Wang Yangming über Verstehen und Handeln
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Wer Kritik an zu zögerlicher Klimapolitik äußert, unterstreicht das oft mit einem Zitat des chinesischen Philosophen Wang Yangming: "Wer verstanden hat und nicht handelt, hat nicht verstanden." Wie war es gemeint und was sagt es uns heute?
Wang Yangming, der von 1472 bis 1529 lebte, sei "einer der beiden wichtigsten Philosophen des 2. Jahrtausends in China": Bis heute präge sein Denken nicht nur die chinesische, sondern auch die japanische Kultur, sagt Hans van Ess, Professor für Sinologie an der LMU München.
Auch in Deutschland hat zumindest ein Zitat des chinesischen Denkers inzwischen eine gewisse Bekanntheit erlangt: "Wer verstanden hat und nicht handelt, hat nicht verstanden." In jüngster Zeit konnte man das Zitat etwa auf Klimademonstrationen entdecken – als philosophisch untermauerte Kritik an einer zu zögerlichen Klimapolitik.
An den Dingen lernen, die man tut
Aber wie war das Zitat ursprünglich gemeint? Dazu muss man sich den historischen Kontext im China des 15. Jahrhunderts vorstellen: In der Ausbildung von Staatsdienern habe damals die Überzeugung vorgeherrscht, dass diese erst dann in der Verwaltung arbeiten dürften, wenn sie die Welt und die Dinge "gründlichst verstanden" hätten, so van Ess. Allerdings habe diese Forderung "dazu geführt, dass das Bücherlernen von der Praxis abgelenkt hat", was zu großen Problemen in China geführt habe.
Gegen diese Überbetonung des Verstehens vor dem Handeln habe sich der Satz von Wang Yangming gerichtet: "Er vertrat die Meinung, dass Wissen und Handeln Hand in Hand gehen müssen; dass man also an den Dingen, die man tut, lernen soll und nicht einfach die ganze Zeit nur Bücher studieren."
Zwar gehöre zum Handeln auch bei Wang Yangming eine Grundlage: "Handeln geht nur dann, wenn man etwas wirklich verstanden hat. Aber man darf nicht immer darauf hoffen, noch viel, viel mehr zu verstehen, bevor man irgendwann mal loslegt."
Mittelweg zwischen Verstehen und Handeln
Als Befürworter eines reinen Aktivismus sei Wang Yangming für Hans van Ess eher nicht zu verstehen, denn ihm gehe es gerade "um einen guten Mittelweg" zwischen Verstehen und Handeln. Für die Gegenwart sieht van Ess darin eine zweifache Lektion: Einerseits dürfe man sich nicht "von halbverstandenen Ideologien dazu verleiten lassen", Dinge zu tun, die am Ende womöglich mehr schaden als nutzen. "Aber umgekehrt kann man auch nicht ständig warten, bis Probleme in der Theorie gelöst sind, und glauben, dass andere einem auf diese Weise den lästigen Zwang abnehmen, selber mal was zu tun."
Die zentrale Erkenntnis von Wang Yangming formuliert van Ess folgendermaßen: "Irgendwann sollte man verstanden haben, dass man genug verstanden hat, um zu handeln."