen Schöpfungsakt zurückgeführt.
Kassel: Ist das auch schon die Erklärung dafür, warum – soweit ich das überblicken kann – eigentlich Jahrtausende lang alle Kulturen doch davon ausgegangen sind, dass es sowas wie eine Seele gibt, dass sie sie eigentlich alle gesucht haben, obwohl sie ja streng genommen nie jemand gefunden hat, oder?
Pauen: Na ja, also man suchte nach einer Erklärung für bestimmte Dinge, bestimmte menschliche Fähigkeiten, die anders nicht zu erklären waren. Also die geistigen Fähigkeiten waren nach dem, was man über den menschlichen Körper wusste, die wurden ja nicht auf das Gehirn notwendigerweise zurückgeführt.
Also, die Funktion des Gehirns war lange Zeit überhaupt nicht bekannt. Die geistigen Fähigkeiten des Menschen, aber auch der Unterschied zwischen belebten und nicht belebten Wesen, der war anders nicht zu erklären. Man brauchte etwas, und dann hat man auf die Seele und, damit vermittelt in den meisten Fällen, auf eine göttliche Instanz zurückgegriffen.

Die Seele als Vogel

Kassel: Hat man denn eigentlich, weil wir jetzt besonders in der westlichen Kultur tun das ja, und haben es getan, hat man sich überall die Frage immer gestellt, wo ist sie denn nun, denn es gab ja, mal grob zusammengefasst, alle möglichen Theorien: die Seele stecke im Blut, viele haben sie natürlich in der Nähe des Herzens vermutet, heutzutage, wenn man überhaupt noch glaubt, es gibt eine, sucht man sie im Gehirn. Haben alle Menschen immer danach gesucht, wo sie wirklich ist?
Pauen: Na ja, in vielen Fällen hat man gar nicht erst danach gesucht, sondern man hat die Seele mit bestimmten Teilen des Körpers, zum Beispiel mit der Brust oder mit dem Herzen identifiziert, und insofern stellte sich die Frage gar nicht. In anderen Fällen ist man davon ausgegangen, dass die Seele eine ganz separate Substanz ist wie zum Beispiel ein Vogel, und dann wurde einfach behauptet, dann haben irgendwelche weisen Männer behauptet, das ist so, und dann wurde das akzeptiert.
Kassel: Heutzutage – ich habe es ja erwähnt – sagen natürlich viele Naturwissenschaftler, Neurowissenschaftler, vor allen Dingen Seele, papperlapapp, wir haben das jetzt alles analysiert und erklärt, wir wissen weitestgehend sogar schon, wie das Gehirn funktioniert, sowas wie eine Seele, das gibt es nicht, und wir brauchen es eigentlich auch nicht. Was sagen Sie als Philosoph dazu?
Pauen: Na ja, also wie gesagt, die Seele ist im Prinzip, also dieser alte Seelenbegriff, ist der Versuch einer Erklärung bestimmter menschlicher Fähigkeiten und im Allgemeinen mit einer viel größeren Zahl von Fähigkeiten als wir die heute meinen, wenn wir von Bewusstsein sprechen. Wir suchen heute nach anderen Erklärungen. Also zum Beispiel die Vorstellung, die hinter diesem Seelenbegriff steht, ist, dass die Seele ist ein Hauch.
Das haben Sie zum Beispiel in der Bibel: Da haucht Gott dem gerade geschaffenen Körper eine Seele ein, und die Seele wird dann im Tod wieder ausgehaucht, und das erklärt die Belebtheit des Menschen. Heute haben wir vermutlich für diese Fähigkeiten bessere Erklärungen. Es geht also auch nicht etwa darum, dass man die Fähigkeiten bestreitet, zu deren Erklärung die Seele eingeführt worden ist, sondern man hat eine bessere Erklärung dafür, wie diese Fähigkeiten zustande kommen.

"Es gibt nicht diese Substanz"

Kassel: Da würde ich jetzt sagen, Sie haben mir gerade erzählt, dass auch Sie als Philosoph sagen, es gibt keine Seele.
Pauen: Ja, also es gibt nicht diese Subs… Es gibt keine Seele, es gibt die Fähigkeiten natürlich, aber es gibt nicht diese Substanz, zum Beispiel die Substanz eines Vogels, die im Moment des Todes sich vom Körper löst. Nein, die gibt es nach allem, was wir wissen, nicht. Dazu gibt es keine vernünftigen Annahmen, aber die Fähigkeiten, die man versucht, damit zu erklären, die gibt es natürlich.
Kassel: Aber ist es nicht doch so – ich verstehe schon, was Sie meinen, und ich kann mir auch keinen Vogel vorstellen, der, wenn jemand stirbt, hinwegfliegt und dass eine Seele auf diese Art und Weise unsterblich ist; aber Sie haben es ja selber indirekt schon gesagt, schon in der Antwort auf meine allererste Frage, diese Begriffsklärung: Brauchen wir nicht diese Theorie der Seele – ich nenne es mal so – auch heute noch, um Dinge zu erklären, die eben mit reiner Naturwissenschaft, vielleicht auch mit ganz normaler, alltäglicher Psychologie nicht zu erklären sind?
Pauen: Na ja, gut, dahinter steckt wahrscheinlich noch eine, wenn Sie so wollen, Umbesetzung des Begriffs. Also wie gesagt, der Seelenbegriff bis ins 19. Jahrhundert ist verstanden worden wirklich als Name für eine Substanz, die geistige, belebte Fähigkeiten erklärt.
Also, Sie haben völlig recht: Mittlerweile verstehen wir unter dem Seelenbegriff was anderes. Wir sagen, jemand ist beseelt, jemand ist seelenlos, auch ein Raum ist seelenlos und so weiter, und damit meinen wir ganz schwer fassbare geistige, häufig auch emotionale und empathische Fähigkeiten, und die gibt es natürlich auch. Klar, natürlich, also diese Form von Seele, diese Neubesetzung des Seelenbegriffs, das ist wieder etwas, das gibt es natürlich, klar, aber man muss klar sein, was man meint.

