Petra Gehring: Über die Körperkraft von Sprache. Studien zum Sprechakt
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2019
201 Seiten, 24,95 Euro
„Worte können treffen wie ein Faustschlag“
34:58 Minuten
Kann Sprache eine Waffe sein? Ja, sagt Petra Gehring, es gibt verbale Attacken, die uns so tief verletzen, dass sie als physische Angriffe zu werten sind. Ihr neues Buch widmet die Philosophin der „Körperkraft der Sprache“.
Ein eskalierender Streit, der Eindruck, belogen oder verraten zu werden, der Moment, in dem Liebe in Hass umschlägt, weil zwei sich in einer Krise immer haltloser verrennen – in solchen Situationen können Worte besonders tief verletzen und lange nachwirkende Schäden anrichten. Dabei komme es gar nicht so sehr darauf an, was im Einzelnen gesagt werde, erklärt Petra Gehring im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur: "Die Wortbedeutung ist nicht das, was verletzt, sondern die Verletzungskraft liegt im Sprechakt selbst. Insofern können auch ganz harmlose Worte in einer Weise verwendet werden, dass sie einem Faustschlag gleichkommen."
Die Frage, inwiefern von Sprache buchstäblich physische Gewalt ausgehen kann, steht im Mittelpunkt von Gehrings aktuellem Buch. Als Philosophin an der TU Darmstadt hat sie unter anderem zu Technikphilosophie und Stadtforschung publiziert. Für den Band "Über die Körperkraft der Sprache" greift sie auch auf Erkenntnisse der Trauma-Therapie zurück: Gerade wenn es um die Behandlung von Traumata gehe, sagt Gering, lasse sich kaum sinnvoll "zwischen Körper und Erfahrung, Erinnertem, Sprachlichem, Erlebtem" unterscheiden.
"Worte können den Schlaf rauben, können krank machen, können etwas absterben lassen", schreibt Petra Gehring. Gerade wenn es um verletzende Sprechakte gehe, sei die Rede von der "Körperkraft der Sprache" ganz wörtlich zu nehmen: "Es sind Situationen, in denen jemand Sprache so einsetzt und/oder versteht, dass das Gesagte seinen erkennbar einzigen Sinn nur mehr darin hat, den anderen zu treffen."
Sprache als Waffe, Beleidigung, Verführung
Schon der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty räsonierte über eine "Ding-Sprache", die "den Wert einer Waffe, Handlung, Beleidigung und Verführung" annehmen könne. "Alles dies sind Fälle", so Gehring in ihrem Buch, "in denen die Rede tatsächlich den Körper treffen kann." Etwa, indem eine Beleidigung "den Körper des Gemeinten hochschnellen lässt oder ihn lähmt, wonach die Beleidigung dann gleichsam wie ein Projektil feststeckt."
Petra Gehrings Interesse gilt aber auch weniger dramatischen Szenarien, die eine enge Verflechtung von Sprache und Körper vor Augen führen: Anhand einer skandierenden Menge beobachtet sie, wie Lärm und Gleichtakt der rufenden Passanten abschrecken oder im Gegenteil mitreißen und dazu bewegen können, sich der Gruppe anzuschließen – ein Vorgang, bei dem emotionale Kräfte im Spiel sind, die über die skandierten Botschaften als solche weit hinausgehen.
Und zu unserem Umgang mit Notizzetteln bemerkt sie im Gespräch: "Da gibt es intensive Schnittstellen, wo gar nicht so klar ist: Wo endet jetzt das, was meine Hand tut, wenn sie notiert, das, was die Schrift tut, die sich da materialisiert, und das, was ich als Leserin tue, wenn ich darauf blicke und das wiederum aufnehme?"
Sorgfältiger Umgang mit öffentlicher Rede
Petra Gehrings Überlegungen zur "Körperkraft der Sprache" haben durchaus Konsequenzen für eine Philosophie der öffentlichen Rede. Von einer neuen Ethik für unseren Sprachgebrauch hält Gehring wenig, aber sie plädiert für einen bewussten und sorgfältigen Umgang mit Sprache:
"Wenn wir uns klar gemacht haben, wie welthaltig, wie wirksam und folgenreich Sprache ist, wenn das alles handlungshaft ist, wenn das auch Wirklichkeiten umschafft oder ihnen jeweils ihr Licht gibt, dann gilt es genau hinzusehen."
Außerdem in dieser Ausgabe von Sein und Streit:
Philosophischer Kommentar zur Ukraine-Wahl
Der 41-jährige Wolodymyr Selenskyj ist neuer Präsident der Ukraine. Als junger Außenseiter, ohne klares Programm, verkörpert er die Sehnsucht nach Veränderung - aber zugleich die Gefahr einer bloß symbolischen Befriedigung dieser Sehnsucht, kommentiert Dominik Erhard.
Philosophische Flaschenpost: Rosa Luxemburg und die Freiheit der Andersdenkenden
"Freiheit ist immer nur Freiheit des Andersdenkenden" - ein beinahe geflügeltes Wort der Revolutionärin Rosa Luxemburg. Aber wie genau war es gemeint, und was sagt es uns heute? Zum Beispiel, dass politische Freiheit nicht ohne ökonomische Gleichheit zu haben ist, interpretiert Bini Adamczak.