Die meisten Menschen haben Schwierigkeiten, den deutschen Begriff "Rasse" zu verwenden, aus guten Gründen. Der englische Begriff "Race" hat sich bisher noch nicht so durchgesetzt. So kann natürlich der Eindruck aufkommen, "Race" ist etwas, was es nur in den USA oder nur im englischsprachigen Raum gibt.
Critical Race Theory
Unterschiede werden gemacht: Eine rassismuskritische Philosophie fragt auch danach, nach welchen Normen eine Gesellschaft Menschen beurteilt und einsortiert. © imago images/Science Photo Library
"Es gibt keine Rassen, aber wir müssen über Unterschiede reden"
27:14 Minuten
Die Debatte über Rassismus ist festgefahren. Manche halten ihn noch immer für ein Randphänomen in Deutschland. Zwei Philosophinnen wollen ihn durch Positionen aus den USA besser verstehen. Aber wie weit sind die auf hiesige Verhältnisse übertragbar?
Spätestens seit den Morden des NSU und den Anschlägen von Hanau und Halle ist klar, dass Deutschland ein ernsthaftes Problem mit Rassismus hat. Doch kommt die öffentliche Auseinandersetzung damit schon im Ansatz immer wieder ins Stocken. Wie verbreitet rassistisches Denken tatsächlich ist, und was genau darunter zu verstehen sei, bereits an diesen Fragen scheiden sich die Geister.
Fixierung auf den Nationalsozialismus
Kristina Lepold, Juniorprofessorin für Sozialphilosophie und Kritische Theorie an der Humboldt-Universität zu Berlin, sieht dafür vor allem zwei Gründe. Einerseits werde Rassismus gerade in Deutschland besonders mit dem Nationalsozialismus verbunden. Deshalb sei die Vorstellung relativ weit verbreitet, dass wir rassistische Ideologien mit dieser Zeit hinter uns gelassen haben oder dass sie nur im Kontext von Rechtsextremismus auftreten. Dabei werde ausgeblendet, "dass Rassismus auch in unserem Alltag eine große Rolle spielt". Hinzu kämen Schwierigkeiten mit den Begriffen, in denen wir uns über Rassismus verständigen können.
Tatsächlich sind Debatten über Rassismus, insbesondere im Hinblick auf seine Auswirkungen im Alltag, in den USA weitaus präsenter als in Deutschland. Die sogenannte Critical Race Theory ruft dort regelmäßig Kontroversen hervor, indem sie darauf abhebt, dass Rassismus nicht auf rechtsextreme Bewegungen beschränkt, sondern tief in der Gesellschaft verankert sei.
US-amerikanische Publizisten aus dem konservativen Lager laufen gegen diese These Sturm. Auch in Deutschland, wo die Critical Race Theory erst seit Kurzem diskutiert wird, machte "Der Spiegel" einen "Angriff auf die Werte des Westens" aus.
Beiträge der Philosophie zum "Rassen"-Diskurs
Auch die philosophische Auseinandersetzung mit Rassismus sei im englischsprachigen Raum viel weiter fortgeschritten als hierzulande, erklärt Marina Martinez Mateo, Juniorprofessorin für Medien- und Technikphilosophie an der Akademie der Bildenden Künste München. Zusammen mit Kristina Lepold hat sie den Reader "Critical Philosophy of Race" herausgegeben, der Schlüsseltexte aus US-amerikanischen Debatten zum Teil in deutscher Erstübersetzung zugänglich macht.
Manche der Autorinnen und Autoren gehen mit der Philosophie der Aufklärung hart ins Gericht. Aber von einer pauschalen Attacke auf "Werte des Westens" könne keine Rede sein, sagt Martinez Mateo.
Es gibt nicht einen "Angriff auf westliche Werte", sondern eine Aufklärungskritik, die aber gleichzeitig anerkennt, dass wir mit der Philosophie selbstkritisch arbeiten können: "Vernunft", "Gleichheit" oder "Gerechtigkeit" sind Begriffe, mit denen man vorsichtig hantieren sollte, weil sie interne Ausschlüsse enthalten, die uns aber auch sehr weiterhelfen, antirassistisches Denken voranzutreiben.
Die Philosophie trage eine besondere Verantwortung, sich mit Rassismus zu befassen, sagt Martinez Mateo. Schließlich zeige sich zum Beispiel anhand der Schriften des Philosophen Immanuel Kant, "dass die Philosophie einen starken Anteil hatte an der Etablierung von Rassendenken". Der Anspruch universeller Menschenrechte etwa, den Denker der Aufklärung wie Kant formulierten, galt damals keineswegs für alle Menschen, sondern schloss manche aufgrund rassistischer Zuschreibungen davon aus. Auf der anderen Seite biete die Philosophie aber auch Ressourcen und Methoden, von denen "eine kritische Analyse von Rassismus und Rassifizierung" enorm profitieren könne.
Unterscheidungen benennen, nicht verstärken
Dabei bestehe freilich immer das Risiko, Unterscheidungen, die man eigentlich ablehne, zu bestätigen - und womöglich zu verstärken -, indem man sie zur Sprache bringe. "Aus einer antirassistischen Position heraus würden wir sagen: Die Annahme, dass es unterschiedliche Gruppen gibt, ist Teil des Problems", sagt Martinez Mateo. "Gleichzeitig müssen wir aber auf diesen Unterschieden beharren, um dem gerecht zu werden, dass diese Annahme sozial und politisch wirksam ist."
Wie von Rassismus sprechen, ohne mit dem Reden über "Rassen" ungewollt die Auffassung zu bestätigen, es gebe tatsächlich so etwas wie objektive, an äußeren Merkmalen festzumachende Unterschiede zwischen Menschen, die mit psychologischen und kulturellen Eigenschaften einhergehen und eine Hierarchie von unterschiedlich zu bewertenden Gruppen rechtfertigen? Aus diesem Dilemma komme eine kritische Philosophie des Rassismus kaum heraus, bestätigt Kristina Lepold:
"Es gibt keine Rassen, aber trotzdem brauchen wir einen Begriff, um über die historische und aktuelle Realität zu sprechen. Es ist eben so, dass in der sozialen Wirklichkeit immer wieder, aufgrund der Hautfarbe zum Beispiel, Menschen unterschiedlich behandelt wurden. Das hat bis heute dramatische Konsequenzen. Wir brauchen einen Begriff, um das sichtbar zu machen."
(fka)
Kristina Lepold und Marina Martinez Mateo: "Critical Philosophy of Race. Ein Reader"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
332 Seiten, 26 Euro