Seelenmetaphern erfüllen eine wichtige Funktion

Kassel: Ja, aber ist das bei so etwas wie Seele so einfach, denn wenn zum Beispiel – Sie haben es ja selber gesagt –, das ist ja so ein alltäglicher Begriff, dass man sagt, das sei seelenlos, damit muss man nicht gleich was ganz Kompliziertes meinen. Das gibt es in der Musik, wenn jemand technisch brillant spielt, aber irgendwie kommt trotzdem nichts rüber, zack, sagt der Kritiker, das ist einfach seelenlos, wie der diese Musik darbietet. Muss man sich da nicht noch irgendwie als Gesellschaft einigen, was das eigentlich bedeuten soll?
Pauen: Ach ja, nun, man sollte das natürlich schon, aber das Bild … Das bleibt nicht nur beim Seelenbegriff. Das hat aber auch einen bestimmten Grund. Also manchmal meint man Dinge, über die man sich auch ganz gut verständigen kann, bei der es aber ganz schwer ist, einen neuen Begriff, einen klar definierten Begriff zu finden; also das, was der Musikkritiker meint, wenn er sagt, was weiß ich, das Geigenspiel in einem bestimmten Streichquartett war seelenlos, das ist wahrscheinlich ganz schwer genauer zu fassen, und trotzdem versteht man, was der meint. Insofern erfüllen solche Metaphern eine sehr wichtige Funktion trotzdem.

Seelenbegriff - ein bequemes Hilfskonstrukt?

Kassel: Ich glaube, ich habe mir gerade mit der Musik keinen Gefallen getan, weil wir jetzt haben wir eigentlich das schon wieder so ein bisschen verengt. Nein, worauf ich hinaus will: Sie kennen es doch sicherlich auch nicht nur als Philosoph und ich nicht nur als Journalist, aber wir sind ja beide auch Menschen, dass man so Phänomene hat, ja, er schwebt im Raum.
Ich denke zum Beispiel tatsächlich an Donald Trump, aber auch an andere Phänomene, wo man sagt, das kann man nicht klassisch erklären, das kann man nicht mit Mitteln der Geschichtswissenschaften allein erklären, nicht mit Psychologie, nicht mit was auch immer, wo man da manchmal... wenn ich so überlege, wenn wir zur guten alten Seele zurückkehren, finden wir da Erklärungen? Glauben Sie, die Suche nach einer Seele oder ihr Fehlen würde so manches erklären?
Pauen: Nee, also ich glaube, das wäre ein ganz bequemer Umweg, wenn wir versuchen, die geistigen Fähigkeiten zu erklären, natürlich auch solche Phänomene wie, was weiß ich, Donald Trump oder den Rechtspopulismus zu erklären. Das ist eine wichtige und sehr komplizierte Aufgabe, und die ist wichtig. Also wir müssen den erklären und zum Beispiel, welche Ursachen das hat, um dann gegen diese Ursachen was zu machen.
Ähnlich geht es beim Bewusstsein, beim Geist auch. Den müssen aus medizinischen Gründen schon erklären, um, was weiß ich, zu sehen, ob Komapatienten ein Bewusstsein, vielleicht noch ein Restbewusstsein haben, und diese schwierigen Aufgaben, da betrügen wir uns einfach selbst, wenn wir da auf so eine Seelenvorstellung zurückgreifen und sagen, damit haben wir es dann erklärt. Nein, haben wir nicht. Das ist eine schwierige Geschichte. Wir stehen da wahrscheinlich noch am Anfang. Da ist unglaublich viel zu tun. Es ist unangenehm, zuzugeben, dass wir noch nicht so weit sind, aber wir sind noch nicht so weit.

Esoterik taugt nicht zur Erklärung

Kassel: Ich bin Ihnen sehr dankbar, weil ich finde, zuzugeben, wir sind noch nicht so weit, aber kommt mir … Ich fass' das jetzt mal sehr primitiv zusammen, nämlich: Sie sagen, wir sind noch nicht so weit, aber kommt mir nicht mit der Seele und versucht, mit Esoterik wegzuwischen, was wir eigentlich bloß noch nicht begriffen haben.
Pauen: Ja, ganz genau, natürlich.
Kassel: Herr Pauen, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen genau zu diesem Thema natürlich noch länger und ausführlich morgen viel Spaß und viel Erfolg auf der phil.cologne.
Pauen: Dankeschön!
Kassel: Der Philosoph Michael Pauen war das über die Seele, mit der, wie wir gehört haben, man sich nicht einfach irgendwas erklären kann, was einem sonst ein bisschen zu kompliziert erscheint, aber das ist ja nicht alles, was zu dem Thema zu sagen ist. Übrigens, die phil.cologne wird Thema sein bei uns in verschiedenen Sendungen und natürlich nicht nur, was diesen Aspekt angeht, und all das, übrigens wenn Sie wünschen, auch das Gespräch, das Sie gerade gehört haben, kriegen Sie natürlich immer auch im Internet, ganz seelenlos technisch, aber auch jederzeit abrufbar unter deutschlandfunkkultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Das Internationale Festival der Philosophie phil.cologne findet noch bis zum 13. Juni 2017 in Köln statt.

Mehr zum Thema