Philosophische Orte

Frankfurter Dispute im Café Laumer

06:17 Minuten
Menschen sitzen im Café Laumer an runden Marmortischen auf dunklen Holzstühlen.
Intellektueller Treffpunkt über viele Jahrzehnte: das Café Laumer in Frankfurt am Main. © picture-alliance / Dumont Bildarchiv / Sabine Lubenow
Von Gerd Michalek |
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Im Frankfurter Café Laumer stritten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer mit Widersachern über neue Wege für die Soziologie. Schon in den 1920er-Jahren war das Lokal ein intellektueller Treffpunkt. Zur Zeit der Studentenproteste lebte es wieder auf.
Von außen wirkt das Café Laumer in Frankfurt am Main sehr charmant: Das gelb gestrichene Haus, Baujahr 1919, besitzt in der Mitte ein Türmchen mit schmiedeeisernem Balkon. Vor der Treppe zum Eingang eine handbeschriebene Tafel: „Frühstück Horkheimer“ – mit Bratkartoffeln, Speck, Schafskäse und Tomaten.

Favorit à la carte: das „Frühstück Horkheimer“

Ich betrete das Café und frage Elisa Dobrica vom Serviceteam nach Gerichten mit Philosophennamen. "Adorno war hier, wie gesagt der Habermas, den habe ich bedient", erinnert sich Dobrica. "Da hatten wir die ganzen Frühstücke nach Philosophen benannt. Das hat sich geändert, es ist nur noch Horkheimer übrig, weil das am liebsten von den Gästen gegessen wird."
Im Café bin ich mit Dieter Wesp verabredet. Der 68-jährige Stadtführer erklärt, warum bereits in den 1930er-Jahren viele Professoren gern ins Café Laumer gingen:
"Sicherlich war am wichtigsten, dass das Café Laumer hier mitten im Westend liegt und damit ganz nah zur Universität. Frankfurt bekommt erst relativ spät – 1914 – eine Universität. Die Wohnorte vieler Professoren waren hier im Westend und insofern war das Café Laumer zu Fuß ganz einfach zu erreichen. Es gab in den Erinnerungen der Zeitgenossen Diskussionszirkel, in denen über alle politischen Themen, die anstanden, zum Teil lebhaft diskutiert wurde, über neue Bücher, über Berufungen."

Meinungskampf an Marmortischchen

Wesp öffnet sein Laptop und zeigt mir 92 Jahre alte Fotos: "Wir haben Fotos von der später berühmt gewordenen Fotografin Gisèle Freund, die hier in Frankfurt bei Karl Mannheim Soziologie studiert. Die hat im Café Laumer, in dem wir gerade sitzen, Fotos gemacht. Man kann Karl Mannheim im Kreise seiner Studenten sehen. Man sieht auch Norbert Elias, seinen Assistenten, und es sind genau die gleichen Marmortischchen, an denen wir im Moment sitzen."

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An den runden Marmortischchen saßen – nach ihren Vorlesungen – auch die berühmten Denker der sogenannten Frankfurter Schule: Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Ihr Projekt: Gesellschaftskritik im Anschluss an Karl Marx und gestützt auf Freuds Psychoanalyse. Damit standen sie im Widerstreit mit anderen Soziologen, die ebenfalls in Frankfurt lehrten. Folglich ging es auch im Cafè Laumer oft hoch her.

Angriffslust und intellektuelle Freundschaft

"Adorno schreibt in seinen Erinnerungen: 'Wir sind oft wie die wilden Tiere übereinander hergefallen. Man kann sich das kaum vorstellen, in einer Rückhaltlosigkeit, die auch in den schärfsten Angriffen auf den anderen, dass er ideologisch sei und auch umgekehrt, dass er bodenlos dächte, oder was immer das war, nicht halt gemacht hat, aber ohne, dass es der Freundschaft den leisesten Abtrag getan hätte.'"
Ein markanter Gegenspieler der Frankfurter Schule: der 1897 in Budapest geborene Karl Mannheim. Er wird Ende der 1920er-Jahre zu einer Art "shooting star" der deutschen Soziologie.
Sein Plan: Eine neuartige auf "Denkstile" ausgerichtete Soziologie zu etablieren: die Wissenssoziologie. Dabei vertritt Mannheim einen "totalen Ideologiebegriff", der besagt, dass alles Denken standortgebunden, also "perspektivisch" sei.
"Das ist für Horkheimer und Adorno nicht akzeptabel", erklärt Wesp, "aus ihrer Sicht gibt Mannheim damit den Anspruch auf Wahrheit auf. Wenn jedes Denken ideologisch ist, auch das marxistische, dann greift allgemein der Relativismus Platz. Das ist für die kritische Theorie nicht zu akzeptieren, sie wollen im Unterschied zu Karl Mannheim, der Bewusstseinskritik macht, auf Gesellschaftskritik hinaus."

Nach 1933 bleiben viele Stühle leer

Ausdiskutiert wird Mannheims selbstreflexiver Ansatz schon deshalb nicht, weil seine Professur nach nur drei Jahren endet: 1933. Da ergreifen die Nationalsozialisten die Macht und schließen aus politischen wie rassistischen Gründen das "Institut für Sozialforschung". Die jüdischstämmigen Adorno, Horkheimer und Mannheim werden zur Emigration gezwungen.
Bereits 1947 stirbt Karl Mannheim im britischen Exil, während Adorno und Horkheimer 1950 aus den USA nach Frankfurt am Main zurückkehren. Ihr vom Krieg zerstörtes Institut wird wieder aufgebaut.
Der Kreis schließt sich: Das Café Laumer wird wieder – wie vor dem Krieg – ein Intellektuellen-Treffpunkt und bleibt es auch zurzeit der Studentenproteste der 68er-Generation: "Die linken Studenten verkehren hier, das Café hatte zeitweilig den Spitznamen Café Marx", sagt Wesp. "Hier verkehrten auch die Protagonisten des SDS."
Die Besucher, die heute ins Café Laumer kommen, suchen hingegen weniger aktuelle Debatten als die Spuren der Vergangenheit, sagt Inhaber Dimitrios Kalyvas: "Die Historie, alles was hier schon geschehen ist. Das Café ist berühmt und alle reden von früher: 'Ich war mit meinem Opa, mit meiner Oma hier!'"
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