Philosophische Orte

Hegels Schreibtisch

04:59 Minuten
Der kleine Holzschreibtisch steht an der Wand neben der Büste seines ehemaligen Besitzers, dem Philosophen Hegel.
Sachlich, schmal, schlicht: Hegels Schreibtisch in der Humboldt-Universität. © Matthias Heyde
Von Florian Werner |
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Unsterbliche Werke wurden auf seinem Holz zu Papier gebracht. Heute steht Hegels Schreibtisch in der Berliner Humboldt-Universität. Das war aber nicht immer so. Seine Geschichte erzählt von Umwegen und Empörungen.
Das Hauptgebäude der Humboldt-Universität, Unter den Linden in Berlin. Hier, in der dritten Etage, befindet sich das Büro von Professorin Rahel Jaeggi. Und in diesem Zimmer, gleich rechter Hand unter einem Poster von Mark Rothko, befindet sich eines der sagenumwobensten Möbelstücke der deutschen Philosophiegeschichte: der Schreibtisch von Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

Von diesem Tisch kann nichts herunterfallen

Eigentlich ein unscheinbares Möbel: furniertes Mahagoni, kaum mehr als einen Meter breit. Links und rechts der Tischplatte sowie an der Rückseite befindet sich eine handhohe Umrandung, damit nichts herunterfallen kann.
"Der ist ja vergleichsweise schmal, vergleichsweise schlicht, also nicht so ein großer, voluminöser, alter, wuchtiger Tisch, sondern eigentlich sachlich, schmal, schlicht. Ich finde, der hat was eher Bescheidenes, das ich auch angenehm finde", sagt Rahel Jaeggi.
Da Jaeggi eine Vertreterin der Kritischen Theorie ist, passt die räumliche Nähe zum Hegelschen Schreibtisch ganz gut. Aber: Passt der Schreibtisch auch zu Hegel, Frau Jaeggi?

Schlichte Möbel für kreatives Chaos

"Sollte es überhaupt so sein, dass er sich den bewusst ausgesucht hat – hat machen lassen, vermutlich ja eher, man hat ja damals seine Möbel weniger im Möbelhaus geholt und auch nicht bei IKEA mitgenommen und sich zusammengesetzt – also, nehmen wir an, er hätte ihn sich relativ bewusst ausgesucht, dann würde ich schon sagen, dass die Sachlichkeit, der Verzicht auf das Überladene dabei, etwas über ihn aussagt."
Wobei der Schreibtisch, bei aller eigenen Schlichtheit, durchaus überladen sein konnte. Auf einer Lithographie von Ludwig Sebbers sieht man Hegel in seinem Arbeitszimmer: Hinter ihm an der Wand steht der Tisch, ist über und über mit Büchern bedeckt. Ein auf der Platte stehender Regalaufsatz bietet Platz für weitere Werke, dazwischen lose, halbzerknüllte Blätter - kreatives Chaos.

"Unwürdige Dienste" im Frauen-Krankenhaus

Nach Hegels Tod kam der Schreibtisch in den Besitz der heutigen Elisabeth-Klinik in Berlin-Schöneberg, wo die Witwe des Philosophen ehrenamtlich tätig war. Allerdings gingen die mit dem Erbstück betrauten Diakonissen offenbar wenig respektvoll mit ihm um. So notierte das "Morgenblatt für gebildete Leser" 1843 unter der Überschrift "Hegels Schreibtisch":
"Wie Ihre Leser wissen werden, klagten Hegels Verehrer in den Zeitungen, daß sein Tisch, auf dem er unsterbliche Werke geschrieben, in der Speisekammer des sehr verdienstvollen hiesigen Frauenkrankenvereins als Vorlege- und Küchentisch seiner unwürdige Dienste verrichte. Man forderte alle Jünger des Philosophen auf, ihn durch gemeinschaftliche Beiträge von der Schmach zu erlösen."

Symbolisches Schicksal für die ganze Hegel-Schule?

Wobei nicht alle Zeitgenossen dem Möbel solche Bedeutung zumaßen – im Gegenteil: "Andere sehen in seinem jetzigen Dienst eine Sühne für das, was er vordem versündigt. Noch Andere verspotteten Hegels Schüler, daß sie um das Unwesentliche so viel Lärm machten, und fanden in dem Faktum wohl ein Symbol des Schicksals der ganzen Hegelschen Schule, die den Geist des Meisters verlassen habe und in einem Formenspiel sich gefalle."
Seit Mitte der Neunzigerjahre steht der Schreibtisch nun, als Leihgabe der Elisabeth-Klinik, wieder in der Humboldt-Universität. Eine Besonderheit hat das unscheinbare Möbel aber doch: Unterhalb der Schreibtischplatte befinden sich fünf Schubladen, von denen zwei lediglich Attrappen sind und die anderen lassen sich nur mit äußerster Mühe öffnen.

200 Jahre Geschichte, aber leider kein Geheimversteck

Hat man es schließlich geschafft, dann findet man - nichts. Ein paar Rotweinflecken. Geruch von zweihundert Jahre altem Mahagoni. Aber, wie auch Rahel Jaeggi feststellen musste: leider kein Hinweis darauf, wie die mutmaßlich an diesem Tisch entstandenen Werke zu verstehen sind.
"Er hat eben diese Schubladen. Ich habe schon die Schubladen mal aufgemacht, um zu sehen, ob da irgendwo noch ein Geheimversteck ist, ob man irgendwo ein kleines Büchlein, einen Zettel findet, auf dem der Schlüssel zum Hegel'schen Werk sich verbirgt. Aber da ist tatsächlich nichts zu finden. Im Grunde deutet nichts darauf hin, dass er und wie er und was er daran gearbeitet hat."
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