Philosophin über Evolution und Populismus

Aufstand der Alphamänner

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Illustration: Ein Neandertaler sitzt an einem Schreibtich und zeigt mit dem Finger auf den Bildschirm des Computers.
Wie stark steuert uns die Biologie? Publizisten des "Intellectual Dark Web" meinen, der Mensch sei mehr von Instinkten getrieben, als es den meisten lieb ist. © Getty Images/ fStop Images / Malte Müller
Rebekka Hufendiek im Gespräch mit Simone Miller |
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Legt die Natur unsere Geschlechterrollen fest? Publizisten polemisieren in den USA und Deutschland mit kruden Thesen gegen ein liberales Menschenbild. Das sei fachlich haltlos und politisch gefährlich, warnt die Philosophin Rebekka Hufendiek.
Ob Mensch oder Hummer, männliches Dominanzverhalten ist genetisch veranlagt, so sieht es der kanadische Psychologe und Bestsellerautor Jordan Peterson. Der Publizist, dessen Vorträge auch auf Internetplattformen ein Millionenpublikum erreichen, bezieht sich in seinen Empfehlungen für eine erfolgreiche Lebensführung gern auf Vorbilder aus der Biologie.

Hierarchie und Konkurrenz als biologisches Erbe

Wie ein männlicher Hummer zeitlebens unter dem Druck stehe, sich gegen Konkurrenten durchzusetzen, müssten auch junge Männer, an die sich Petersons Ratschläge vorzugsweise richten, ihrer biologischen Bestimmung folgen und alles daran setzen, ihre Position in der Hierarchie zu erringen, von der jede menschliche Gesellschaft nun mal geprägt sei – und zwar von Natur aus, infolge der viele Millionen Jahre zurück reichenden Evolution des Menschen.
Mit Thesen dieser Art sei Peterson zum prominenten Vertreter einer Bewegung geworden, die extrem rückwärtsgewandte Ideen zur Ordnung der Gesellschaft und den Rollen der Geschlechter verbreite und sich dabei auf Evolutionsbiologie und -psychologie berufe, sagt die Philosophin und Wissenschaftstheoretikerin Rebekka Hufendiek von der Universität Bern.

Selbsternannte Kämpfer gegen einen "linken Mainstream"

Peterson und ähnlich gesinnte Intellektuelle des US-amerikanischen "Intellectual Dark Web", aber auch einige deutsche Akademiker nähmen für sich in Anspruch, im Namen der Wissenschaft gegen einen angeblich ideologie-verzerrten linken Mainstream zu kämpfen, erklärt Hufendiek: Sie lehnten die Auffassung ab, dass gesellschaftliche Verhältnisse und geschlechtliche Identitäten in hohem Maße sozial konstruiert sind, und führten dagegen vermeintlich unveränderliche genetische Dispositionen ins Feld.
Auch der deutsche Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera plädiert in diesem Sinne dafür, dass "Politiker die biologischen Grundlagen des Menschseins bei allen Entscheidungen berücksichtigen". In einem Interview mit dem privaten katholischen Internetportal kath.net sprach sich Kutschera zum Beispiel dagegen aus, dass gleichgeschlechtliche Paare das Recht erhalten, Kinder zu adoptieren.

Künstlicher Gegensatz von Biologie und Gender Studies

Dabei argumentierte er, dass in homosexuellen Partnerschaften ein erhöhtes Risiko von sexuellen Übergriffen auf die Adoptivkinder bestünde, weil ein genetisch verankertes Tabu in solchen Familienkonstellationen versage: "Eine instinktive Inzucht-Abscheu existiert hier nicht." Gegen ein Gerichtsurteil wegen Beleidigung Homosexueller, das auf das Interview Bezug nahm, hat Kutschera im Sommer 2020 Berufung eingelegt.
Wiederholt attackierte Ulrich Kutschera auch die Gender Studies, die Idee einer sozialen Prägung der Geschlechter sei mit der Evolutionsbiologie unvereinbar: "Die Gender-Lehre und die damit verbundene Sicht, dass der Mensch sich selbst konstruieren kann, dass die Politik sich die Menschen zurechtbiegen kann, wie sie es gerade möchte, das alles ignoriert die Tatsache der Evolution."
Porträt von Dr. Rebekka Hufendiek.
Die Philosophin Rebekka Hufendiek© Wissenschaftskolleg Greifswald
Mit dieser Haltung, Natur- und Geisteswissenschaften gegeneinander in Stellung zu bringen, stehe Kutschera nicht allein, sagt Rebekka Hufendiek. Gerade wenn es um Forschungen zur Evolution des Menschen gehe, sei dies jedoch besonders abwegig, denn diese beträfen von jeher "ein interdisziplinäres Feld, in dem eben nicht nur natürliche Selektion und genetische Vererbung eine Rolle spielen, sondern auch kulturelle Evolution und Weitergabe von Verhaltensmustern."

