Christian Schüle, 49, hat in München und Wien Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaft studiert, war Redakteur der "Zeit" und lebt als freier Schriftsteller und Publizist in Hamburg. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Roman "Das Ende unserer Tage" (Klett-Cotta). Seit 2015 ist er Lehrbeauftragter im Bereich Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.
Albert Camus als geistiger Pate der Klimaproteste
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Albert Camus wusste: Die Freiheit von morgen verteidigen wir heute. Nachzulesen ist das in Camus Werk "Der Mensch in der Revolte". Vor 60 Jahren starb er, doch noch immer ist er ein Denker der Stunde, meint Christian Schüle.
"Die wahre Großzügigkeit gegenüber der Zukunft besteht darin, alles der Gegenwart zu geben", so schreibt Albert Camus in seinem philosophischen Hauptwerk "Der Mensch in der Revolte" von 1951. Camus definiert den freien Menschen darin als "Revoltierenden". Die Revolte grenzt er dabei ausdrücklich von der gewaltsamen Revolution ab, betont der Publizist Christian Schüle: "Die Revolte heißt sein geradezu tägliches Aufbegehren gegen den Nihilismus – die Verneinung des Lebens durch Ideologien, Mythen und vor allem durch Kräfte, die durch nichts gerechtfertigt sind als durch Gewalt."
Aufbegehren statt Pläne schmieden
Vor dem Hintergrund der beiden großen Ideologien des 20. Jahrhunderts – Faschismus und Stalinismus – habe Camus einen Vorbehalt gegen allzu "abstrakte Denksysteme" und selbstbewusste Utopien entwickelt. Sein Denken sei stattdessen ganz "auf die Gegenwart gerichtet".
Doch rede er damit keineswegs einer verantwortungslosen Zukunftsvergessenheit das Wort, sein Denken drehe sich vielmehr darum, im Hier und Jetzt die Voraussetzungen künftiger Freiheit zu verteidigen, führt Schüle aus. Das größte "Geschenk an die Zukunft" sehe Camus also nicht im abstrakten Pläneschmieden, sondern darin, uns gegen Gewaltverhältnisse und Ideologien zu wenden und zwar "in Solidarität mit allen anderen Menschen".
Revolte gegen das Konsumverhalten
Im Kampf gegen den Klimawandel erkennt Schüle ein aktuelles Beispiel für diese Form der solidarischen Revolte: "Natürlich ist das der Versuch, aufzubegehren in der Gegenwart, um für die Zukunft bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Durch den Klimawandel gibt es Hunger, Katastrophen, verschwinden die Inseln, werden die Lebensgrundlagen der Menschen irgendwann tatsächlich vernichtet."
Der Versuch, das eigene Konsumverhalten umzustellen, meint Schüle, lässt sich in diesem Sinne als "geistiges Aufbegehren" verstehen gegen eine Wirtschaftspolitik, die den Klimawandel mit bedingt. "Das heißt, Fridays for Future wären die Menschen in der Revolte 2019/2020. Insofern wäre Camus auch der geistige Pate der Klimawandel-Demonstrationen."