Philosophischer Kommentar zu Attac

Was heißt hier eigentlich gemeinnützig?

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In Frankfurt demonstrieren 2018 Attac-Mitglieder unter anderem gegen Geschäfte der Deutschen Bank in Steueroasen, Gewinnverschiebung und Steuerhinterziehung.
In Frankfurt demonstrieren 2018 Attac-Mitglieder unter anderem gegen Geschäfte der Deutschen Bank in Steueroasen, Gewinnverschiebung und Steuerhinterziehung. © imago stock&people
Von Eva Marlene Hausteiner |
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Attac ist nicht gemeinnützig, das hat der Bundesfinanzhof geurteilt. Ohne Gemeinnützigkeit auch keine Steuervorteile für die globalisierungskritische Organisation. Aber was heißt "gemeinnützig" und wird die Idee hier richtig ausgelegt?
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofes, Attac als nicht gemeinnützig einzustufen, ist an sich rein fiskalischer Natur. Doch die deutsche Abgabenordnung, genau gesagt Paragraph 52 hat es aus politikphilosophischer Perspektive in sich: Gemeinnützig sei eine Organisation nämlich, wenn ihre "Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern". Worin aber besteht die Förderung der Allgemeinheit?
Die Idee, dass sich Politik am Gemeinwohl orientieren soll, durchzieht das politische Denken seit Platon. Umstritten ist aber erstens, wer dieses Gemeinwohl erkennen und gestalten kann – eine Elite von Experten (wie eben bei Platon), der Fürst – oder die Bürgerinnen und Bürger? Zweitens wird anhaltend darüber debattiert, wie dieses Gemeinwohl inhaltlich zu bestimmen sei: Geht es um Wohlstand, Sicherheit, Freiheit oder um die Zufriedenheit von manchen, vielen oder allen?

Gemeinwohl versus partikulare Interessen

Besonders zentral ist die Idee des Gemeinwohls für das republikanische Denken – eine Tradition, die nicht zuletzt an Aristoteles anschließt. Hier steht das Gemeinwohl dem liberalen Begriff des Interesses gegenüber: Das Gemeinwohl erschöpft sich eben nicht darin, Wünsche und Bedürfnisse von Individuen zu erfüllen. Es ist aber auch nicht unbedingt gleichbedeutend mit dem, was der englische Utilitarist Jeremy Bentham als Gesamtnutzen bezeichnete, also dem größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl an Personen.
Das Gemeinwohl ist mehr als die Summe seiner Teile, die Gemeinschaft selbst ist von Wert: Hier nämlich können die Bürgerinnen und Bürger frei agieren, hier können sie politisch aktiv sein. Teil des Gemeinwohls ist also auch die Vitalität des Gemeinwesens selbst. Sicherheit und Wohlstand spielen dabei durchaus eine Rolle, aber Gemeinwohl schließt eben auch ein, dass es nicht nur um die Wünsche der Einzelnen, um Partikularinteressen geht – so der republikanische Tenor. Den einen Gemeinwohlbegriff gibt es also nicht, aber es gibt eine starke Denktradition, die auf die Aktivität mündiger Bürger abstellt, mit anderen Worten: auf Zivilgesellschaft.

Politische Willensbildung - auch Aufgabe von Vereinen?

In liberalen, pluralistischen Demokratien ist dieses Gemeinwohl nun besonders spannungsreich. Auf der einen Seite steht die Meinungs- und Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger, die gefördert werden soll. Auf der anderen Seite ist da die Idee eines freien Spiels der Kräfte, also der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, die um die Zustimmung und Stimmen der einzelnen Bürgerinnen und Bürger werben. Welche Organisationen sind also besonders förderungswürdig durch den Staat – und wie verhindert der Staat gleichzeitig, dass er bestimmte Einzelinteressen zu sehr fördert? Die politische Willensbildung ist laut Grundgesetz zentrale Rolle der Parteien – aber wie ist es mit der Meinungsbildung, oder noch fundamentaler: der politischen Bildung?

Ist Attac eine Lobbygruppe?

Der Rechnungshof argumentiert, dass Attac ein Partikularinteresse erfüllt und nicht dem Gemeinwohl dient. Die Unterscheidung zwischen beiden ist aber notorisch schwierig. Um einen finanzschweren Lobbyverein scheint es sich bei Attac nicht zu handeln, aber natürlich werden recht konkrete politische Projekte vertreten – das aber gilt auch für viele andere NGOs. Ist Attac also eher als Einrichtung einzuordnen, die die Bürgerinnen und Bürger zugunsten eines über alle Zweifel erhabenen, für die Allgemeinheit wichtigen Anliegens – etwa: für den kritischen und klugen Umgang mit der Globalisierung – aktiviert, oder ist sie eine Interessen- und Lobbygruppe wie jede andere? Oder aber erfüllt sie das Kriterium der Gemeinnützigkeit schon allein dadurch, dass sie die zivilgesellschaftliche Sphäre belebt, also Bürgerengagement fördert?
Wie der Staat eine lebendige Zivilgesellschaft fördern kann, ohne eine einzelne Agenda zu privilegieren, scheint wie die Quadratur des Kreises – man darf aber zweifeln, ob die Beendigung des Schutzes von Organisationen wie Attac, die eine Vielzahl von Menschen politisch aktivieren – und ja, auch bilden -, wirklich der richtige Weg ist.

Eva Marlene Hausteiner arbeitet am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Internationale Politische Theorie, Föderalismus, Demokratietheorie, Imperien und Imperialismus, Politische Ikonographie.

Eva Marlene Hausteiner 
© David Elmes
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