Philosophie und Klimapolitik

Plädoyer für einen neuen Konservatismus

04:51 Minuten
Von Simone Miller · 16.08.2020
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Der Klimawandel ist in vollem Gange, er vollzieht sich sogar schneller als gedacht. Um ihm Einhalt zu gebieten, brauchen wir einen neuen Konservatismus, meint Simone Miller: inspiriert von Hans Jonas' „Prinzip Verantwortung“.
Auf der Fahrt durchs Land wird einem mulmig dieser Tage. Trotz des Regens der vergangenen Wochen: darbendes Gras, hängende Blätter, fallende Nadeln. Die Hitze flirrt über den Feldern, und wir wissen: Das ist erst der Anfang. Das Wetter kündet von einer angebrochenen Heißzeit – ganz so wie das französische Wort "le temps" nicht nur Wetter, sondern auch Zeit bedeutet. Der Himmel ist zu blau geworden. Die Sonne lehrt uns heute das Fürchten.

Hans Jonas' Ethik der Furcht

Dabei ist es schon gut 40 Jahre her, dass uns der Philosoph Hans Jonas eine "Heuristik der Furcht" anempfahl. Mit dem "Prinzip Verantwortung" hat er 1979 – selbst am Lebensabend angekommen – sein ethisches Hauptwerk verfasst. Darin eine Mahnung, die in der Hitze unserer Tage wie durch einen Verstärker dröhnt.
In einer Zeit, in der wir Menschen uns zu Halbgöttern aufgeschwungen haben, in der wir nicht nur über manche Leben entscheiden, sondern über die Voraussetzungen künftigen Lebens überhaupt – in einer solchen Zeit müsse die Furcht unsere erste ethische Pflicht sein, so Jonas.
Nun aber ist die Angst verpönt. Verschrien als schlechte Ratgeberin. Und wer wollte das in Abrede stellen. Angst macht kurzsichtig und impulsiv. Angst ist jedoch etwas anderes als Furcht. Furcht richtet sich auf eine konkrete, gegebene Gefahr. Angst dagegen beschleicht uns heimlich, ist diffus, Botschafterin einer unklaren Lage, Zeichen der Überforderung.

Furcht empfiehlt sich, Angst nicht

Vielleicht ist die Unterscheidung zwischen Angst und Furcht eine der zentralsten unserer politischen Gegenwart. Mit Angst lässt sich manipulieren. Die Furcht dagegen gebietet uns Vorsicht.
Mit der Heuristik der Furcht meint Hans Jonas also, dass uns nur die Furcht vor dem selbst verursachten Totalschaden dazu anleiten kann, genau diesen zu vermeiden. Aus dieser Furcht ergibt sich eine konservative Ethik, eine Ethik der Zurückhaltung.
Porträt von Simone Miller.
Entschlossen handeln, um die Grundlagen des Lebens zu bewahren: Simone Miller.© Johanna Rübel
Auf Technologien, deren Folgen wir nicht abschätzen können, auf solche, die uns in einen Strudel der Konsequenzbewältigung reißen können, dürfen wir nicht länger setzen. Das Risiko ist schlicht zu hoch. Soweit Jonas.
Aber nicht nur einzelne Technologien sind das Problem, es ist unsere ganze Lebensform. Wir wissen das, aber wir handeln kaum danach. Was wir heute also brauchen ist ein neuer Konservatismus.

Das Paradox des Konservatismus

Wie verhält sich dieser neue, dieser von unserer Gegenwart gebotene Konservatismus zu dem, den wir schon lange kennen? Der politische Konservatismus steht heute vor einem Paradox: Im Kern geht es ihm um die Verteidigung des Altbewährten, manchmal sogar um die Wiederherstellung vergangener Ordnungen. Allein: Wenn wir heute rückwärts blicken, sehen wir auf eine Geschichte der Fortschrittsdoktrin zurück.
Technologische Revolution gepaart mit einem immer inklusiveren Wohlstandsversprechen – das ist der Geist der Moderne. Verstrickt darein der Konservatismus. Im Geleit des Fortschrittsgebots funktioniert er nur als Serie von Momentaufnahmen: Er bezieht sich immer auf die Bewahrung des Besitzstandes und der Geisteshaltung eines bestimmten historischen Augenblicks.

Neuer Konservatismus: das Leben bewahren

Wenn wir nun aber gerade vom Imperativ des unbedingten Fortschritts durch Technik und Wachstum abkommen müssen, dann verliert auch der Konservatismus sein Fundament. Das Altbewährte trägt nicht mehr. Nicht mehr der Blick zurück kann ihn leiten, sondern nur noch der Blick von vorn.
Dieser aus der Zukunft gerichtete Blick würde ihm ein neues Zentrum geben. Der Konservatismus muss sich auf das Leben selbst beziehen. Um seine Erhaltung kreisen. Dazu müsste er ein Konservatismus der großen Taten sein. Das ist das Seltsame daran. Um die Grundlagen des Lebens zu erhalten, müsste er sich trauen, große Veränderungen schnell herbeizuführen.
Wir alle müssten den Mut aufbringen, anders zu leben. Unsere eingeübten und liebgewonnenen Gewohnheiten allesamt auf den Prüfstand stellen, einige von ihnen opfern. Denn das ist wohl die zentrale Einsicht einer Ethik der Furcht: Bewahren heißt heute Verändern.

Simone Rosa Miller studierte Philosophie und Politikwissenschaft in Berlin, Buenos Aires und London. Sie ist Redakteurin und Moderatorin der Philosophiesendung "Sein und Streit" im Deutschlandfunk Kultur. Daneben schreibt sie als freie Autorin zu geisteswissenschaftlichen Themen und veröffentlicht Beiträge in der akademischen Philosophie.

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