Philosophie der Identität

Auf der Suche nach dem Selbst

24:41 Minuten
Ein Gemälde mit der Dartellung eines mittelalten Mannes mit Bart, der neben einem Skelett steht, welches  an seine Schulter gelehnt, auf der Geige spielt.
Einsame Suche nach dem Selbst: Arnold Böcklin deutet in seinem Gemälde von 1872 an, dass der Blick in eigene Untiefen uns mit den Grenzen des Lebens konfrontiert. © picture alliance / akg-images
Eberhard Rathgeb im Gespräch mit Wolfram Eilenberger · 01.05.2022
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Im Widerspruch zu ihrer Zeit suchten sie das wahre Selbst: Die Philosophen Nietzsche, Kierkegaard und Schopenhauer setzten den Kollektiven der Moderne radikale Subjektivität entgegen. Der Autor Eberhard Rathgeb erkennt darin eine Botschaft für heute.
„Werde, der du bist“, diesem Leitsatz folgten sie alle drei mit radikalem Eigensinn. Ihren Mitmenschen haben sie es dabei nicht leicht gemacht. Friedrich Nietzsche, Sören Kierkegaard und Arthur Schopenhauer galten, jeder auf seine Weise, als schwierige Charaktere und reichlich ungenießbare Zeitgenossen.

Individualisten mit Feingefühl

Der Publizist Eberhard Rathgeb porträtiert die drei Philosophen in seinem Buch „Die Entdeckung des Selbst“ als Individualisten mit Feingefühl. In einer Zeit der beginnenden Industrialisierung, die dem Einfluss gesellschaftlicher Verhältnisse auf den Menschen mehr und mehr Bedeutung zuerkannte, bestanden sie auf den Wert des heroischen Einzelnen.

Sie nehmen sich als drei Menschen so ernst, dass sie aus dem, was sie sind, das machen wollen, was sie am tiefsten sind.

Eberhard Rathgeb, Journalist und Schriftsteller

„Sie haben die Moderne als eine Macht wahrgenommen, die auf Politisierung drängt, auf Demokratie, auf Integration, und die mit Mehrheiten operiert“, erklärt Rathgeb, „und das wollten die drei nicht“. Was jemanden im existenziellen Sinne ausmacht, versuchten Nietzsche, Kierkegaard und Schopenhauer eben nicht auf Sozialisation oder die jeweiligen Lebensverhältnisse zurückzuführen, sondern auf eine elementare Lebenskraft, die durch jeden Menschen „gleichsam hindurch flutet“, erklärt Rathgeb.
Ein Mann mittleren Alters, schaut freundlich, mit einem nach unten gesenkten Blick.
Ungebändigtes Selbstgefühl: Eberhard Rathgeb folgt Nietzsche, Kierkegaard und Schopenhauer auf der Suche nach dem, was sie im Innersten ausmacht.© picture alliance / dpa-Zentralbid / Arno Burgi
Einerseits positionierten die drei Philosophen sich damit bewusst als Außenseiter und Antipoden der Moderne. Andererseits erscheine das 19. Jahrhundert im Vergleich zu der extrem beschleunigten Mediengesellschaft unserer Gegenwart in einem anderen Licht, sagt Rathgeb: „Es war langsam genug für den Gang in die Innerlichkeit."

Aufflackern am Lebensende

Das "Selbstgefühl", dem jeder der drei Philosophen nachgespürt habe, unterscheide sich grundlegend vom Bild des Selbst, das wenig später Psychoanalyse und Psychiatie entworfen haben und in dem dieses in neue, rationale Kategorien einsortiert wurde, betont Rathgeb. Dieses ungebändigte, subjektiv "tiefste Gefühl, das man für sich hat", aus dem sich auch höchst individuelle Charakterzüge wie Intuition oder Geschmack speisen, sollten wir beim philosophischen Nachdenken über uns selbst auch heute noch besonders ernst nehmen, sagt Rathgeb:
"Das ist der dunkle Anfang, aus dem man kommt, und das dunkle Ende, in das man geht. Ich bin mir auch ganz sicher, dass man am Ende seines Lebens vielleicht nochmal ein Aufflackern hat von diesem entscheidenden Selbstgefühl.“
(fka)

Eberhard Rathgeb: "Die Entdeckung des Selbst. Wie Schopenhauer, Nietzsche und Kierkegaard die Philosophie revolutionierten"
Blessing Verlag, München 2022
320 Seiten, 22 Euro

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