Philosophische Orte

Voltaire zu Besuch in Sanssouci

05:53 Minuten
“Friedrich II. und Voltaire” im Park von Sanssouci. Ein Holzstich von 1857, nach Zeichnung von Wilhelm Camphausen ( spätere Kolorierung).
Dichter und Lenker: Voltaire und Friedrich II. in angeregtem Austausch. © akg-images
Von Christian Berndt |
Audio herunterladen
Auf Einladung Friedrichs II. verbringt der französische Philosoph Voltaire einige Zeit auf Schloss Sanssouci. Der Preußenkönig steht im Austausch mit führenden Köpfen der Aufklärung. Doch mit seinem Militarismus bringt er seinen Gast gegen sich auf.
Ein schmuckloser, enger Gang führt zur kleinen, aber wunderschönen Bibliothek. Innen erstrahlt das runde Zimmer in hellem Holz, oberhalb der Regale leuchten Bronzereliefs. Die Bibliothek war der Rückzugsraum des Königs von Preußen, direkt neben seinen Privatgemächern.

Zuflucht in der Welt der Bücher

"Und als dann Voltaire Friedrich 1750 hier tatsächlich in Sanssouci aufsuchte und sich hier einige Zeit aufhielt, haben sie hier zusammen gearbeitet", erzählt der Verleger und Autor Bernd Erhard Fischer, der in seiner Publikationsreihe "Menschen und Orte" die Schrift "Voltaire in Sanssouci" herausgebracht hat.
Schloss Sanssouci hatte Friedrich II. nahe Potsdam errichten lassen, um vor dem Hofleben zu fliehen. Voltaire schrieb, er habe mit Friedrich jeden Tag zwei Stunden in der Bibliothek verbracht – was Fischer bezweifelt:
"Friedrich wird gar nicht die Zeit gehabt haben, weil er ja von seinen Amtsgeschäften sehr eingebunden war. Deshalb war ja auch vieles, was an Kommunikation lief, an diese legendären Zettel gebunden, die sie sich immer geschickt haben, mit philosophischen Ideen, aber auch mit Scherzen, Gedichten, allem Möglichen."

Hoffnung auf eine Herrschaft der Vernunft

Voltaires Zimmer lag genau auf der anderen Seite des kleinen, aber prächtigen Schlosses und bot direkten Zugang zur Terrasse mit ihrem malerischen Ausblick auf den Weinberg. Friedrich war es gelungen, mit Voltaire den berühmtesten Intellektuellen seiner Zeit anzulocken.
Bereits als Kronprinz hatte Friedrich brieflich Kontakt mit Voltaire aufgenommen. Der hochgebildete Prinz las die Schriften französischer Aufklärer und ließ von Voltaire seinen "Antimachiavel" korrigieren. In dieser programmatischen Schrift entwarf Friedrich das Ideal einer von humaner Vernunft geleiteten Herrschaft. Voltaire versprach sich von Friedrichs Regierungsantritt 1740 den Beginn eines neuen Zeitalters.
Voltaire in seinem Arbeitszimmer in Sanssouci, gemalt von August Borckmann 1874.
Prachtvolle Gemächer: Voltaire in seinem Arbeitszimmer in Sanssouci.© akg-images
"Voltaire selbst hielt Friedrich für die Fackel der Aufklärung", sagt Bernd Erhard Fischer, "er hat ihn auch so tituliert in der Zeit."
Friedrichs Regentschaft startet auch vielversprechend – gegen heftigen Protest der Justiz, aber unter Jubel von Philosophen lässt Friedrich die Folter weitgehend abschaffen und die Zensur lockern. Doch zugleich beginnt er kurz nach Regierungsantritt einen skrupellosen Angriffskrieg.

Brillante Köpfe im Marmorsaal

Voltaire schreibt ihm entsetzt: "Werden Sie denn niemals aufhören, Sie und Ihre Amtsbrüder, die Könige, diese Erde zu verwüsten, die Sie – sagen Sie – so gerne glücklich machen wollen?"
Es gibt erste Verstimmungen zwischen Voltaire und Friedrich. Trotzdem hält der Kontakt, und 1750 folgt Voltaire, dessen religionskritische Schriften in Frankreich verboten sind, Friedrichs fast flehenden Einladungen, an seinen Hof zu kommen.
Bernd Erhard Fischer geht voran in den, wie er sagt, "legendären Marmorsaal" von Sanssouci: "Friedrich umgab sich da mit allen möglichen großen Geistern und auch illustren Schriftstellern, das waren jetzt nicht alles Wissenschaftler, und selbstverständlich schmückte er sich dort mit Voltaire."
Eine große Fontäne fügt sich im Schlosspark Sanssouci harmonisch in die Parklandschaft.
Der Schlosspark Sanssouci begeistert Besucherinnen und Besucher auch heute noch.© picture alliance / CHROMORANGE / Karl-Heinz Spremberg
Zu Friedrichs geistreicher Runde im prunkvollen Marmorsaal zählen avantgardistische Freigeister wie der radikale Materialist Julien de La Mettrie, den man sogar aus den liberalen Niederlanden verjagt hatte. In Preußen veröffentlicht er revolutionäre Schriften, in denen er sogar für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Liebe eintritt.

Widerstand zwecklos, Spotten erlaubt

Nicht nur das gefällt Friedrich, er teilt auch die radikale Religionskritik seiner Gäste. Was allerdings seinen absolutistischen Herrschaftsanspruch angeht, verbittet er sich Einmischung. Mit Voltaire gerät der König immer wieder aneinander, weil der Friedrichs kriegerische Machtpolitik offen als Widerspruch zu seinen aufgeklärten Idealen kritisiert.
Bernd Erhard Fischer greift ein markantes Zitat aus diesem Streit heraus: "'Und man wird dann sehen', sagt Friedrich, 'dass Ihre Werke es zwar verdienen, dass man Ihnen zu Ehren Statuen aufstellt, Ihr Verhalten es jedoch verdient, dass man Sie in Ketten legt'."
Nach drei Jahren verlässt Voltaire Preußen. Trotzdem bleiben beide lebenslang Brieffreunde, und Friedrich nimmt es Voltaire auch nicht übel, dass der in seinen Memoiren über Friedrichs erotische Treffen mit jungen Soldaten plaudert. Friedrich war ein Autokrat, aber persönlich unempfindlich gegenüber Kritik. Für ihn zählte nur die Staatsraison, man durfte ihn verspotten, aber sollte gehorchen.

Royales Asyl für einen radikalen Denker

Während seiner Herrschaft entstand eine lebendige Öffentlichkeit, Preußen wurde für die Freiheit des Denkens gerühmt - aber Friedrichs Regime als despotisch verdammt. Dieser Widerspruch zwischen Geist und Macht sollte Preußen fatal prägen.
Friedrich hielt am Ideal des aufgeklärten Alleinherrschers fest und kritisierte junge Aufklärer wie Rousseau, die nicht mehr nur die Autorität der Kirche, sondern auch die der Könige angriffen. Aber auch wenn Friedrich in Rousseau einen Umstürzler sah, offerierte er dem Verfolgten Asyl. Eine Haltung, die ihresgleichen suchte.
Mehr zum Thema