Trügerische Allianz des "Natürlichen" und "Guten"

In der seriösen Forschung auf diesem Gebiet werde keine strikte Gegenüberstellung von genetisch erworbenen und sozial konstruierten Merkmalen vorgenommen, vielmehr würden "komplexe Wechselverhältnisse" zwischen beiden Ebenen beschrieben. Dabei stehe Kutschera, ebenso wie Peterson und andere Publizisten, welche diese Polarisierung von Natur versus Kultur betrieben, der empirischen Forschung zur Evolution des Menschen eher fern und publiziere in der akademischen Welt gar nicht zu diesem Thema.
Dennoch verfehle die Berufung der Autoren auf "exakte Wissenschaft" oder unsere "wahre Menschennatur" nicht ihre Wirkung, sagt Hufendiek, denn unser Alltagsdenken sei von der stillschweigenden Annahme geprägt, dass zwischen dem "Normalen", "Natürlichen" und "Guten" ein verlässlicher Zusammenhang bestehe.

Der Ruf nach Natur ersetzt keine Ethik

Diese Überzeugung mache uns anfällig für einen Irrtum, der in der Philosophie als "essentialistischer Fehlschluss" bezeichnet wird: Aus der Tatsache, dass etwas in der Natur vorkomme, werde unzulässig gefolgert, dass wir es nicht verändern könnten – und auch nicht verändern sollten. Doch allein aus der Feststellung, dass ein menschliches Merkmal "natürlich" sei, ließen sich solche Schlüsse gar nicht ziehen, betont Hufendiek. Vielmehr werfe diese relativ vage Aussage weitere Fragen auf:
"Ist damit gemeint, dass dieses Merkmal genetisch erworben ist? Ist gemeint, dass es bei allen Menschen vorhanden ist? Hat dieses Merkmal eine evolutionäre Funktion? Das sind die Fragen, die in der Wissenschaft bestimmend sind. Und wenn man sich eine davon herauspickt, sieht man sofort, dass aus der Tatsache, dass ein Merkmal genetisch determiniert ist, noch überhaupt nicht folgt, dass wir es nicht ändern können – darin sind wir mittlerweile ja recht gut – und erst recht nicht, dass wir es nicht ändern sollten, denn wir manipulieren ja nun an unserer 'Natur' die ganze Zeit, und in vielen Bereichen ist das relativ unkontrovers. In anderen ist es kontroverser, aber das sind eben politische und ethische Debatten, und der Bezug auf 'biologische Fakten' hilft einem da relativ wenig."
Wenn populistischen Autoren im Hinblick auf Geschlechterbilder lange überkommene "man muss ja fast sagen, Zombie-Ideen" aus der Schublade holten, so Rebekka Hufendiek, komme es umso mehr darauf an, immer wieder geduldig zu erklären, "warum das keine 'biologischen Fakten' sind, die wir da vor uns haben, was die politischen Implikationen sind, und warum diese Positionen wissenschaftlich haltlos und politisch wenig wünschenswert sind."

Gegenrede mit Witz und Tiefgang

Ermutigend erscheinen Hufendiek dabei manche Versuche, Publizisten wie Jordan Peterson gerade dort entgegenzutreten, wo sie besonders große Resonanz erfahren: in den sozialen Medien. So habe sich etwa die Video-Essayistin Natalie Wynn via YouTube kritisch mit Peterson auseinandergesetzt und auf humorvolle Weise dessen Fehlschlüsse entlarvt:
"Ich finde das speziell interessant, weil Natalie Wynn Transfrau ist, die da in glamourösesten Kostümen auftritt und zum einen auf intellektuell sehr hohem Niveau argumentiert, einen sehr langen und komplexen Vortrag hält, und gleichzeitig in den schrillsten Kostümen als 'Lobster Queen' unterwegs ist, um gegen Jordan Petersons Idee von der Hierarchie und von den Hummern zu argumentieren."
Das Maß an Kreativität und Witz, mit dem Wynn dabei zu Werke gehe, wirke enorm inspirierend, sagt Rebekka Hufendiek, und werfe im Übrigen die Frage auf, "ob man sich bei der Demaskierung von Verschwörungstheorien nicht auch mal ordentlich in Schale werfen muss".
(fka)

Rebekka Hufendiek: "Die Entstehung der Moral, der Begriff der Moral und die Natur des Menschen. Begriffliche Vorannahmen und normative Implikationen in Michael Tomasellos A Natural History of Morality"
In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 73 (2), 2019

Rebekka Hufendiek, Daniel James, Raphael van Riel (Hgg.): "Social Functions in Philosophy: Metaphysical, Normative, and Methodological Perspectives"
Routledge, New York 2020
262 Seiten, ca. 100 Euro

Außerdem in dieser Ausgabe von Sein und Streit:

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