Slavoi Žižek: Weniger als nichts
Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus
Aus dem Englischen von Frank Born
Suhrkamp, Berlin 2014
1.408 Seiten, 49,95 Euro
Hegel in neuem Licht
Slavoj Žižek hat wieder zugeschlagen. Zuletzt erklärte das "enfant terrible" der intellektuellen Szene den Linken, warum sie den Kampf gegen den Islamismus nicht gewinnen können. Nun hat Žižek sein Opus Magnum vorgelegt, 1400 Seiten über Hegel.
"Ich bin so müde vom politischen Bullshit. Ich will zurück zur Philosophie." - Slavoi Žižeks Stoßseufzer vor ein paar Jahren klang wie einer dieser Brocken, die der slowenische Ausnahmephilosoph gern den Medien vorwirft. Doch wenn er mit seinem neuesten Werk "Weniger als nichts" eines bewiesen hat, dann, dass er nichts weniger ist als der Leninist im Schafspelz oder der Scharlatan im Philosophengewand, als der er in den Medien gern gehandelt wird. Beeindruckend zieht der 1949 geborene Žižek, der in Llubljana und in London Philosophie lehrt, darin alle Register der seriösen Wissenschaft.
Die Philosophie Georg Friedrich Wilhelm Hegels, die er in dem Buch bilanziert, schnurrt meist auf Schlagworte zusammen. Um das Zerrbild des "absoluten Idealisten" zu differenzieren, spiegelt Žižek dessen Ideen in seinen Vorgängern und Nachfolgern von Platon bis zu Alain Badiou. Dabei erscheinen Hegels Theoreme vom "Weltgeist", der Dialektik oder dem "absoluten Wissen" plötzlich in neuem Licht. Der Gegensatz zwischen Idealismus und posthegelianischem Materialismus bleibt für Žižek dennoch unüberbrückbar: "Wer heute noch ganz und gar Hegelianer ist", schreibt er, "gleicht einem Komponisten, der nach der Schönberg'schen Revolution noch tonale Musik schreibt."
Brillantes Standardwerk - überraschend friedlich
"Weniger als nichts" ist ein brillantes Standardwerk, das die schwierige Lektüre lohnt. Und natürlich ist der Band mehr als "nur" Hegel. Kaum ein Problem der Philosophie, der Politik, der Medizin oder der Kunst, das Žižek nicht streift: Von der menschlichen Stimme, über den Wahnsinn bis zu Kasimir Malewitschs Schwarzem Quadrat. Die Umrisse des "radikal emanzipatorischen Projekts", dem sich der politikmüde Philosoph gleichwohl weiter verpflichtet sieht, bleiben für den Publizisten, der gern die "radikale Linke" beschwört, freilich überraschend friedlich – weil diskursiv.
Mal formuliert Žižek abstrakte Maximen wie die, "dem universalistischen/säkularen Projekt der Moderne gegen jede Art von organischer Versuchung treu zu bleiben". Mal lanciert er ästhetische Strategien. Orson Welles' Verfilmung von Franz Kafkas "Der Prozeß" von 1962 nimmt er als Beleg, dass soziale Macht erst zu bezwingen sei, wenn "wir deren phantasmatischen Einfluß auf uns brechen". An solchen Stellen bewegt sich Žižeks Hegel-Analyse ganz im Banne seines Säulenheiligen, des französischen Psychotherapeuten Jacques Lacan.
Für Žižek haben die Proteste, die derzeit über den Globus schwappen, zwar "ein Vakuum im Feld der hegemonialen Ideologie erzeugt". Indem sie sich aber an das hängten, was sie negierten, hätten sie noch keinen "neuen Raum außerhalb der hegemonialen Position aufschließen können". Der "Politik des Widerstandes" stellt er die Aufgabe des Intellektuellen gegenüber: Fragen an einen Patienten zu formulieren, der nur Antworten kennt. Immerhin die Philosophie wird da deutlich, mit der Žižek den politischen Bullshit ersetzen will.