Philosophin Nicole Karafyllis über die Ethik der Chimäre

Das Einreißen der Grenze

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Chimäre als handkolorierter Kupferstich aus Friedrich Justin Bertuchs Bilderbuch für Kinder, Weimar 1792.
Die Chimäre als handkolorierter Kupferstich von 1792: Ein Mischwesen aus Ziege, Löwe und Schlange. © imago / imageBROKER / Olaf Krüger
Im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
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Mit gezüchteten Mischwesen aus Mensch und Tier wollen Forscher aus Japan Organe produzieren – was in Europa Bedenken weckt. Die Philosophin Nicole Karafyllis erklärt, wie Religionen unsere ethischen Intuitionen beeinflussen.
Liane von Billerbeck: Japanische Forscher wollen sogenannte Chimären züchten, also Lebewesen, die teils Mensch, teils Tier sind, jedenfalls Bestandteile von beiden haben. Damit wollen sie langfristig Organe zur Transplantation herstellen, und entsprechende Forschungen sind jetzt genehmigt worden.
Die Meldung aus Japan, wo man ganz euphorisch ist, hat aber bei uns ganz heftige Abwehrreaktionen hervorgerufen. Man spricht von einem klaren ethischen Verstoß. Wir wollen darüber mit der Philosophin und Biologin Nicole Karafyllis sprechen, Professorin an der Uni Braunschweig. Welche Ursachen sehen Sie für diese so sehr unterschiedlichen Bewertungen der Chimärenforschung – Begeisterung auf der einen, Empörung auf der anderen Seite?
Karafyllis: Bei der Begeisterung denke ich erst mal, das ist eine technische Begeisterung, dass es überhaupt klappt. Das ist ja in der Biotechnologie gar nicht selten. Man hat da eine Grenze überschritten, technisch erfolgreich. Die Ethik kommt dann ins Spiel – erst mal die moralische Bewertung –, wenn man sagt: was bedeutet das jetzt für unser Leben? Und da ist es verständlich, dass Menschen Angst haben, dass die Grenze zwischen Tier und Mensch wirklich eingeebnet wird.
Das hat eine ganz lange Tradition, weil der Mensch als etwas verstanden wird, was von Gott erschaffen ist, und zwar in seiner eigenen Wesenheit – das ist die Spezies. Wenn man sagt, gut, aber als Ersatzteillager könnte man da eingreifen, dann stellt sich die Frage: Darf man das eigentlich? Das Laut-darüber-Nachdenken finde ich erst mal gut.

Das Problem der fehlenden Organpenden

von Billerbeck: In Japan gibt es auch eine Begeisterung für humanoide Roboter. Ist das ein vergleichbares Phänomen?
Karafyllis: Ich denke nein, weil es da eigentlich um Künstlichkeit geht, die man sich angucken kann, also wie bei den Zengärten. Da geht es um eine bestimmte Naturordnung, die wir so nicht haben. Ich bin keine Japanologin, aber ich würde erst mal nein sagen, weil hier haben wir es mit einem interuterinen Fall zu tun. Die Chimären, die da gezüchtet wurden, werden einem alltäglich ja gar nicht begegnen. Damit sind sie sozusagen auch aus der ästhetischen Sphäre raus.
Hier geht es eher darum, bis zu welchem Maße wir das Leben verzwecken wollen, und welche Gründe haben wir eigentlich dafür. Einer der Gründe, der genannt wird, heißt, es gibt nicht genügend menschliche Organspender. Das heißt, letzten Endes ist es ein gesellschaftliches Problem, was alle Industrieländer haben und wo wir uns eher damit beschäftigen sollen, warum wir so ungerne geben.

Wollen wir wirklich Gott spielen?

von Billerbeck: Der Begriff Cmhiäre geht zurück bis in die Antike. Welche Rolle haben diese Mischwesen denn bei den alten Griechen gespielt, und vor allem, hat das noch Einfluss auf uns?
Karafyllis: In der Antike sind wir in der Zeit vor dem Monotheismus, also es gibt viele Götter, und dadurch bringen die Götter in ihren verschiedenen Gestalten Pluralität in die Anschauung. Die Chimäre im wörtlichen Sinne, die ja Wolf, Ziege und Drache ist, die war eigentlich kein gutes Wesen. Sie wurde am Ende auch getötet – das darf man vielleicht auch mal erinnern. Die Wesen aber, in denen die Götter, auch Zeus selber, in Mischungen erscheinen, zeigen ja eine göttliche Macht. Die waren also nicht für den Menschen selbst bestimmt, sie sollten ihm nur die Anschauung bringen, dass die Götter Grenzen überschreiten können.
Und das ist die Frage, die sich hier für uns jetzt auch stellt: Wollen wir göttliche Elemente in der Schöpfung spielen? Das stellt die Biotechnologie schon ganz lange, da ist das jetzt nur ein zusätzliches Beispiel, ein experimentelles. Die Grundfrage ist immer gleich: Wie weit wollen wir gehen?

Religiöse Schranken, die ethisch wichtig sind

von Billerbeck: In anderen europäischen Ländern – nehmen wir zum Beispiel die Niederlande – ist die Ablehnung nicht so groß wie hier bei uns, da wird ja auch an Pflanzen Ähnliches möglich gemacht. Wie kommen diese Unterschiede zustande?
Karafyllis: Ja, ich würde sogar England noch höher stellen. Nach meiner Ansicht hängt es damit zusammen – wenn wir jetzt nur von Europa reden –, dass die eher protestantisch geprägten Länder eine viel stärkere Züchtungstradition haben. Das liegt daran, weil sie schon in der frühen Neuzeit, also etwa vor 500 Jahren, das Biologische mehr sexualisiert haben. Sie haben also auch nicht so klar gesagt, es gibt nur ein männlich zeugendes Agens.
Wir denken jetzt mal dran, dass hier auch mit Eizellen gearbeitet wird, das heißt, dass man überhaupt die gesamte Natur in Geschlechter auftrennen kann und dass man mit ihr arbeiten kann. Der Effekt ist ja, dass die Niederlande heute auch noch so erfolgreiche Pflanzenzüchter sind, wie man an den Tulpen sehen kann. Und in dieser Tradition des Züchtens fällt es natürlich leicht, weiter auszuprobieren.
Der andere Grund, den wir haben, ist, dass wir uns in letzter Zeit eigentlich immer mehr mit Spezies beschäftigen, auch in Bereichen, wo wir denken, die haben nichts miteinander zu tun – denken Sie mal an die Wolf-Debatte. Was dort debattiert wird, der Wolf und der Hund, da handelt es sich nur um eine Unterart, und trotzdem fordern ja viele Leute, dass jetzt, wo sich Hund und Wolf miteinander vermengen in der freien Wildbahn, dass man diese Wolfshunde töten soll.
Das heißt, wir haben ganz, ganz fest verwurzelte Einstellungen dazu, wo eine Grenze ist, und das befördert, sagen wir mal, religiöse Schranken, die ethisch auch wichtig sind, aber es kann natürlich auch zu Diskriminierungen führen. Und so erkläre ich mir die verschiedenen Meinungen, die es jetzt zu diesen Experimenten gibt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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